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Feste Burg?

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Ich war von einer strapaziösen Reise in drei Länder Osteuropas zurückgekehrt. Wochenlang war ich Zeuge gelangweilter Gleichgültigkeit gewesen, mit der die Menschen dort staatlich verordnete Jubeltage - gerade im Monat August besonders zahlreich - über sich ergehen ließen. Was in Gesprächen wirklich zählte, waren die Vorgänge in Polen. Dort geschah etwas Neues, dort hatte ein Fest begonnen, an dem man freiwillig teilgenommen hätte.

Mein erster Gang nach der Rückkehr führte zur Post. Piera, die tüchtige Posthalterin, begrüßte mich und fragte dann aus heiterem Himmel, ob ich „das" denn wirklich glaube: mit Gott im Himmel, den Menschen auf der Erde und dem Teufel in der Hölle?

Ich antwortete ihr überrascht, daß mein Glaube sich nicht so einfach definieren lasse und eigentlich nur eine „Tatsache" kenne: den lebendigen Jesus Christus. Pieras Direktheit hatte Vorgänger. Sooft eins der vier Marienfeste im Tessiner Kirchenkalender verzeichnet ist, frage ich sicherheitshalber tags zuvor an, wie es denn morgen mit der Postverteilung stehe.

Ebenso oft gibt es einen fast verzweifelten Ausbruch von Seiten der wackeren Frau: was sie denn nun wieder mit diesem Festtag anfangen solle - von Mariae Empfängnis über Lichtmeß, Verkündigung hin zur Himmelfahrt?

Diesmal, nach meiner vorsichtigen Antwort, wartete sie mit einer Überraschung auf: ja, so ungefähr sage es Küng auch. Sie lese ihn jetzt und könne nicht begreifen, daß „die Kirche" mit ihm nicht zurechtkomme. Da werde doch Glaube so definiert, daß man wieder glauben könne, und der Papst aus Polen sei sicher falsch beraten, wenn er diesem Mann den Mund verbiete.

Festtage, mit denen man in Staat und Kirche nichts rechtes anzufangen weiß; Glaube, der sich selbst neu kennenlernen will und doch auf seine Grundlage nicht verzichten kann: beides wird in diesen Tagen erneut sichtbar, da die Christen in den beiden großen Konfess-sionen ihre getrennten Feiertage begehen und doch meist mit ihnen ebensowenig anzufangen wissen.

Bei meiner Reise war ich auch in Rumänien, vor allem in Siebenbürgen. Landauf, landab erinnern dort die Kirchenburgen an die Türkenzeit. Wochenlang bargen sich die Christen, meist deutscher Zunge und lutherischen Glaubens, mitsamt den Tieren hinter den Mauern, bis die Gefahr vorüber war.

Wenn irgendwo, dann kommt dem Besucher Luthers Choral von der „festen Burg" hier auf die Lippen. „Er hilft uns frei aus aller Not". Das war das Grundbekenntnis der Reformation: der Rückzug auf Gottes Hilfe, wenn Menschenhilfe fraglich wird. Dieser Rückzug machte frei zu tätigem Glauben und gegenseitiger Hilfe.

Nicht nur die in ihrem Jubiläumsjahr vielgelobte Kaiserin Maria Theresia machte aber den Lutheranern in Sie-

benbürgen das Leben schwer. Die ungarische Herrschaft seit Mitte des vorigen Jahrhunderts und die Maulkorberlasse des kommunistischen Systems wiesen die Siebenbürger immer enger zueinander. Jetzt verlassen sie in Scharen das Land - nicht zuletzt, um in Freiheit ihren Glauben, der steril zu werden drohte, leben zu können.

Eine neue Freiheit wird von uns verlangt, nachdem Tyrannen und Volksverführer abgewiesen worden sind: die Freiheit von uns selbst, die Freiheit für andere. Das Grundbekenntnis der Reformation ist längst zur Grundlage der Ökumene geworden: Christ kann ich nur noch für andere sein, nicht in selbstgefälliger Frömmigkeit, sondern im Hergeben.

Die Kirchenburgen Siebenbürgens stehen bald verlassen und unpassend in der Landschaft. Viele Burgen unserer Frömmigkeit ähneln ihnen. Sie helfen nicht mehr, wo der offene Kampf verlangt wird. Gegen unseren Egoismus, gegen unsere fromme Rechthaberei, gegen den einfachmachenden Rückzug auf biblische Sätze, die uns nur oft genug daran hindern, ein mutiges, hilfreiches Wort zu sagen.

Reformation 1980. In einem Jahr, das der Augsburgischen Konfession 1530 gedachte, in dem aber auch viel Reif auf den ökumenischen Frühling fiel und manche Blütenträume brüsk unterbrach. Was in den Christengemeinden verschiedener Bekenntnisse vor Ort an Gemeinsamkeit des Glaubens und Handeln lebt, ist beachtlich und kann nicht mehr rückgängig gemacht werden. Das Bewußtsein von der einen, heiligen, allgemeinen Kirche, die Christen aller Bekenntnisse bei jedem Credo schon jetzt eint, sitzt tief, - tiefer vielleicht, als Rom es in seiner Vorsicht wahrhaben möchte.

Wo man in einem so katholischen Land wie Italien etwa hinkommt und als Nichtkatholik zu den Betern unter Kruzifixen stößt, wird man freudig angenommen. Geborgen in den festen Burgen Gottes, seien es nun Dome oder Dorfkirchen, treten wir nach der Anbetung in die Aufgaben, die uns unser Leben stellt.

Die Reformatoren wollten nichts weniger, als eine neue Kirche gründen. Erst der unselige Lauf der Kirchen- und Weltgeschichte führte zu der Spaltung. Daran vor allem erinnert der Reformationstag 1980, im Jahr des Augsburgischen Jubiläums wie der Maria Theresia: wir sind weitergekommen!

Die Bekenntnisse verlieren an Bedeutung, das Bekenntnis zu dem lebendigen Jesus Christus wächst. In seiner Nachfolge gehen Christen gemeinsam an die Arbeit, - nicht zuletzt an die, ihren Glauben neu zu artikulieren.

Ecclesia est Semper reformanda -Kirche muß immer bereit sein, sich reformieren zu lassen. Dem Reformationstag gebührt schon wegen dieser notwendigen Erinnerung ein Platz im Kalender.

Der Verfasser ist ehemaliger evangelischer Pfarrer, der seinen Ruhestand im Tessin verbringt.

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