6822413-1973_44_12.jpg
Digital In Arbeit

Festival oder Agitation?

19451960198020002020

Kann man überhaupt noch von einer Internationalen Filmwoche in Mannheim schreiben? Sicher, dem Namen nach ja — denn sie fand ja heuer offiziell zum zweiundzwanzigsten Mal statt; doch ist diese Veranstaltung überhaupt noch als Internationale Filmwoche im Sinne des Begriffes eines Filmwettbewerbs, einer Gegenüberstellung künstlerischer, ausgewählter, „bester“ Filmwerke relevant? Hier — leider — muß man schon Zweifel äußern, Zweifel, die sich auch durch die merklich abnehmende Zahl ausländischer Journalisten oder Teilnehmer manifestieren. Und, wenn nicht bald das Steuer wieder herumgerissen wird auf den Kurs, der in den ersten Jahren die großen Erfolge Mannheims als Filmwochenstadt begründete und festigte, so dürfte es auch weitergehen. Man hat nämlich als Ausländer (so man nicht stark modisch linksgerichtet ist und daher Verfallserscheinungen bürgerlicher Institutionen, selbst bestens bewährter, kompromißlos begrüßt) immer mehr das Gefühl, nicht bei einer „Internationalen Filmwoche“ Gast zu sein, sondern bei einer Veranstaltung des politischen Agitationsfilms, die Programme für ein Underground-Fernsehen gewaltsam zusammenstellt (denn für das augenblicklich betriebene Fernsehen sind die meisten Beiträge trotz ihres sparsamen TV-Report-Stils noch zu schlecht!).

19451960198020002020

Kann man überhaupt noch von einer Internationalen Filmwoche in Mannheim schreiben? Sicher, dem Namen nach ja — denn sie fand ja heuer offiziell zum zweiundzwanzigsten Mal statt; doch ist diese Veranstaltung überhaupt noch als Internationale Filmwoche im Sinne des Begriffes eines Filmwettbewerbs, einer Gegenüberstellung künstlerischer, ausgewählter, „bester“ Filmwerke relevant? Hier — leider — muß man schon Zweifel äußern, Zweifel, die sich auch durch die merklich abnehmende Zahl ausländischer Journalisten oder Teilnehmer manifestieren. Und, wenn nicht bald das Steuer wieder herumgerissen wird auf den Kurs, der in den ersten Jahren die großen Erfolge Mannheims als Filmwochenstadt begründete und festigte, so dürfte es auch weitergehen. Man hat nämlich als Ausländer (so man nicht stark modisch linksgerichtet ist und daher Verfallserscheinungen bürgerlicher Institutionen, selbst bestens bewährter, kompromißlos begrüßt) immer mehr das Gefühl, nicht bei einer „Internationalen Filmwoche“ Gast zu sein, sondern bei einer Veranstaltung des politischen Agitationsfilms, die Programme für ein Underground-Fernsehen gewaltsam zusammenstellt (denn für das augenblicklich betriebene Fernsehen sind die meisten Beiträge trotz ihres sparsamen TV-Report-Stils noch zu schlecht!).

Werbung
Werbung
Werbung

Gesinnung — oder besser; eine bestimmte (selbstverständlich eine modisch-linke) Gesinnung ist weitaus wichtiger als nur die geringste filmische Qualität — dies scheinen jedenfalls die Tendenzen des Auswahlausschusses gewesen zu sein, die alles, was die entsprechende Aussage besaß, prompt in den Wettbewerb aufnahm, alles andere, was sich aber irgendwie durch vorhandene Qualitäten filmisch-technischer Gestaltung verdächtig machte, nicht dem „fortschrittlichen Lager“ anzugehören, von ihm verbannte. Daß dann der auf ausdrückliches Bemühen des verstorbenen Leiters der Filmwoche, Walter Talmon-Gros, in

den Wettbewerb einbezogene, filmkünstlerisch faszinierende japanische Beitrag von der Jury mit dem „Großen Preis“ ausgezeichnet wurde, mag für eben jene Gruppe etwas peinlich gewesen sein! Dies drückte übrigens auch die internationale Jury — wohl die beste, die seit Jahren einem Fümfestival vorstanö> — sehr diplomatisch und nobel, aber unmißverständlich in einer „Anmerkung“ zu ihrer Preisverleihung aus: „Es wird darauf ankommen, bei der Auswahl der Wettbewertosfilme strengere Maßstäbe anzulegen...“ Dies ist deutlich genug: will Mannheim seinen internationalen Status als nicht nur anerkanntes, sondern auch gern besuchtes und gerühmtes Festival des Films beibehalten, dann hat der Auswahlausschuß, der aus Filmfachleuten bestehen sollte und nicht aus vorwiegend linksgerichteten (sogenannten „jungen“) Polit-Agitatoren, denen halbstündige, von einer schwarzen Leinwand heruntergesprochene Lenin-Zitate wohl als „Idealfllm“ erscheinen dürften, ohne Rücksicht auf modische Trends — die Bundesrepublik gebärdet sich doch so superdemokratisch, wieso fehlt ihr dann dazu der Mut? — wie „junges linkes Sozialbewußtsein“ Filme nach ihrer künstlerischen Qualität auszusuchen und auszusieben, bis ein vernünftiges (was Zeit betrifft) und „filmisches“ Programm zustande gekommen ist!

Auch die Antwort einer (von mir übrigens sehr geschätzten) Dame von der Organisation der Filmwoche

auf die Frage, warum soviel hilflos-amateurhafter Mist gezeigt wurde — man müsse doch den Filmemachern eine Chance geben!“ — ist unbefriedigend und falsch; ein internationales Filmfestival ist keine wohltätige Veranstaltung, bei der aus Mitleid Beiträge angenommen werden, sondern einzig und allein auf Grund ihrer künstlerischen Gestaltung. (Ja, ja und noch einmal ja: der Absatz 1 des Reglements der Filmwoche spricht zwar von „Filmen, die nach Inhalt und Form neue Entwicklungen aufzeigen“, was aber keineswegs so auslegbar ist, daß dieser Absatz als Freibrief für agitatorischen Dilettantismus und gutwilli-

gen Amateurismus gelten kann oder darf! Und daß handwerkliches Nichtkönnen und laienhafte Hilflosigkeit filmisch durchaus „Ungewohntes“, weil erbärmlich allen Gesetzen Zuwiderhandelndes zustande bringen kann, läßt diese Machwerke nicht unter Absatz 1 als „sehenswert“ fallen!) Dies sei mit allem Nachdruck festgestellt.

★

Es steht außer Zweifel, daß derartige Ansichten gerade von jener Minderheit, die in Mannheim beim letzten Auswahlausschuß (vermutlich auf Grund ihrer „Dialektik“, Beredsamkeit, Intoleranz und, auf ihre demokratischen Rechte pochend, alle Gegner niederschreienden oder zutodediskutierenden Gewalttechnik) ihre Ziele als Agitationsfilmwoche durchzusetzen verstand — es sind immer und überall, in jedem Land, die Gleichen! — als reaktionär womöglich faschistisch bezeichnet werden. Dennoch erscheint dies ehrbarer, als zu jener Gruppe nach außen hin alles bejahender und unterstützender (meist sogar schon älterer) Herrschaften zu gehören, die aus Feigheit und vor allem Angst, nicht mehr „in“ zu sein, nicht mehr als „jung“ zu gelten und auch die törichtesten Moden mitzumachen, vor allem aber auch, um einen Beweis ihrer demokratischen und toleranten Gesinnung zu geben, alles loben und bewundern, was ihnen als fortschrittlich von bestimmten Gruppen hingeworfen wird; im privaten Gespräch hört man gerade

von diesen Herrschaften dann aber ganz andere Töne... Aber auf solche Opportunisten baut sich ja der ganze linke Fortschritt auf...

Gerade deswegen ist es bemerkenswert und verdient hervorgehoben zu werden, daß die „Große Jury“ in Mannheim diesmal den Mut hatte, den bequemen „Ja-sage-Weg“ zu vermeiden, während die FIPRESCI-Jury, die immer weniger ernstzunehmen ist und sich eindeutig als Instrument einer extrem linksgerichteten Politik deklariert, erwartungsgemäß einen Chilefilm auszeichnete; der japanische Film „Gaki Zoshi“ („Das Wasser war so klar“) von Yoichi Takabayashi — übrigens wieder ein idealer Beitrag für die Viennale im nächsten Jahr, da er zudem noch kein gesprochenes Wort besitzt! — ist von einer meisterhaften Gestaltung, deren klassischer Größe nur eine ausführliche I Kritik gerecht zu werden vermag. Man kann diesen Film mit den uns bekannten Meisterwerken japanischer Filmkunst in einem Atem nennen. Alle anderen Filme daneben fielen in einem Maße ab, daß sie kaum zu nennen sind...

Auf drei außergewöhnliche Filme, die es durchaus verdienen würden, auch in unseren Kinos zu laufen oder besser, von unseren Filminteressierten gesehen zu werden, sei hier noch kurz hingewiesen (die „offiziellen“ Preisfilme von Mannheim dürften durch andere Publikationen, auch Fachzeitungen, ohnedies schon bekannt sein): Die ebenso psychologisch hervorragend beobachtete wie wiedergegebene, ausgezeichnet gespielte und inszenierte Filmkomödie — endlich etwas zum Lachen! — „Ich dachte, ich wäre tot“ von Wolf Gremm aus der deutschen Bundesrepublik, Hark Böhms neuester Kinderfilm „Ich kann auch 'ne Arche bauen“ und der nicht uninteressante, aber in Mannheim völlig fehl am Platz gezeigte amerikanische Streifen „Once“ von Morton Heilig (der in Berlin oder Cannes Diskussionen ausgelöst hätte!) Man sollte sich diese drei Titel merken ...

Zum Schluß noch ein amüsantes Beispiel für den Geist der diesjährigen Filmwoche in Mannheim: da lief im Wettbewerb ein sowjetrussischer Kurzfilm „Na vysote“ („Auf der Höhe“), der 20 Minuten die freudvolle und fröhliche Arbeit sowjetischer Hochmastmonteure schildert, wie sie traurig sind, wenn der Mast vollendet und die schwere Arbeit in schwindelnder Höhe zu Ende ist, wie sie in der Freizeit in frohem Spiel und Scherz Kameradschaft pflegen, kurz: reinste „Kraft durch Freude“, ein naiv-verlogener Arbeitsfreudefilm, wie er in Deutschland zwischen 1933 und 1945 nicht anders gemacht hätte werden können und auch gemacht wurde; nach der Vorführung gab es nur sehr schwachen Applaus. Preisfrage: Was hätte wohl der Auswahlausschuß gesagt oder getan, wenn dieser Film im Auftrag von Siemens oder Mannesmann als deutscher Beitrag eingereicht worden wäre? Peinlich, peinlich... Und neben dieser Lüge liefen dann Filme über die Unterdrückung der Arbeiter — aber selbstverständlich nur im westlichen Kapitalismus — die begeistert akklamiert wurden ...

Mannheim, diese wirklich liebenswerte Stadt, deren Freundlichkeit und Charme nicht leicht zu übertreffen sind, wird es im nächsten Jahr schwer haben: seines langjährigen weise schaltenden und klug bremsenden Leiters der Filmwoche beraubt (wer schlägt als erster einen

Walter-Talmon-Gros-Gedächtnis-preis vor?), wird es vorsichtig lavieren müssen und versuchen, aus der Sackgasse herauszukommen, von einer gestrafften, ernstzunehmenden internationalen Filmwoche zu einer aus allen Nähten platzenden Polit-Agitationswoche zu degenerieren. Alle ausländischen Filmfreunde, dessen bin ich hundertprozentig sicher, die gern nach Mannheim kommen, wünschen diesem Versuch den besten Erfolg!

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung