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Fest in Israels Hand

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Die nun schon fünf Monate andauernden Unruhen in den 1967 besetzten Gebieten rückten Westbank und Gazastreifen wieder in den Mittelpunkt des Interesses.

Die israelische Militärverwaltung erließ bis heute mehr als 1.500 Verordnungen (Military Orders, MOs), die das Leben der Bevölkerung in den besetzten Gebieten strikt reglementieren.

Die Notstandsverordnungen (Emergency Regulations), die 1945 von der britischen Mandatsmacht erlassen wurden, um den zunehmenden Terror zionisti-

scher Untergrundbewegungen zu bekämpfen (siehe Seite 13), zählen heute zu den wichtigsten Sicherheitsgesetzen.

Gemäß diesen Verordnungen können Landenteignungen und Hauszerstörungen durchgeführt, Ausgangssperren und Reiseverbote verhängt sowie Personen aus den besetzten Gebieten deportiert oder für die Dauer von sechs Monaten verhaftet oder ein Jahr lang unter Hausarrest gestellt werden.

Verhöre werden von Spezialisten des Inlandgeheimdienstes Shin Bet durchgeführt, die die Verhafteten mit allen Mitteln zur Unterzeichnung eines Geständnisses zwingen.

Das US-Konsulat in Ost-Jerusalem stellte 1979 in einer Dokumentation fest, daß Brutalität beim Verhör arabischer politischer Gefangener systematische Praxis ist, was den Einsatz speziell dafür ausgebildeten Personals einschließt.

Bis 1977 hatten etwa 60 Prozent der männlichen Bevölkerung der besetzten Gebiete zumindest kurze Gefängnisaufenthalte hinter sich. Mit anderen Worten, jede Familie ist davon betroffen.

Israel machte bald nach seinem Sieg im Sechstagekrieg deutlich, daß es nicht daran dachte, sich schnell wieder aus den eroberten Gebieten zurückzuziehen.

Was machte und macht die besetzten Gebiete für Israel so wertvoll? Die israelische Wirtschaft erhielt erstmals Zugang zum arabischen Markt. Ihr Bedarf an billigen Arbeitskräften konnte gedeckt werden. Darüber hinaus konnte nun in Israel die steigende Nachfrage nach Wasser befriedigt werden.

Mehr als 50 Prozent der Arbeitskräfte der besetzten Gebiete werden direkt von Israel beschäftigt. Ein Drittel kommt über offizielle Vermittlungsbüros nach Israel, geschätzte zehn Prozent arbeiten illegal in Israel, sieben Prozent stehen in den besetzten Gebieten in israelischen Diensten. Der offiziell in Israel arbeitende Palästinenser verdient um rund 50 Prozent weniger als sein israelischer Kollege.

Die Wirtschaft in den besetzten Gebieten stagniert. Die Industrie steht auf niedrigem Vorkriegsniveau und ist der israelischen Konkurrenz hilflos ausgeliefert. Die einzige Uberlebensmöglichkeit

besteht zumeist nur in der Vertragsproduktion für israelische Betriebe.

Auch die Agrarproduktion ging stark zurück. Die Anbaufläche wurde verringert, der Bezug von Wasser und Düngemitteln gekürzt.

Wirtschaftlich ist die Integration der besetzten Gebiete eine vollendete Tatsache. Sie sind für Israel der zweitwichtigste „Handelspartner“. Vor allem in der ersten Hälfte der siebziger Jahre erhöhte sich der Absatz langlebiger Konsumgüter in diesen Gebieten. So floß ein Teil des in Israel verdienten Geldes wieder dorthin zurück und förderte das Wachstum der israelischen Industrie.

Wasser ist neben Arbeitskräften der wichtigste „Rohstoff“ der Westbank. Laut Merdn Benveni-

sti, ehemaliger Vizebürgermeister unter Teddy Kollek in Jerusalem, erlaubt die Militärverwaltving seit 1968 keine Brunnenbohrungen für Bewässerungszwecke. Für die Trinkwasserversorgung wurden nur sieben Neubohrungen genehmigt. Durch israelische Neubohrungen verstärkt sich die Versalzung und Austrocknung bestehender arabischer Brunnen (siehe Seite 11). Nach den Angaben Benvenistis verbraucht ein Palästinenser etwa 60 Liter Wasser täglich, für einen Israeli sind 165 Liter pro Tag verfügbar.

1968 begann die Regierung, in den besetzten Gebieten Siedlungen zu errichten. Vor allem Jerusalem, aber auch andere arabische Städte wurden von Siedlungsgürteln umschlossen, um die Ausdehnung der arabischen Bevölkerung zu verhindern.

Die Palästinenser wurden zur Minderheitsbevölkerimg erklärt. Bei der Enteignung des Landes wird auf Bestimmungen aus der osmanischen Zeit zurückgegriffen.

Ende 1985 waren 52 Prozent des Bodens der Westbank und ein Drittel der Fläche des Gazastreifens in israelischer Hand. In der Westbank siedelten 52.000 Menschen. Bis Jahresende 1985 investierte die Regierung zwei Milliarden Dollar in den Siedlungsbau.

Israel ist es jedoch bisher nicht gelungen, eine neue, zur Kollaboration bereite palästinensische Führung heranzuziehen. Die projordanischen Notabein verloren, nicht zuletzt wegen der israelischen Wirtschaftspolitik, ihre ökonomische und damit ihre politische Macht. Die in der Westbank 1976 gewählten Kommunalpolitiker wurden von Israel nach und nach abgesetzt.

Jetzt entsteht in den besetzten Gebieten eine neue palästinensische Führung. Sie ist radikal und militant. Ihre Mitglieder rekrutieren sich aus Arbeitern und Studenten (FURCHE 13/1988). Durch die israelische Wirtschafts- und Siedlungspolitik werden die Zukunftsaussichten der Palästinenser immer düsterer. Sie haben nichts mehr zu verlieren. Das ver^ stärkt den Widerstand.

Vor 1980 fanden jährlich 400 bis 500 Streiks und Demonstrationen statt Seither stieg die Anzahl auf 1500 bis 2000 jährlich. Auch die Anzahl bewaffneter Anschläge nahm seit 1980 stark zu.

Israel scheint nicht gewillt, seine Politik grundlegend zu ändern. Die einzige Antwort auf den palästinensischen Protest heißt mehr Militär, härteres Vorgehen und mehr Unterdrückung. Eine Lösung ist damit nicht in Sicht.

Der Autor ist Verfasser einer Diplomarbeit über Israels Besatzungspolitik.

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