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Fern der Banalität

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Dem Ende einer christlich geprägten Lebenskultur entspricht ein neues Bedürf­nis nach der Tiefendimen­sion menschlichen Lebens. Kult und Liturgie können einen Beitrag dazu leisten.

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Dem Ende einer christlich geprägten Lebenskultur entspricht ein neues Bedürf­nis nach der Tiefendimen­sion menschlichen Lebens. Kult und Liturgie können einen Beitrag dazu leisten.

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FURCHE: In einem Vortrag haben Sie von der Herausfor­derung an die Kirche gesprochen, einen Beitrag zu einer erneuerten Lebenskultur, zur „Lebenskultur nach der Säkularisierung" zu er­bringen. Ist man dabei nicht in Gefahr, Vergangenes künstlich wiederbeleben zu wollen?

BISCHOF EGON KAPELLARI: Beim Suchen nach einer erneuer­ten Lebenskultur kann es nicht um eine Konservierung von Absterben­den oder um eine Musealisierung von schon Abgestorbenem gehen, sondern nur um eine Wiederent­deckung, Wiedererschließung noch lebendiger, aber bereits verstopfter Wurzeln, die dem Baum des Lebens zum Blühen und Fruchttragen ver­helfen. Es geht um eine positive Alternative zu einem Leben in Banalität, um eine Wiedergewin­nung der „Dimension Tiefe", von welcher Paul Tillich so oft gespro­chen hat; um die Erschließung von Transzendenz, auch um ein ethi­sches Sich-Selbst-Transzendieren im Sinne einer Kultur des Teilens.

FURCHE: Kann die Kirche mit ihrer Botschaft von Transzendenz auskommen, wenn das Grundge­fühl der Gesellschaft sich weitge­hend vom Evangelium entfernt hat?

KAPELLARI: Der Horizont der Welt hat auch heute Fenster auf Gott hin, die nicht blind geworden oder sozusagen mit Brettern ver­schlagen sind. Das Staunen ist so ein Fenster, das den Käfig eines Lebens in Banalität öffnet. Und dann auch das Leiden, der Schmerz, der zwar viele stumpf, andere aber fühlsamer macht. Und schließlich das Teilen von Brot, Lebensraum und Lebenssinn, Glauben.

FURCHE: Ist das Staunen in ei­ner Welt der Massenkommunika­tion nicht recht schwer geworden?

KAPELLARI: Schwerer gewiß als früher. Man mußte sich viele Er­fahrungen in oft mühsamen Orts­veränderungen buchstäblich erfah­ren, ja ergehen. Heute sind wir weitgehend Voyeure im Weltthea­ter und verdrängen vieles Großar­tige oder Schreckliche gleich wie­der, um für Neues Platz zu schaf­fen. Diese Oberflächlichkeit erfaßt auch das religiöse Leben. Wie rasch sind Katholikentage und Euchari-stische Kongresse wieder verges­sen!

FURCHE: Gibt es in dieser Hin­sicht Aussichten auf Besserung?

KAPELLARI: Das hängt davon ab, ob das Prinzip Einübung wie­der zum Tragen kommt. Im Lei­stungssport und im musikali­schen Betrieb wird das Prinzip Übung fraglos akzeptiert. Im ethi­schen, im religiösen Bereich hat man dagegen die Einübung seit der Kulturrevolution der späten sechziger Jahre weithin als Dressur abqualifiziert und abgetan. Das gilt zum Teil auch für die Liturgie der katholischen Kirche.

FURCHE: War dies nicht eine erwartbare, ja legitime Reaktion gegen manche Erstarrung, gegen manchen Drill?

KAPELLAKI: Es hat solche Er­starrungen gewiß gegeben, aber man hat dagegen überreagiert. Ein Kult der Spontaneität mißachtet die christliche wie die antik-vor­christliche Einsicht, daß Tugend (dieses Wort bedeutet Lebens-Tauglichkeit) zwar leicht ist, wenn man sie einmal hat, daß aber der Weg bis zu diesem Ziel oft steil und steinig ist. Es geht im Leben um eine Balance zwischen festgelegter Ordnung und Spontaneität. Antoi-ne de Saint-Exupery hat im Mär­chen „Der kleine Prinz" im Wissen darum gesagt: „Es muß feste Bräu­che geben". Aus der langen Zeit meines Wirkens als Studentenpfar­rer kenne ich Eltern, die ihren Kindern mit den besten Absichten wenig, zuwenig erzieherische Vor­gaben geboten haben in der Erwartung, diese jungen Menschen wür­den so am ehesten schöpferische Persönlichkeiten werden. Diese Erwartung wurde zumeist ent­täuscht. Die Kinder oder Jugendli­chen hatten große Orientierungs­probleme in der Kommunikation mit ihrer Umwelt.

FURCHE: Sie haben vorhin im Zusammenhang mit der Liturgie ein Defizit in bezug auf Einübung und feste Bräuche angesprochen. Als Liturgiereferent der Osterrei­chischen Bischofskonferenz tragen Sie für diesen Bereich besondere Verantwortung. Was müßte gesche­hen?

KAPELLARI: Ich bin davon überzeugt, daß die Richtung und der Rahmen der durch das Zweite Vatikanische Konzil bewirkten Liturgiereform nicht verändert werden sollen. Manche liturgische Entwicklungen hat das Konzil aber gewiß nicht gewollt. Ich meine damit gar nicht in erster Linie die ohnedies selten gewordenen massi­ven Abweichungen von den liturgi­schen Regeln in manchen Jugend­gruppen. Als Studentenpfarrer durch achtzehn Jahre habe ich er­fahren, daß man auch im studenti­schen Milieu ohne solche Abwei­chungen volle Kirchen haben kann. Was heute negativ schwer ins Gewicht fällt, ist der oft gedanken­lose, ja lieblose Umgang mit dem Wort und dem liturgischen Sym­bol. Der dem Liturgen belassene Freiraum wird schlecht genützt, weil es zuwenig Einübung und wechselseitige Korrektur und Hilf e gibt. Es wird in der Liturgie weit­hin zuviel geredet. Der Rhythmus von Wort und Schweigen ist ge­stört. Schönheit des Ritus und pro­phetisch-ethischer Ernst der Ver­kündigung sind zuwenig miteinan­der vermittelt. Die Dramaturgie einer solchen Liturgie wird auch von Menschen, die mit Erzbischof Marcel Lefebvre gar nichts im Sinn haben, als ärmlich empfunden. Viele bleiben immer öfter weg. Dies gilt besonders auch für junge Menschen.

FURCHE: Ist die Liturgie für diese jungen Leute nicht meist zu wenig spontan?

KAPELLARI: Das kann vieler­orts der Fall sein. Man sollte aber den Bedarf junger Menschen an Spontaneität nicht überschätzen. Rhythmische Musik ist ihnen auf Dauer allein zuwenig. Sie wollen auch ruhige Schönheit, was man im Blick auf die Liturgie der Taizebe-wegung sehen kann. Vor allem wollen sie eine Predigt, die relevant für sie ist, die wirklich Brot ist, um das der Prediger gerungen hat.

FURCHE: Sind Sie im ganzen, was die Prägekraft der Kirche hier­zulande ßngeht, optimistisch?

KAPELLARI: Ich habe große Hoffnung. Diese Hoffnung ist viel­leicht stiller, aber auch zäher als manches, was mit der Etikette Op­timismus daherkommt. Die Erfül­lung dieser Hoffnung wird uns aber nicht in den Schoß fallen. Die Gna­de, die wir dazu brauchen, ist auch die Kraft zu unverdrossenem Ein­satz. Die hoffentlich offen bleiben­den Grenzen zu unseren Nachbarn werden die im Leiden bewährte Glaubenskraft der dortigen Chri-stenauch für uns fruchtbar machen.

Mit dem Diözesanbischof der Diözese Gurk-Klagenfurt sprach Leonore Rambosek.

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