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Fels gemeinsamen Erbes

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Wir haben Grund zur Freude, denn es ist ein Rückhalt, zu wissen, daß unser Glaubensbekenntnis über Jahrhunderte hinweg für unzählige Generationen eine tragfähige Handreichung für die Glaubenspredigt war; zu wissen, daß es sich als erprobtes Gut erweist; zu wissen, daß wir uns nicht auf eins von jenen flüchtigen Ergebnissen unserer Studien stützen, die heute formuliert und morgen wieder vergessen werden.

Wir erfahren, daß das Beständige und Bleibende, nach dem das Menschenherz im Wandel des Lebens und der Geschichte Ausschau hält, nicht nur keine Utopie ist und auch nicht schlechterdings „im Jenseits“ gesucht werden muß oder höchstenfalls in jener „Fülle der Zeit“ vorübergehend in unsere Welt hereinragte, in der Christus auf Erden weilte und die Urkirche das Neue Testament niederschrieb, sondern daß es hier und heute, in unseren Tagen, aufleuchtet in der Tradition unserer Kirche. Wir erkennen, daß wir getragen sind; daß wir einen Grund haben, auf dem wir stehen können; daß wir kein bloßer Spielball sind in einem endlosen Werden und Vergehen.

Das Glaubensbekenntnis des ersten Konzils von Konstantinopel hat sich als dermaßen beständig erwiesen, daß es über alle Konfessionsgrenzen hinweg gemeinsames Gut aller Großkirchen im christlichen Osten und im christlichen Westen blieb.

So viele Spaltungen es im Lauf der Kirchengeschichte auch gab, weil der menschliche Forscherdrang verschie- denorts in unterschiedlicher Weise das Glaubenserbe zu durchdringen versuchte und zu verschiedenartigen Aussagen fand, die man nur allzu vorschnell als Gegensätze betrachtete - dieses Glaubensbekenntnis erwies sich als Fels von solcher Tragkraft, daß es trotz allem der Glaubenspredigt ausnahmslos aller christlichen Großkirchen zugrunde liegt. Haben wir im Jahrhundert des ökumenismus nicht allen Grund, uns zu freuen, daß wir uns umso enger miteinander verbunden erkennen, je mehr wir uns unser Erbe bewußt machen? ,

Aber das Glaubensbekenntnis, das sich als solchermaßen festes Fundament erweist, ist ein Ergebnis unserer Geschichte. Es wurde im 4. Jahrhundert formuliert, und es lautete sicher nicht so, wie es lautet, wenn die Christenheit nicht die Geschichte durchlaufen hätte, die sie durchlief.

Nicht als irgendeine Botschaft vom Heil, sondern als die Frohbotschaft, daß Gott selber kam, um sich den Menschen kundzutun und sie zu erlösen und zu retten, hatte das Christentum in den ersten drei Jahrhunderten im spätantiken Römerreich mächtigen Zulauf, obwohl die Staatsautorität dies zu verhindern trachtete. Diese Tatsache der Kirchengeschichte wird deswegen von uns besonders beachtet, weil auch in Ländern unserer Zeit, in denen man von Staats wegen das Erlöschen des Christentums erreichen will, die Botschaft, daß Gott selber den Verlorenen nachgeht, neues Echo erlangt in den Herzen der Menschen.

Als im Römerreich der staatliche Druck gegen die Kirche nachließ, ja sogar von kaiserlichem Wohlwollen für die Christenheit abgelöst wurde, meldete sich das menschliche Denken zu Wort und warf die Frage auf, ob es mit dem Eingottglauben vereinbar sei, nicht nur vom unzugänglichen und über alle Namen erhabenen Vater auszusagen, daß er Gott ist, sondern auch vom Logos, durch den der Vater seine Liebe bekundete, indem er uns durch ihn erschuf und erlöste.

Die Kirche, die nicht mehr im Existenzkampf mit der Staatsmaęht stand, mußte eintreten in einen neuen Kampf. Sie mußte aufzeigen lernen, daß die Annahme der von ihr verkündeten Botschaft vom erlösenden Gott nicht bedeutet, auf das menschliche Denkvermögen zu verzichten, das vom selben Gott geschenkt ist. Ein radikaler Versuch, die Glaubensbotschaft und die Gesetzmäßigkeiten des Denkens zu vereinen, wollte zu Beginn des 4. Jahrhunderts den im Herrn Jesus Christus Mensch gewordenen Logos, durch den der Vater sich offenbarte und uns erlöste, zum ehrwürdigsten aller Geschöpfe erklären, um die Einheit und Einzigkeit des Vatergottes ganz klar aussagen zu können.

Dagegen stand die Kirche im ersten Konzil von Nizäa auf und erklärte, es ist ihr unerschütterlicher Glaube: Der Logos, durch den der Vater sich uns erschloß und uns erlöste, ist Gott und dem Vater gleich. Doch die Begriffe, mit denen dies bezeugt wurde, waren noch nicht hinreichend geklärt. Es bedurfte der theologischen Arbeit weiterer Generationen, und erst nach dem ersten Konzil von Konstantinopel war es soweit, daß das Bekenntnis von Nizäa als von der gesamten katholischen Kirche angenommen gelten kann.

Das 4. Jahrhundert, in dem die geistige Auseinandersetzung geführt wurde, welche die Kirche befähigte, im Jahr 381 das nizänische Bekenntnis zur amtlichen Glaubensformel zu erklären, brachte in weiten Kreisen eine empfindliche Erschlaffung des kirchlichen Lebens. Bei vielen Christen -die Mehrheit des damaligen Episkopats zählte zu ihnen! - verursachte der Wandel im Verhältnis zwischen Staat und Kirche ein überbordendes Siegesbewußtsein, und das geistliche Streben ließ nach.

In diesem 4. Jahrhundert verursachte aber der Geist eine neue Erweckung: die monastische Bewegung erlebte ihren großen Aufbruch und wurde zur Keimzelle neuen Lebens in der Kirche. Just in dem Moment wurde das erste Konzil von Konstantinipol gefeiert, als mehr und mehr Mönche auf die Bischofsitze gewählt wurden und durch sie der erschlaffte Honoratiorenepiskopat verdrängt wurde. Aus dem Mönchtum stammten auch die Theologen, die die notwendige Arbeit leisteten, damit das Konzil von Konstantinopel dem Bekenntnis von Nizäa zum endgültigen Durchbruch verhelfen konnte.

Wie die Kirche der Verfolgungszeit lebendig erfahren hatte, daß der Logos, der uns rettet, Gott ist, erfuhren jetzt die Mönche in ihrer geistlichen Lebendigkeit, daß auch der Geist, der sie trieb, Gott ist. So war die Kirche, die 325 in Nizäa die Gleicheit zwischen dem Vater und dem Logos bekannte, 381 dafür gerüstet, mit der nämlichen Entschiedenheit auch die Gleichheit des Geistes mit dem Vater und dem Logos zu bekennen. Das Glaubensbekenntnis des ersten Konzils von Konstantinopel konnte somit zur deutlichen Aussage über das dreifältige Lebensgeheimnis des einen Gottes werden.

Daß dieses Glaubensbekenntnis dem geschichtlichen Werden unterlag, obwohl es zentrale Aussagen zum Inhalt hat und nicht etwa Fragen, die nach einer vom 2. Vatikanischen Konzil geprägten Formulierung in der Rangordnung oder Hierarchie der Wahrheiten innerhalb der katholischen Lehre einen sekundären Platz einnehmen, kann uns geistliche Gelassenheit schenken.

Wenn es nämlich Stürme in der Kirche geben konnte, die über Generationen andauerten, weil in Kernfragen der rechte Weg für die Glaubensverkündigung nicht sofort gefunden werden konnte, können wir getrost auch unsere heutigen Fragen in Ruhe diskutieren. Den Kleingläubigen unter uns, die von der Angst getrieben werden, der Geist möchte eine diskutierende Kirche sich selber überlassen, dürfen wir Mut machen, indem wir sie auf die stürmischen Diskussionen des 4. Jahrhunderts verweisen, die nicht nur unbezweifelbar zu unserem Erbe gehören, sondern sogar zur Ausbildung-der heiligen Güter wesentlich beitrugen.

Auf diese Geschichte sollten wir aber auch jene unter uns hinweisen, die - von heiligem Eifer gepackt - meinen, es nicht erwarten zu können, bis für die brennenden Probleme unserer Zeit eine gemeinsame Lösung in der gesamten Kirche gefunden wird. Dem Geist Gottes ist Ungeduld fremd. Wenn er ein Gespräch, an dem Generationen beteiligt sind, vorsieht, bringt stürmisches Vorandrängen der übereifrigen keine bleibende Frucht, sondern verursacht für das Gottesvolk Streß, in dem das geistliche Leben erstickt.

Besondere Beachtung ist wert, daß das Glaubensbekenntnis des ersten Konzils von Konstantinopel allen Großkirchen der Christenheit heilig ist, obgleich jenes Konzil zunächst nur als eine Angelegenheit der Kirche in der östlichen Hälfte des Römerreichs einberufen und durchgeführt wurde. Niemand als nur die Repräsentanten der Kirchen in der von Kaiser Theodosius I. verwalteten Reichshälfte wirkten mit.

Erst im Lauf der nachfolgenden Kirchengeschichte traten sozusagen die Kirchen der westlichen Reichshälfte und jene außerhalb des Reichs zu den Beschlüssen des Konzils von 381 hinzu und machten sie sich zu eigen, weil sie erkannten, daß Gottes Geist wirksam war durch die in Konstantinopel versammelten Väter aus einem Teilgebiet der Christenheit. So erlangte jene Kirchenversammlung den Rang eines ökumenischen Konzils und ihr Bekenntnis wurde zum ökumenischen Glaubensbekenntnis der Christenheit.

In den vielen Jahrhunderten der Spaltung zwischen den christlichen Kirchen, in denen Fragen auftraten, die nicht zu gleicher Zeit und nicht überall auf der Welt die Christen gleichermaßen bedrängten, leitete der Geist Gottes die je betroffenen Kirchen zum Suchen und Finden von Lösungen an. So kam es, daß die verschiedenen Kirchen in der Gegenwart ein Erbe an ausformulierten Antworten von unterschiedlichem Umfang besitzen.

Blicken wir auf das von nur einem Teil der Kirchen gefeierte erste Konzil von Konstantinopel, dessen geistgewirktes Glaubensbekenntnis alle übrigen Kirchen in ihr heiliges Erbe einbezogen, und fassen wir dann die Hoffnung, daß unsere Kirchen im gegenwärtigen Zeitalter des Ökumenismus die Schwesterkirchen teilhaben lassen an dem von ihnen gehüteten heiligen Erbe und daß sie im Hl. Geist den Mut und die geistliche Offenheit erlangen, im Austausch dafür teilzuhaben an dem, was Gott in den anderen Kirchen bewirkte.

Der Autor ist Vorstand des Instituts für Patrologie und Ostkirchenkunde der Universität Wien.

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