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Festwochenmischung

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Gastspiele fremdsprachiger Truppen können Anregungen für das heimische Theater geben, orientieren auf jeden Fall über andersgeartete Spielweisen. Da zeigte die Aufführung von Shakespeares „Much Ado About Nothing“ („Viel Lärm um nichts“), durch das „Young Vic“ des Britischen Nationaltheaters im Theater an der Wien, wie eine erst seit vier Jahren bestehende Truppe, die für ein junges Publikum zwischen 15 und 20 Jahren zum Eintrittspreis von umgerechnet 20 Schilling spielt, ein Shakespeare-Lustspiel auffaßt.

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Gastspiele fremdsprachiger Truppen können Anregungen für das heimische Theater geben, orientieren auf jeden Fall über andersgeartete Spielweisen. Da zeigte die Aufführung von Shakespeares „Much Ado About Nothing“ („Viel Lärm um nichts“), durch das „Young Vic“ des Britischen Nationaltheaters im Theater an der Wien, wie eine erst seit vier Jahren bestehende Truppe, die für ein junges Publikum zwischen 15 und 20 Jahren zum Eintrittspreis von umgerechnet 20 Schilling spielt, ein Shakespeare-Lustspiel auffaßt.

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Auf dem rückwärtigen Teil der Bühne gab es eine Zuschauertribüne, davor eine schräge Spielebene, die seitlich — Bühnenbild: Carl Toms — an einen grell zinnoberroten Aufbau aus Pavillons und einer Stiege anschloß. Schwarzer Hintergrund. Auch sonst weg von der Shakespeare-Zeit: Die Kostüme gehören dem 'beginnenden 19. Jahrhundert bis hin zum schwarzen Gehrock und Zylinder an. Die Edelleute sind Offiziere. Wird in dieser Verfremdung Shakespeare erfaßt? Die Darsteller sprechen zwar unter der Regie von Frank Dunlop und Denise Coffey laut, artikulieren vorzüglich, ohne in Pathos zu verfallen, man könnte bei uns von ihnen lernen, aber es gerät alles zu grell, zu grob, Gags werden eingeschaltet, Veränderungen zielen auf Klamauk. Gewiß bezieht Shakespeare in seine Lustspiele Derbheiten ein, aber sie haben die Aufgabe, durah Kontrast die Wirkung des Schwebenden zu steigern. Hier aber gibt es nur Derbes, perfektes Ausspielen wie in einem Schwank, der Zauber dieses Lustspiels geht verloren. Und das bei Engländern. Unter den Darstellern beeindruckt Denise Coffey durch die Intensität ihres Spiels.

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Die Sicht auf das Werk von Franz Kafka verändert sich. Wenn man heute sogar glaubt, positivistische Maßstäbe anlegen zu oniüssen, so ist doch mit Nachdruck auf die ihn beherrschende Vorstellung zu verweisen, wonach der Mensch einer unheimlichen, unerkennbaren Macht gegenübersteht, der er nicht entrinnen kann. Sollen etwa die Vorgänge des Romans „Der Prozeß“ auf die Bühne übertragen werden, geht es darum, vor allem diesen Eindruck zu erreichen. Das gelang seinerzeit in einer Dramatisierung von Andre Gide und Jean-Louis Barrault mit üblichen szenischen Mitteln. Bei dem Gastspiel der London Theater Group, die „The Trial“, eben den „Prozeß“, im Rahmen der „Arena 74“ im Theater im Künstlerhaus vorführte, konnte man einen großartigen Einfall feststellen, der dieses Entscheidende ins Optische umsetzte.

Regisseur Steven Berkoff, von dem die Bearbeitung stammt, läßt die Darsteller weiß schminken, alle mit Ausnahme von Joseph K. und dem Inspektor sind schwarz gekleidet, bewegen sich wie mechanische Puppen um diesen Joseph K., verhalten immer wieder, starren ins Leere. Neun von ihnen tragen meist mannshohe Türrahmen vor sich her, mit denen sie den Verfolgten einfangen, bilden damit Gänge, durch die er hindurch muß, das wirkt ständig bedrohend, ja, manchmal gerät er 'in eine verwirrende Turbulenz dieser Rahmen, jedenfalls kann man

das Ungesichtige unheimlicher, nicht faßbarer Gefahren kaum stärker sinnfällig machen. Im Dialogischen erkannte man den Romantext. *

Im Volkstheater brachte das Gastspiel des Budapester Vigszinh&z das tragische Musical „Imaginärer Report über ein amerikanisches Pop-Festival“, das Sändor P6s nach einem Kurzroman von Tibor Dery für die Bühne eingerichtet hat. Dies ist eine primitiv klischeehafte Geschichte von einem jungen Ungarn, der auf einem amerikanischen Pop-Festival seine Frau sucht, die ihm mit einer Freundin durchgegangen ist Sie stinbt an einer Heroin-Injektion, er wird erstochen. Unter der Regie von Läszld Marton werden diese Begebnisse zu einem verbalen szenischen Oratorium mit Liedeinlagen, das heißt, die immer wieder in Raserei geratenden Festivalteilnehmer sind ständig als Chor auf der Bühne, aus ihnen lösen sich die Darsteller kurzer Szenen, deren Dialoge sie, Front zum Publikum, sprechen. Die Popmusik von Gabor Presser —die Musiker befinden sich ebenfalls auf der Bühne — tiurbu-liert, wie es sich gehört, wird aber in einzelnen Liedern auch sehr kitschig. Ein Seilvorhang vor dunkel-rotem Hintergrund — Bühnenbüdner Miklös Feher — schließt die Bühne ab. Ansprechendes Spiel von Ldszld Tahi Töth und Eva Almasi in den beiden Hauptrollen. Der achtzigjährige Tibor Dery verleitet hier zur behördengenehmen politischen Nutzanwendung, der Westen sei generell ein Bereich der Verderbnis. Doch ermöglicht dieses Stück im-

merhin den Einsatz verpönter Popmusik.

Die Vorstellungen des VolJcsthea-ters in den Außenbezirken wurden gegenüber den früheren Jahren um eine Premiere vermehrt. Es soll damit den Festwochenaufführungen im Zentrum der Stadt ein stärkeres Gegengewicht geboten werden. Man sieht Grillparzers Lustspiel „Weh dem, der lügt!“, das nun für sehr kleine Bühnen zu realisieren war. Dies gelang Regisseur Rudolf Kautek im Verein mit dem Bühnenbildner Georg Schmid durch verschiedenes Stellen hellgrüner Wände und fallweise Verwenden einzelner Versatzstücke. Lampen an der Rampe verstärken den Eindruck des notwendigen Primitiven der Inszene. Die darstellerischen Leistungen: Heinz Zuber ist ein rustikal munterer Leon, Joseph Hendrichs ein bedächtig gütiger Bischof, Aladar Kunrad ein bärbeißiger Kattwald, Heidi Picha eine natur-kindhafte Edrita, Utue Falkenbach ein überzeugend schwachsinnig wirkender Galomir.

Federico Garcia Lorca ist als Lyriker ebenso bedeutend wie als Dramatiker. Von seinen Gedichten wurde gesagt, es finde in ihnen ein „Somnambules Verweben von kaum angedeuteten Geschehnisresten“ statt. Nun gibt es von ihm drei seht kurze handlungslose Einakter aus dem Jahr 1928 — „Buster Keatons Spaziergang“, „Die Jungfer, der Matrose und der Student“ und „Chimäre“ —, die derzeit im Theater am Belvedere aufgeführt werden. In ihnen ist gewissermaßen das „kaum Angedeutete“ spielerisch auf vier Gestalten verteilt Da dies im Büh-nenbereioh, im Mund von Darsteilem nur zu leicht zerfällt, versuchte Regisseur Irimbert Ganser das Allzulose durch Höhung des Spiels zu binden. Eine starke szenische Wirkung ist aber damit auch nicht zu erreichen, die Aufführung informiert über einen Randbereich im Schaffen dieses Dichters. Neue Kräfte sind eingesetzt: Erika Strazicky und Herma Luser, “Werner Schöggl und Geza Standi. Als einzige Wiener Bühne hat damit dieses Theater der 75. Wiederkehr von Garcia Lorcas Geburtstag gedacht.

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