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Fehlt Klammer, fällt Mehrheit

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Geht die sozialdemokratische Ära zu Ende? Wenn man unter sozialdemokratisch nicht bestimmte Inhalte, sondern die SPÖ-Mehrheit versteht: ja, aber mittelfristig.

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Geht die sozialdemokratische Ära zu Ende? Wenn man unter sozialdemokratisch nicht bestimmte Inhalte, sondern die SPÖ-Mehrheit versteht: ja, aber mittelfristig.

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Wenn man mit sozialdemokratisch nicht bestimmte Inhalte, nicht bestimmte Muster versteht, sondern wenn man unter sozialdemokratisch SPO versteht, dann scheinen mir die Argumente, die für ein Ende der Ära (definiert als klare Mehrheit) sprechen, relativ stark zu sein—wobei ich die Betonung auf mittelfristig legen möchte.

Für die Aussage des wahrscheinlichen Endes der sozialdemokratischen Ära sprechen zahlreiche Belege, zunächst einmal der historische und internationale Vergleich.

Der SPÖ-Serienerfolg von 1970, 1971,1975 und 1979 ist für westliche Demokratien ein absolut einmaliges Ereignis.

Wenn wir davon ausgehen, daß zwar Osterreich Besonderheiten hat, aber in Gesamtheit keine Einmaligkeit ist, so spricht allein schon diese Serie dafür, daß sie mittelfristig nicht prolongiert werden kann.

Auch annähernd vergleichbare Serienerfolge wie die sozialdemokratische Dominanz in Schweden, die nicht durch ein vergleichbares Wahlergebnis abgepolstert, sondern im andersgearteten schwedischen Parteiensystem begründet war, ging einmal zu Ende.

Dazu kommt noch, daß sich die SPO aus bestimmten und nachvollziehbaren Gründen sehr stark vom Faktor Persönlichkeit abhängig gemacht hat Dieser Faktor Persönlichkeit bringt manche Vorteile mit sich, aber sicherlich auch den Nachteil der Nicht-Ver-erbbarkeit.

Eine Partei, die sich in diesem Ausmaß von einer Person abhängig gemacht hat (ich verweise hier nur auf die grundsätzliche Werbestrategie im Wahlkampf 1979), erzielt einen kurzfristigen Vorteil, aber auf Kosten des mittelfristigen Nachteils.

Neben diesen Argumenten für eine wahrscheinliche Ablöse sprechen dafür aber auch einige aktuelle Indikatoren in der politischen Entwicklung, die ich als Vorausindikatoren bezeichnen möchte.

Ein Vorausindikator ist, daß bei der Nationalratswahl 1979 zum ersten Mal seit 30 Jahren der Stimmenanteil beider Großparteien rückläufig war. Wir registrieren erstmals eine Dekonzentration des Parteiensystems. Daß das 1979 auf Kosten der ÖVP und nicht auf Kosten der SPÖ gegangen ist, ändert nichts an diesem interessanten Indikator.

Ein weiterer Vorausindikator ist die Zunahme der vertikalen Wählermobilität. Die österreichischen Wähler neigen zunehmend dazu, ihr Wahlverhalten zu verändern, in relativ kurzen Abständen einmal die, dann jene oder auch überhaupt keine Partei zu wählen.

Diese vertikale Mobilität (vorerst vor allem auf der unteren Ebene) wird vermutlich weiter steigen und mittelfristig auch zu mehr Beweglichkeit auf Bundesebene führen. Damit wird auch die Wahrscheinlichkeit der Ablöse der SPÖ größer.

Ein letzter Vorausindikator in diesem Zusammenhang ist das, was in einigen aktuellen Arbeiten als Postmaterialismus und Wertwandel bezeichnet wird, ein Phänomen, daß sich auch in Österreich, wenngleich mit Verspätung, bemerkbar macht.

Schon jetzt können wir sehen, daß dieser Wertwandel der SPÖ Schwierigkeiten bereitet. Ich verweise nur auf die besonders große Schwierigkeit, Personen (und hinter den Personen bestimmte Wertvorstellungen) von der Ge-

Wichtigkeit eines Heinz Kienzl und eines Josef Cap zu verbinden. Hinter diesen symbolisch genannten Namen steckt auch die innere Spannung der österreichischen Sozialdemokratie.

Daß derzeit diese Spannung unter anderem auch noch durch den Faktor Persönlichkeit verklammert wird, ändert nichts an ihrer Sprengkraft, die ganz bestimmt mit eine Ursache für das von mir für wahrscheinlich gehaltene Ablösen der SPÖ als Mehrheitspartei durch andere Konstellationen sein könnte.

Welche Erklärungen gibt es für diese wahrscheinliche Ablöse?

Generell nimmt die Wählermobilität zu; das allein schon deshalb, weil der Mangel an Wählermobilität in Österreich ungewöhnlich ausgeprägt war. Dahinter steckt das Abbröckeln der Lagermentalität, dahinter steht die zunehmende Säkularisierung der Parteien - auch der SPÖ.

Auch die SPO macht den Trend zur Allerweltspartei mit, der dazu führt, daß der Weltanschauungscharakter der Parteien im Abnehmen und der Servicecharakter im Zunehmen begriffen ist.

Der Bedeutungsverlust des Systems der Vertrauensleute, die Ausdörrung des Sektionslebens der österreichischen Sozialdemokratie, die abnehmende Partizipation: all das kann nicht übersehen werden.

Außerdem verdankt die SPÖ ihre historisch einmaligen Wahlerfolge wesentlich einer Wählergruppe, die genau von all diesen Veränderungen am stärksten erfaßt ist: die politisch besonders Flexiblen, die auch sozial flexibel, besonders postmaterialistisch infiziert und jung sind und eine gute Ausbildung erfahren haben. Es waren gerade diese Wähler, die, mit Sympathie für die SPO, durch ihr Nein die Zwentendorf-Volksabstimmung entschieden haben. Kann die SPÖ diese Wähler nicht halten, dann ist damit auch schon die Mehrheit verloren.

Teilauszug einer Tonbandabschrift des Vortrages, den Anton Pelinka, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck, auf Einladung von Univ.-Prof. Man-fried Welan am 22. Juni in Wien gehalten hat

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