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Fernschreibschule

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Ich entdeckte mein schriftstellerisches Talent schon in der Unterstufe des Gymnasiums. Der Vorrat an meist aus dem Stegreif komponierten Entschuldigungs-Kurzgeschichten, mit denen ich beispielsweise mein Unvermögen, Hausaufgaben zu erfüllen, begründete, war so wenig erschöpf -lich und selbst für abgebrühte Pädagogen so bunt, daß sie sich regelmäßig an meine Eltern wendeten, um ihnen von der außerordentlichen dichterischen Begabung des Sprößlings zu berichten.

Später wechselte ich die Themen meiner Ausrede-Novellen. Da lag die Latte für die dichterische Imagination schon höher: Man wollte montags später zur Schule kommen, freitags früher in eines der nahe liegenden Ganztagskinos, dem Nachmittagsturnen fernbleiben und was nicht sonst noch alles.

Was mir in der Schule so gut gelang, wollte ich auch zu Hause nicht mehr missen. Auch hier gab es genug Gelegenheiten für dichterische Aktionen: der Besuch eines nicht eben völlig jugendfreien Filmes, der durch allerlei zwischenmenschliche Kontaktbemühung verzögerte Heimweg vom Eislauf platz, die überraschend bis in die ganz frühen Morgenstunden ausgedehnte Party, das unvermeidliche erste Ausbleiben über ein verlängertes Wochenende.

Unmittelbar vor der Matura glückte mir dann noch das literarische Gesellenstück: Durch Anfertigung einer Serie von Briefen, nachdrücklich in Inhalt und Form, gelang es mir, zu außerordentlichen Finanzzuwendungen durcrj meine Großeltern zu kommen.

Bei so vielen und so eindeutigen Vorzeichen, war die Wahl eines Schreibberufes für mich nur logische Konsequenz, und so türmten sich bald Essays und Romanentwürfe, dramatische Skizzen und lyrische Zyklen in Redaktionen und Verlagen und baten durch Präsenz und Begleitschreiben um Veröffentlichung. Aber je mehr ich verfaßte und einsandte, desto weniger wurde veröffentlicht. Um genau zu sein: Es wurde überhaupt nichts veröffentlicht.

Schon begann ich an die Existenz einer Literatur-Mafia zu glauben, der ich mit meinem unbändigen Talent im Wege war — heute weiß ich, daß eine solche natürlich nicht existiert! —, da sah ich in einer der vielen Zeitschriften auf meinem Arbeitstisch im Cafe „Literatur” eine ganzseitige Anzeige. Da erfuhr ich, daß „man mich suchte”. Ein vertrauenswürdiger älterer Herr mit reichhaltigem akademischem Dekor teilte mir mit, daß er und sein renommiertes Institut Menschen suchten, „die gerne schreiben”, ja mehr noch, deren „sehnlichster Wunsch” es wäre, „wie ein Schriftsteller schreiben zu können”.

Ich war zwar der Ansicht, daß dies bei mir ohnedies der Fall wäre, aber bitte, der Professor hatte wohl mehr Erfahrung, und er wußte offensichtlich, was mir bislang gefehlt hatte: „Wenn Sie gern schreiben, können Sie auch erfolgreich schreiben lernen.” Genau dies allerdings stand bei mir noch aus.

Der Erfolg, so wurde ich belehrt, hinge nur davon ab, daß man sich dem Angebot einer Fernschreibschule hingebe: alles .sei lehr- und lernbar, und außerdem würde man als Absolvent auch bei Verlagen gefördert. Ich füllte flugs den Bestellschein aus, vermerkte als Ziel meiner Lerngier, daß ich alles tun wolle, „um eines Tages hauptberuflich als Schriftsteller tätig zu sein”.

Dann wartete ich kurz und aufgeregt, und schon kamen sie: die Briefe und Lehrhefte. Ich machte mich gleich an die Arbeit und verfaßte zunächst „Berichte und Artikel”, dann.ging es mit „Kurzgeschichten, Reportagen, Interviews” weiter, schließlich versuchte ich, die „großen Formen des Schreibens meistern zu lernen”. Aber irgendwie klappte es in meinem Fall nicht. Was ich da zusammenschrieb, gelang nicht zur Zufriedenheit meiner Fernschreiblehrer. War auch die Fernschreibschule schon in den Händen mafioser Literatur-Kartelle?

Ich griff zur List: Ich schwindelte Produkte namhafter Autoren in meine Fern-Hausaufgaben und machte dabei auch nicht vor den Großen der Weltliteratur Halt. Der Erfolg war nicht überwältigend: Eine eingeschmuggelte Fabel von La Fontaine kam mit dem Vermerk: „Interessanter Einfall, aber noch zu wenig witzig”, eine Kurzgeschichte von O'Henry mit der Anmerkung: „Wenn Sie schon wie O'Henry schreiben wollen, dann müssen Sie auch so gute Einfälle haben” zurück.

Einen Auszug aus Werthers Leiden bekam ich mit dem Hinweis „Larmoyanz hat nichts mit echtem Gefühl zu tun” retour. Nur einige Brechtsche Gedichte hatten bescheidenen Erfolg: „Die politische Aussage Ihrer Lyrik ist recht interessant, aber Sie sollten sich doch an die Regeln der Poetik halten.” Als Flop erwies sich auch das Kästner-Gedicht von den „Klassefrauen”, hier kam die Reaktion prompt: „Bitte nicht schwindeln, unseren Eugen Roth haben auch wir gelesen!”

Von Haus aus auf Durchhalten getrimmt, durchlief ich die Fernschreibschule bis zum Abschluß. Ich gehöre, trotz allem, zu den Erfolgreichen, die nunmehr neue Schriftsteller in die Fernschreibschule hineinwerben. Gedichtet wird allerdings nur mehr für Familienfeiern. Gutes Geld verdiene ich in einem großen Verlag: als Lektor. Was man da alles zu lesen bekommt! Sie ahnen es nicht.

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