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Fememord als Methode

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Wie palästinensische Volksgerichte mit ‘Kollaborateuren’ umgehen

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Wie palästinensische Volksgerichte mit ‘Kollaborateuren’ umgehen

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Der Volksaufstand der Palästinenser (Intifada) kennt eine Nebenerscheinung: den politischen Mord. Volksgerichte kennen mit Kollaborateuren keine Gnade.

Als vor zirka zwei Jahren Saa- fer el Masri mit der Zustimmung der PLO und den jordanischen Behörden von der israelischen Militärverwaltung zum Bürgermeister von Nablus ernannt wurde, atmete die ganze Stadt auf. Denn nach der Absetzung des vorherigen Bürgermeisters, der sich nur wenig um die Stadt, doch umsomehr um Politik gekümmert hatte, waren langsam alle öffentlichen Dienste verkommen. Der daraufhin eingesetzte Offizier der Militärverwaltung änderte hier nur sehr wenig. El Masri, Mitglied einer der vornehmsten Familien der Stadt, begann die öffentlichen Dienste von neuem aufzubauen. Doch nicht lange, ein Mordkommando der Front zur Befreiung Palästinas ermordete El

Masri als ęinen Quisling, der mit den Israelis auf unverzeihliche Weise kooperiere. Seine Beerdigung wurde zu einer Demonstration der Arafat-treuen PLO. Jassir Arafat erklärte nach der Beerdigung in Tunis: “E1 Masri war ein Held, der auf dem Altar des palästinensischen Freiheitskampfes gefallen ist.“

Scheich Achmed Jassin ist der Führer der Fundamentalisten (Chamas) im Gazastreifen. Diese träumen von einem Palästinenserstaat, der auch Israel miteinbezieht. Scheich Jassin ist nicht nur ein geistliches Oberhaupt, sondern für die meisten Einwohner des Streifens ist sein Wort Befehl. Dieser Tage erklärte der heilige Scheich: “In gewissen Fällen erlaubt der Koran das Töten. Es kommt darauf an, was der Kollaborateur angestellt hat. Wenn der betreffende Schlimmes gegen unsere heiligen Ziele und den Abgesandten der heiligen Sache unternommen hat, darf man, nein muß man ihn töten.“

Advokat As is Schchade aus Ra- malla, eine der bekanntesten Persönlichkeiten in der palästinensischen Gesellschaft, gab mir ein dreistündiges Interview. Wir bemühten uns mit vielen anderen um eine jüdisch-arabische Verständigung. Noch am selben Tag rief er mich an, bat, das Gespräch nicht zu veröffentlichen. Er bange um sein Leben. Drei Tage später wurde Schchade vor seinem Haus erstochen - das war 1985. Die Täter sind bis heute imbekannt. Schchade gehörte dem brain trust der PLO an.

Im Aufruf Nummer 38, der vergangene Woche als Flugblatt verteilt und an Hauswände geklebt wurde, werden alle Feld- oder Volksgerichte der Widerstandskomitees angehalten, mit Verrätern oder Abweichlern vom nationalen Lager abzurechnen.

Noch am Tag der Veröffentlichung erschienen nach Mitternacht drei vermummte 30 bis 40 Jahre alte Männer bei der 32jährigen Witwe Sabach Knaan, die zusammen mit ihren vier Kindern und zwei Schwestern in einem eingeschoßigen Haus in einer Kellerwohnung lebt. Sie brachten die Frau in die Küche des Nachbarn, forderten sie auf zu gestehen, daß sie mit Männern schlafe, deswegen die Heiligkeit der Intifada (des Volksaufstandes) besudele, ferner, daß sie mit dem israelischen Geheimdienst zusammenarbeite. Die Frau wurde mit Stöcken geschlagen, doch sie gab nichts zu. Tags darauf wurde sie wieder geschlagen. Als die drei Männer am dritten Tag wieder kamen, wurde sie vergewaltigt und erneut geschlagen. Bewußtlos wurde sie nach Ramalla ins Krankenhaus gebracht. Sabach Knaan hat Angst. “Wenn sie wieder kommen, schlagen sie mich tot“, weinte sie.

Mehr als 50 Personen wurden - so heißt es offiziell - von Unbekannten seit Beginn der Intifada vor rund eineinhalb Jahren ermordet. Etwa 300 Personen verletzt, andere zur Warnung geschlagen.

So wurde der Bürgermeister des Dorfe Kabatie an einen Hochspan nungsmasten gehängt, der Bürgermeister von El Bireh erschossen. Händler, die sich weigerten, Gelder für den Aufstand zu spenden, wurden bedroht, und einer voh ihnen, der sich hartnäckig weigerte, Faik Arar aus einem kleinen Dorf bei KaUriliya, erschossen - damit auch alle sehen, was geschieht, wenn man nicht zahlen will.

Im Gazastreifen wurden Frauen, die Arbeiter an Israelis vermittelten oder selbst Arbeit übernahmen, vergewaltigt, um die Männer zu strafen. Die Volkskomitees behaupten, daß ihre Leute es nicht gewesen seien. Doch die Vergewaltigung fand statt. Oft geben sich Verbrecher als Abgesandte des Aufstandes aus und kassieren Gelder, die niemals die Aufstandsleitung erreichen. Im allgemeinen genießen die jungen Männer der Aufstandskomitees viel Achtung. Wehe dem, der ihnen keine Anerkennung zollt.

Im provisorischen Gefängnis Keziot wurden in den letzten Tagen, zwei Männer von ihren Mitgefangenen umgebracht. Angeblich hatten sie ihre Zellengenossen belauscht und das Gehörte an die Gefängnisleitung weitergegeben.

In Nablus wurde eine Frau getötet. Sie war eine beliebte Halbweltdame, die die Schwäche hatte, ihre Kunden beim Geschlechtsakt abzulichten. Sie drohte, diese Bilder zu veröffentlichen und den Ehefrauen zuzuschicken. Nur wer bereit sei, für den israelischen Geheimdienst zu arbeiten, brauche keine Angst zu haben. Ob das nur ein Gerücht war oder den Tatsachen entsprach,ist nebensächlich. Das Volksgericht der Intifada hat beschlossen, die Frau zu töten, und das Urteil wurde prompt vollzogen.

Scheich Jassin über die Vergewaltigungen: “Frauen sollen nicht für ihre Männer leiden. Doch sicher hatten diese Frauen auch etwas verbrochen - sie verheimlichen es nur ihren Männern und ihrer Umgebung gegenüber Bestraft wurden sie jedoch ihrer Verbrechen wegen. “

Die Volksgerichte machen sich ihre Arbeit leicht. Drei Männej; entscheiden in einer halben Stunde über Leben und Tod anhand von Material, das oft nichts anderes ist als der Klatsch von Nachbarn. Ist offensichtlich, daß ein Unschuldiger hingerichtet wurde, dann entschuldigt man sich bei der Familie im Namen der Revolution.

In den besetzten Gebieten unterscheidet man zwei Formen der Kollaboration. Die erste und sehr verbreitete ist die Zusammenarbeit mit Israelis. Diesem Kreis gehören Beamte der Militärverwaltung an, die bei der Einkommenssteuer und Lizenzvergabe beschäftigt sind. Es handelt sich hier auch um ehemalige Polizisten, um von den Israelis eingesetzte Bürgermeister und in vielen Fällen um Araber, die zusammen mit Juden eine friedliche Verständigung anbahnen wollen.

Diese Kategorie kann sich dem Todesurteil entziehen. Die Betreffenden müssen nur öffentlich Reue zeigen - und diese Reue durch nationale Taten unter Beweis stellen. Oft werden diese Leute auch zur Reue angehalten, indem man ihre Läden, ihre Häuser oder ihre Autos in Brand steckt.

Als echte Verräter worden diejenigen angesehen, die Boden an Juden verkaufen, die ihre Mitbürger denunzieren - zum Beispiel wegen Steuerhinterziehung. Noch schlimmer werden die betrachtet, die mit dem israelischen Geheimdienst (Schin Beth Kaf) Zusammenarbeiten. Diese Leute sind Todeskandidaten, wenn sie nicht rasch genug Reue zeigen oder beweisen können, daß sie unter schwerstem Druck gehandelt haben.

Erst dieser Tage sandte PLO-Vor- sitzender Jassir Arafat eine Note an die Widerstandskomitees, jene Persönlichkeiten, die mit den israelischen Behörden Gespräche führen, nicht sofort als Verräter abzustempeln. Es hat sich nämlich herausgestellt, daß viele Parteien bereits begonnen haben, ihre politischen Gegner als Verräter zu bezeichnen. Arafat betonte dahingegen, daß jene im Namen der Intifada handeln, die versuchen, den Dialog mit den Israelis herzustellen.

Es besteht die Gefahr, daß aus den politischen Morden echter Terror entsteht. Der politische Mord wird ja auch dazu benutzt, um Stammesoder Familienfehden auf diese Weise zu bereinigen.

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