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Feilschen um uralte Rechte

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Gegenwärtig ist - wie in den vergangenen 42 Jahren - in bezug auf die Tschecho-Slowakei nur von Böhmen und der Slowakei die Rede. Auf Mähren wird vergessen. Was wird aus dieser „Nation" zwischen den Tschechen und Slowaken?

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Gegenwärtig ist - wie in den vergangenen 42 Jahren - in bezug auf die Tschecho-Slowakei nur von Böhmen und der Slowakei die Rede. Auf Mähren wird vergessen. Was wird aus dieser „Nation" zwischen den Tschechen und Slowaken?

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Mähren ist das älteste Staatsgebiet in Mitteleuropa - es ist vom Papst schon im Jahre 880 bestätigt worden. Seit dieser Zeit war Mähren immer mehr oder weniger politisch selbständig und unabhängig von Böhmen. Es gehörte zu den reichsten und stabilsten mitteleuropäischen Ländern.

Im Jahre 1918 habe die fünf Nationen - Tschechen, Mährer, Schlesier, Slowaken und Karpatorussen - ihren gemeinsamen Willen bekundet, in einem Staat zu leben. So entstand die erste tschechoslowakische Republik.

Nachdem die Kommunisten im Jahre 1948 die Macht übernommen hatten, war der erste politische Schritt die Aufhebung des Mährisch-Schle-sischen Landes (das Karpatorussi-sche Land wurde der Sowjetunion angeschlossen).

Die Gründe dafür waren klar: das mährische Volk war immer Österreich sehr eng verbunden, besonders stark waren die Bindungen zwischen Brünn und Wien; Brünn als die Landeshauptstadt war die einzige Stadt in ganz Böhmen und Mähren, wo die Kommunisten die Wahlen des Jahres 1946 verloren hatten; Mähren war das Bollwerk der christlichen Kirche mit den Zentren in Olmütz und Ve-lehrad; die Kommunisten mußten eine starke Zentralmacht in Prag etablieren, um das totalitäre Regime ausbauen zu können.

Die Folgen für Mähren waren tragisch. Brünn wurde politisch und ökonomisch schrittweise zerstört, und dieses Schicksal wartete auch auf Olmütz, Kremsier, Znaim und die anderen größeren mährischen Städte. Auf der anderen Seite wurde Ost-rau als kommunistisches Arbeiterzentrum stark unterstützt - das sogenannte „Eiserne Herz der Tschechoslowakei".

Im Jahre 1968 hatte Gustav Husäk die Slowakische Republik mit Preßburg als Hauptstadt durchgesetzt. Seit dieser Zeit hat sich Preßburg zweimal vergrößert und Milliarden Kronen, die vor allen in Mähren ihre Quelle hatten, verschlungen, die nicht nur nach Prag geflossen sind. Sogar aus offiziellen kommunistischen Statistiken kann man nachweisen, daß in den vergangenen 42 Jahren die Mährer pro Jahr etwa 16,5 Milliarden Kronen zugunsten der Tschechen und Slowaken verloren haben..

Die sanfte Revolution vom Herbst 1989 hat in dieser Beziehung politisch nichts geändert. In der Prager Regierung und im Parlament sitzen nicht nur die alten Kommunisten aus den fünfziger und sechziger Jahren, sondern auch manche hohe Funktionäre aus der Ära Husak und Jakes. Fast zwei Jahre nach der Revolution gilt noch immer das schändliche kommunistische Gesetz Nummer 280/ 48, mit dem die Liquidierung des Mährischen Landes begonnen hat. Die Diskussion über die staatliche Ordnung der Tschechoslowakei, die vom tschechischen Premier Petr Pithart geführt wird, hat keinen Sinn und ist für das mährische Volk sehr beleidigend. Mähren braucht doch mit niemandem um seine uralten Rechte zu feilschen.

Die Volkszählung in diesem Jahr hat der Prager Regierung ein niederschmetterndes Resultat gebracht. Trotz ständiger Propaganda gegen die mährische Nationalität in allen Massenmedien und trotz Manipulierungen sowie Verboten haben sich mehr als 1,3 Millionen zur mährischen Nationalität bekannt.

Mehrere Bewegungen (Gesellschaft für Mähren und Schlesien, Mährische Bürgerbewegung, Mährische Union, siehe FURCHE 18/91) und die Mährische Nationalpartei sind in letzter Zeit für die politische Wiederanerkennung Mährens eingetreten. Viele andere große politische Parteien haben schon wieder die interne Landesaufteilung in Böhmen und Mähren in ihrem Programm.

Die jetzige dualistische und zentra-listische Föderation - sie wird von den mährischen Parteien als „kommunistisches Hirngespinst" Husäks und Jicinskys angesehen - wurde auf dem Nationalprinzip konstruiert. Weil Jicinsky als Vizeparlamentspräsident schon wieder an der Macht ist und weil auch die Slowaken stark das Nationalprinzip betonen, sieht die Mährische Nationalpartei dieses Prinzip als einzigen Weg, der zur gerechten Bildung einer Dreier-Föderation oder zu einem Bundesstaat führen kann. Das wissen aber die Prager Machtha-berauch.ImStil der alten Kommunisten - so kritisieren die Mährer - versuchen sie, die mährische Nationalführung zu zerbrechen und das mährische Volk zu spalten.

Denn für Prag geht es vor allem um das Geld. Im mährischen Landesarchiv finden sich Unterlagen über das vorkommunistische Steuersystem, das praktisch unabhängig von Prag war. Das mährische Land stand damals in Blüte. Ein neues Steuergesetz wird immer wieder abgelehnt.

Die Mährische Nationalpartei, sie knüpft an die gleichnamige Partei vor 130 Jahren an, ist zum Zweck der Eliminierung dieser „Kolonialpolitik" gegründet worden. Ihre Hauptaufgabe sieht sie im politischen Kampf um Gleichberechtigung der mährischen Nation im Rahmen der gemeinsamen CSFR.

Selbst im Falle einer slowakischen Selbständigkeit will Mähren seine eigene Identität nach wie vor im Rahmen des gemeinsamen Staates mit den Tschechen finden: In diesem Fall könnte dann die Dreier-Föderation Böhmen-Mähren-Schlesien entstehen.

Die Verwirklichung dieser Idee hängt aber nicht nur vom mährischen Volk allein ab. Sie ist auch vom Verständnis und der Weisheit der europäischen Staaten abhängig. Die Mährer setzen dabei besonders auf die österreichische Meinung, die sich aber nur auf gute und wahrhaftige Informationen über Mähren stützen sollte. Nur so lassen sich auch solche Krisensituationen, die wir zur Zeit in der Sowjetunion und in Jugoslawien erleben, verhüten.

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