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Festes Fundament des Widerstandes

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Sie vermochte weder Auschwitz noch den Weltkrieg zu verhindern. Trotzdem ist „Mit brennender Sorge“ ein monumentales Ereignis der Kirchengeschichte.

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Sie vermochte weder Auschwitz noch den Weltkrieg zu verhindern. Trotzdem ist „Mit brennender Sorge“ ein monumentales Ereignis der Kirchengeschichte.

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Am 23. März 1937 berichtete der Erzbischof von München, Michael Kardinal Faulhaber, dem Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacel- li, dem späteren Papst Pius XII., nach Rom: „An Seine Heiligkeit habe ich ehrerbietigsten Dank gesagt für das gnädige Rundschreiben, das in der Kirchengeschichte unseres Landes einen monumentalen Platz haben wird.“

Der wortgewaltige Prediger und mannhafte Kirchenmann Faulhaber, der nach der Machtübernahme Hitlers in München „seinem“ Gauleiter „der Verständigung zuliebe …mit tadellosem vorschriftsmäßigem Hitlergruß“ gegenübertrat, ist bei diesem Rundschreiben „Mit brennender

Sorge“ an erster Stelle und gebührend zu nennen. Er war nämlich der Ur-Autor dieser päpstlichen Enzyklika. So profund Faulhaber auch die Vorlage verfaßt hat, umredigiert und adaptiert wurde sie von und unter Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacel- lis geschickter, wohl abwägender Hand, endredigiert, akzeptiert und am 10. März 1937 — datiert mit 14.. März — unter schrieben von Papst Pius XI., der zu diesem Zeitpunkt bereits zum unerschrockenen Bekämpfer nationalsozialistischer Ideologie geworden war.

Daß Faulhaber von Pacelli ausersehen wurde, die Vorlage für dieses antinationalsozialistische Rundschreiben zu erstellen, das übrigens bis heute das einzige ist, das der Heilige Stuhl in deutscher Sprache promulgiert hat, war alles eher denn ein Zufall. Faulhaber hatte nämlich wenige Wochen zuvor, ehe er zusammen mit dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Adolf Bertram (Erzbischof von Breslau), Kardinal Karl Joseph Schulte (Erzbischof von Köln), Klemens August Graf von Galen (Bischof von Münster) und schließlich Konrad Graf von Preysing (Bischof von Berlin) nach Rom gerufen wurde, mit dem Führer und Reichskanzler des Deutschen Reiches, Adolf Hitler, eine ausführliche Unterredung gepflogen. Am 4. November 1936 fand diese denkwürdige, drei Stunden währende Aussprache jener ungleichen Partner unter Anwesenheit des Reichsministers Rudolf Hess auf dem Obersalzberg statt.

Wenngleich der Münchener Kardinal von Hitler beeindruckt und bisweilen fasziniert war, wie aus seinem Bericht hervorgeht, war er Theologe und Bischof genug, um dem Potentaten gegenüber freimütig festzustellen: „Wenn freilich Ihre Behörden oder Gesetze gegen Dogma oder gegen das Sittengesetz, also gegen unser Gewissen verstoßen, müssen wir das als die verantwortlichen Verkünder des Sittengeset zes aussprechen dürfen.“

Kardinal Pacelli ließ die Enzyklika unmittelbar nach Unterzeichnung in nötiger Auflage für die deutschen Ordinariate in der vatikanischen Druckerei hersteilen. Ein Kurier überbrachte sie der Berliner Nuntiatur mit der schriftlichen Anweisung an den Nuntius und jeden Diözesanbi- schof: „…den Text des Sendschreibens — allen etwaigen Schwierigkeiten zum Trotz - in wirksamer Weise möglichst gleichzeitig zur Kenntnis der Gläubigen bringen zu lassen.“ Nun lag es am deutschen Episkopat, binnen kürzester Zeit und in völliger Geheimhaltung die nötigen Abzüge für alle 11.500 Pfarreien zur Verfügung zu stellen.

Geheimhaltung war das oberste Gebot, denn bei vorzeitiger Kenntnisnahme durch das Regime war eine Promulgation völlig undenkbar, und die deutschen Katholiken wären um das oberste Hirten- bzw. Kirchenwort betrogen worden. Kardinalstaatssekretär Pacelli war derart um eine Geheimhaltung bemüht, um diesen Schlag gegen den Nationalsozialismus effizient führen zu können, daß er nicht einmal die in Rom anwesenden Kardinale über Art und Inhalt der Enzyklika informierte.

Lediglich eine Ausnahme machte Pacelli, und die betraf Österreich, das mit seinem „Christlichen Ständestaat“ einen verzweifelten Abwehrkampf gegen die nationalsozialistische Bedrohung führte. Am 13. März 1937 zog Pacelli den österreichischen Gesandten beim Heiligen Stuhl, Rudolf Kohlruß, unter Abgabe eines formellen Versprechens „in der Art des Gelöbnisses des Heili-

gen Offiziums“ ins Vertrauen. Kohlruß wurde verpflichtet, niemanden außer den österreichischen Bundeskanzler Kurt Schuschnigg und seinen Staatssekretär des Äußeren, Guido Schmidt, von seinen Mitteilungen in Kenntnis zu setzen.

Pacelli ließ Kohlruß wissen, daß sich der Papst wegen „der schon ins Unerträgliche gesteigerten Verfolgung“ entschlossen habe, eine Enzyklika herauszugeben. Sie sei zwar scharf und eindeutig gegen den Nationalsozialismus textiert, verwende aber weder den Terminus Nationalsozialismus noch werde die NS-Re- gierung direkt und namentlich angegriffen. Der Heilige Stuhl denke auch nicht an den Abbruch der diplomatischen Beziehungen. Kohlruß schloß seinen diesbezüglichen Bericht an Guido Schmidt mit dem nachdrücklichen Hinweis: „Eine Indiskretion würde aber eine Katastrophe bedeuten, weil sie — sofern man davon in Deutschland auch nur Witterung bekäme, mit der Konfiszierung der Sendung die unbedingte Vereitelung des ganzen Vorhabens und verschärfte Verfolgungen zur Folge hätte. Ich bitte daher ergebenst um Vernichtung dieser Meldung nach Kenntnisnahme.“

Wenngleich die österreichischen Stellen dieser dringenden Bitte nicht nachkamen, gelang es in Hitler-Deutschland, alle katholischen Pfarrämter bis Samstag, den 20. März 1937, mit Abzügen dieses päpstlichen Rundschreibens zu versorgen.

Die Enzyklika vermochte weder die Judenpogrome in der sogenannten Reichskristallnacht noch Auschwitz, weder Weltkrieg noch die Christenverfolgung jener Ära zu verhindern. Sie hinderte das westliche Ausland nicht, im selben Jahr erstmals zum Nürnberger Parteitag diplomatische Vertreter zu entsenden. Selbst die massive Anprangerung konkordatä- rer Vertragsbrüche hat die ausländischen Mächte nicht davon abgehalten, Verträge mit Hitler zu schließen.

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