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Festwochenkonzerte

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Zweimal Claudio Abbado, mit Konzerten seines eigenen Mailänder Scala-Orchesters im Konzerthaus und mit den Wiener Philharmonikern im Musikverein: Fürs Publikum ist er ein Magnet, ein Liebling, der stürmisch umjubelt wird, weil man weiß, daß nur wenige junge Dirigenten mit soviel Temperament, Geschmack, mit soviel Gefühl fürs Authentische und für stilgetreue Wiedergaben ihre Musiker führen. Und für die Veranstalter bedeuten seine Konzerte ein ums andere Mal: „Ausverkauft“, bis zur letzten Karte. Allerdings sorgte beim Gastspiel des Mailänder Scala-Orchesters allein schon das Aufgebot an prominenten Namen für einen Publikumsrun: Man hörte endlich in Wien Katia Riccia-relli, 1971 als „schönste Verdi-Stimme“ ausgezeichnet, und Lucia Valentini, als Rosina und. Cenerentola 1972 zur „schönsten Rossini-Stimme“ gewählt; beide debütierten in Pergolesis „Stabat mater“. Man wünschte sich, diese beiden fülligen, weichen Prachtstimmen auch bald auf der Staatsopernbühne zu hören. Und der international gefeierte, junge Pianist Maurizio Pollini, ein Mozart-Interpret von längst rar gewordener Spielkultur, führte das A-Dur-Klavierkonzert (KV 488) auf: Imponierend seine delikate Anschlagskultur, die stilsichere Phra-sierung, das ganz allürenlose Virtuo-sentum ... Unwillkürlich denkt man an Mozarts Anweisungen, mit „natürlicher Leichtigkeit, Gelenkigkeit

und fliegender Geschwindigkeit'“ zu spielen, was Pollini genau trifft; und an den Satz: „Alle Noten, Vorschläge usw. mit der gehörigen Expression und Gusto ausdrücken ...“ Erstaunlich allerdings das Scala-Orchester selbst, das unter Abbado Klangfülle, Gefühlstiefe, aber auch Bravour, voll italienischer Überhitzung, vorzeigte. Vor allem in den Rossini-Ouvertüren, wie der „Italienerin in Algier“, nach deren rasanten Wiedergabe das Publikum sich sogar Zugaben erklatschte.

Nicht minder erfolgreich war Abbado im „Philharmonischen“, wo er für den erkrankten Bernard Haitink einsprang und ein fulminantes, fast schon zu hektisches „Meistersinger“-Vorspiel und eine klarlinige, wohlklingende, schön proportionierte „Zweite“ von Brahms dirigierte. Jessye Norman, die junge schwarze Sopranistin, sang die Mozart-Arie „Vado, ma dove“ (KV 583) und das Rondo (mit obligatem Klavier) „Non temer, amato bene (KV 505). Eine geschmeidige, in allen Lagen ausdrucksstarke Stimme, die sich bei Mozart besonders bewährt. Irwin Gage spielte den Klavierpart sehr delikat, Abbado führte die Philharmoniker dabei mit der zu Recht hochgeschätzten Diskretion und Verhaltenheit. K. H. R. *

Als kleinere, aber qualitativ wertvolle Festwochenbeitrag kam eine Matinee des Wiener Kammerorchesters — und des Kammerchors —

zustande, in der unter der temperamentvollen, vortrefflichen Leitung des Dubrovniker Dirigenten Anton Nanut eine Symphonie von Lukas Sorcocevic (1734 bis 1789) zur Wiener Erstaufführung gelangte: das Werk eines liebenswerten Amateurkomponisten, im Stil der Vorklassik und ohne thematische Kontraste. Von Mozart hörte man das G-Dur-Klavierkonzert (KV 453), kühn in der Harmonik und mit zahlreichen chromatischen Durchgängen ausgestattet, sowie die Motette „Exultate, Jubi-late“, in deren überaus schwierigen Koloraturstellen, aber auch in der Kantilene des Andantes Sona Gha-zarian, Preisträgerin des vorjährigen Wiener Gesangswettbewerbes, sich glänzend bewährte. Den Abschluß bildete Haydns „Kleine Orgelmesse“. In den Chor- und Orchesterabschnitten kommt der Orgel nur Begleitfunktion zu, während sie mit den Soli des Soprans in einen duettie-renden Wettstreit tritt. — Mit der Ausführung des schönen Programms konnte man durchaus zufrieden sein, die Mitwirkenden, der Klaviersoliist Alexei Nasekin und der Organist Otto Bruckner, sowie Chor und Orchester, wurden zusammen mit dem Dirigenten lebhaft akklamiert.

*

Zu den bereits an der Spitze der Pianistenelite stehenden Künstlern

zählt der junge Maurizio Pollini, dem im Festwochenprogramm des Konzerthauses neben einem Bene-detti-Michelangeli, Entremont und Serkine ein eigener Abend eingeräumt war. Das Programm machte diesmal nicht mit einem Bartök der berühmten Folklore-Weisen bekannt: In fünf zu dem Zyklus „Im Freien“ zusammengebundenen Stücken läßt der Komponist eine Dorfkapelle blasen, venetianische Impressionen vorüberziehen, in „Klängen der Nacht“ eine fernher klingende Hirtenflöte und Tierlaute hören, in der „Hetzjagd1,1 wird man mit einem pre-stissimo heranrasenden Tastensturm konfrontiert. Hauptgewinn des Abends aber waren fünf Stücke De-bussys aus dem ersten Buch seiner „Preludes“. Wie Pollini diese visuell angeregten, ins Musikalische reinkar-nierten Kostbarkeiten in Kleinformat interpretiert, ließ ihn als einen mit erstaunlich stilistischer Treffsicherheit und immer parater Höchstkonzentration spielenden Musiker erkennen. Die dazukommende Non-plus-ultra-Teehnik vervollständigten das Bild eines Meisterpianisteri, der als Schhißnummer die 2. Sonate von Boulet gewählt hatte. — Es war der Abend eines grandiosen Künstlers, als er Bartök, Debussy und als Draufgabe Schönbergs in eine Poesie der Stille gebettete „Kleine Klavierstücke“ spielte.

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