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Feindschaft von Heiligen

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Mit Virgil, dem Bischof, Gelehrten und Erbauer des ersten (?) Salzburger Domes, und seiner Zeit beschäftigten sich vom 21. bis 24. September in Salzburg 34 Wissenschaftler aus sieben Staaten.

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Mit Virgil, dem Bischof, Gelehrten und Erbauer des ersten (?) Salzburger Domes, und seiner Zeit beschäftigten sich vom 21. bis 24. September in Salzburg 34 Wissenschaftler aus sieben Staaten.

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„Ich taufe dich im Namen Vaterland, Tochter und heiliger Geist." Diese recht eigenwillige Formel zur Aufnahme in die katholische Kirche hatte ein kaum der lateinischen Sprache mächtiger Priester Mitte des 8. Jahrhunderts gesprochen. Er stand Virgil, dem Abt im Salzburger Kloster von St. Peter, nahe, und dieser sprachliche Mißgriff war dem Päpstlichen Legaten in deutschen Landen, Wynfried-Bonifatius, nur recht, Virgil aufzufordern, alle jene, die im Namen dieser merkwürdigen Dreifaltigkeit getauft worden waren, noch einmal zu taufen. Virgil lehnte ab; das Bestreben, richtig zu taufen, sei ja vorhanden gewesen.

Bonifaz war, sagen wir es zunächst so, nicht sehr glücklich über die Reaktion des Iren. Virgil hatte, als er nach zwei Jahren am Hof des fränkischen Hausmeiers Pippin in Quierzy an dessen Schwager, den Bayernherzog Odilo, nach Regensburg weitergereicht worden war, offensichtlich nichts unversucht gelassen, einen Keil zwischen Odilo und den päpstlichen Legaten Bonifatius zu treiben.

Virgil, dessen Gelehrsamkeit und noble Abstammung — er war „weitläufig mit den größten Königshäusern Irlands verwandt" (Kardinal Tomas O'Fiaich) und zumindest ein Cousin des Königs aus der Gegend um Trim — offensichtlich schon europäische Aufmerksamkeit erregt hat, trug noch einen anderen Makel an sich: Er vertrat die sogenannte Antipodenlehre, also jene Ansicht, daß auf der Unterseite der Erde, die man sich als Ebene oder Kugel denken konnte (eine alte griechische Ansicht, der Augustinus beigetreten war und die über Isidor von Sevilla und auch Beda Vene-rabilis nach Irland zu Virgil gekommen war), ebenfalls Menschen wohnten. Damit aber hatte er, zumindest nach Ansicht des Bonifatius, die Einheit der Erlösungslehre verletzt, denn wie sollten diese Menschen, zu denen man nicht kommen konnte, in den Erlösungstod Christi eingeschlossen sein?

Bonifatius reichte es. Er, der so sehr für Recht und Ordnung war, hatte außerdem noch, und dies schien ihn am meisten zu treffen, in einer möglicherweise von Virgil selbst unter dem Pseudonym Aethicus Ister verfaßten Kosmo-graphie einiges abbekommen: darin werden die Angelsachsen als „gentes stultissimas", als „sehr dumme Stämme" bezeichnet und — hinsichtlich der Abstammung Bonifaz' besonders unfreundlich — der Stamm der Sachsen als „besonders nichtsahnend" („inopinatissimum gens") apostrophiert. So schien, wenn man all das kombiniert, was in den Vorträgen am Salzburger Virgil-Symposion zu hören war, eine Feindschaft zwischen Heiligen besiegelt.

Bonifaz griff 748 wütend zur Feder, der Papst sollte von diesen Verfehlungen Virgils erfahren und ihn maßregeln. Als offizielle Gründe wurden genannt:

• der angeblich mit päpstlicher Erlaubnis erhobene Anspruch Virgils auf ein Bistum in Bayern (wobei nicht einmal sicher sei, daß dieser Virgil geweihter Priester sei);

• Virgil schüre Haß zwischen ihm, Bonifaz, und dem Bayernherzog Odilo (so der Salzburger Historiker Heinz Dopsch, Veranstalter des Symposions);

• und schließlich, als Gipfel der Verwerflichkeit, vertrete dieser

Virgil eine abscheuliche Irrlehre „über eine andere Welt und andere Menschen, die unter der Erde wären".

Bonifaz, der schon zwei Jahre vorher mit seinen Querelen um die Wiedertaufe in Rom den kürzeren gezogen hatte, konnte jedoch diesem widerborstigen Iren nichts anhaben, im Gegenteil: Virgil stolperte keineswegs über die Kugelgestalt der Erde, er wurde nicht nur nicht abgesetzt, sondern schon im Jahr darauf zum Bischof geweiht. Papst Zacharias (741-752), dieser „durch Güte und Klugheit ausgezeichnete Grieche und letzte östliche Papst" (Hans Kühner, Lexikon der Päpste), traute Virgil volle Kirchlichkeit zu.

Obwohl Virgil an naturwissenschaftlichen oder anderen literarischen Äußerungen — abgesehen vom historisch so wichtigen Verbrüderungsbuch von St. Peter — nichts stringent zuzuschreiben ist, war Mittelpunkt eines intellektuellen Kreises: Bischof Arbeo von Freising beispielsweise widmete seinem Freund Virgil die von ihm verfaßte Lebensbeschreibung des heiligen Korbinian; dazu hatte er sich am stilistischen Vorbild des fast 30 Jahre unerhört kräftig in der Salzburger Kirchenpolitik wirkenden Abtbischofs orientiert.

Ob Virgil ident ist mit jenem Abt Feirgil von Aghaboe, den man den „Geometer" nannte, oder nicht, ist nach wie vor Streitpunkt der Historiker; O'Fiaich und Dopsch und andere stehen da einander gegenüber, wobei der irische Primas, vom Fach Kirchenhistoriker, meint, die Argumente dafür und dagegen hielten sich die Waage, während Dopsch diese These für widerlegt hält.

Immer noch und seit den Ausgrabungen unter St. Peter besonders akut ist das Problem des Dombaues von Virgil. Hat er oder hat er nicht? Die Archäologen müssen auf einen Indizienbeweis setzen: Daß Virgil eine Kathedrale errichtet hat, in die 774 die Gebeine des heiligen Rupert übertragen wurden, steht offensichtlich außer Zweifel. Es könnte aber auch sein, daß Rupert schon ein Gotteshaus errichtet hatte und Virgil dieses erweiterte. Fazit: Man wird wieder graben müssen — unter dem heutigen Dom von Salzburg.

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