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Festwochenmisdiung

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Verschlüsselte BUhnenwerke können zweifellos verwirren. So mag es manchen bei dem metaphysischen Traumspiel „Winzige Alice“ von Edward Albee ergehen, das, vor seinen letzten vier Stücken entstanden, nun erst im Akademietheater zu sehen ist. Doch läßt sich in diesem vielfältig verknoteten, abstrusen Stück durchaus ein Sinn erkennen, der nach den aul den Brettern so vielfach dargebotenen, in planer Sicht verharrenden neonaturalistischen Kraßheiten wieder in die Tiefe weist.

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Verschlüsselte BUhnenwerke können zweifellos verwirren. So mag es manchen bei dem metaphysischen Traumspiel „Winzige Alice“ von Edward Albee ergehen, das, vor seinen letzten vier Stücken entstanden, nun erst im Akademietheater zu sehen ist. Doch läßt sich in diesem vielfältig verknoteten, abstrusen Stück durchaus ein Sinn erkennen, der nach den aul den Brettern so vielfach dargebotenen, in planer Sicht verharrenden neonaturalistischen Kraßheiten wieder in die Tiefe weist.

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In der Bibliothek eines Herrschaftshauses steht das Modell dieses Gebäudes, in dem sich ein Modell des Modells befindet und so fort ins Modell zum Sinnbild der Unendlichkeit, in der Gott herrscht, das Absolute, seltsam Personifizierte als „winzige Alice“. Vermittlerin zu diesem geheimnisvollen Wesen ist das steinreiche Fräulein Alice, das in dem Üerrschaftshaus mif einem Anwalt und einem Butler ein etwas libertines Leben führt. Konkordanz zwischen beiden Bereichen: Brennt die Kapelle des Hauses, so auch die des Modells.

Fräulein Alice stiftet der Kirche ein ungeheures Vermögen, wobei es ihr und den beiden anderen in vorerst undurchsichtigem Auftrag um den Sekretär des zuständigen Kardinals, den Laienbruder Julian, geht, der während einiger Jahre vom Glauben abgefallen war. Er zieht auf Befehl des Kardinals zu ihnen, sie bewirkt, daß er sie heiratet, damit verbinde er sich durch sie mit der wahren Alice, denn sie selbst sei nur Sinnestäuschung, damit werde Gott in ihm sein. Doch wird ihm diese unio mystica, nachdem er sich zuerst weigerte, erst zuteil, als ihn eine Kugel des Anwalts getroffen hat und ihn alle verließen. Je unkommensurabler eine poetische Produktion sei, desto besser, sagt Goethe.

Regisseur Bernhard Wicki erreicht mit subtilen Mitteln starke Spannung, eine vorzügliche Aufführung (im Akademietheater) ersteht. Annemarie Düringer wirkt als Alice verhalten-geheimnisvoll, sie hat das Forschende, ruhig Überlegene, Verinnerlichte, aber auch das Sinnliche dieser Gestalt. Für den „alten Freund“ des Kardinals, für den Bruder Julian, ist Joachim Bissmeier zu jung, doch stellt er die Wirrnisse dieser Gestalt überzeugend dar. Pinkas Braun, der treffliche Übersetzer des Stücks, ist ein energiegeladener Anwalt voll dunkler Leidenschaftlichkeit. Die Zweischichtigkeit des Kardinals wird durch Edd Stavjanik, die etwas diffuse Bonhommie des Butlers durch Alexander Trojan glaubhaft. Zbynek Kolar schuf ein asketisches Bühnenbild.

Das Gastspiel der Compagnie du Theätre de la Cite de Villeurbanne führte im Theater in der Josefstadt die Szenenfolge „Bleus, Blancs. Rouges ou Les Libertins“ vor, die Roger Planchon, der bekannteste der drei Leiter dieser Bühne, verfaßl und inszeniert hat. In zwanzig Episoden aus der französischer

Revolution wird an erfundenen Personen gezeigt, wie sich dieser politische Umsturz auswirkte, wie Erstrebenswertes in Hypertrophien vertan wurde. Die französischen Nationalfarben, im Titel in die Mehrzahl gesetzt, deuten an, daß Blaublütige, Rote, politisch Farblose einander, gegenüberstehen,. wobei werden, lind das spärliche Weiß, diesfalls als Farbe der Schuldlosigkeit, in der allgemeinen Libertinage ersäuft.

Gespielt wird auf einem Posium vor einem triumphal von Fahnen umgrenzten Tor — Entwurf Andrė Acquart —, aus dem zwischen den einzelnen „Bildern“ das Volk hervorstürzt, singt, Pantomimisches vorführt, aus weißer Leinwand hergestellte Spottbilder schwenkt und jedesmal provokante Fragen an das Publikum richtet. Etwa: Auf welcher Seite es heute Freiheit gebe. Wer heute die Völker auf den Kopf schlage. Nun, die Antwort ist nicht schwer, aber sie fällt anders aus, als sie wohl von den Fragestellern erwartet wird. Jedenfalls gäbe es Planchon nicht ohne Piscator und Brecht. Gleichwertige Leistung der Darsteller, unter denen auch Plan- chon figuriert.

Die Prospect Theatre Company, London, hat in der vergangenen Spielzeit mit Shakespeares „Richard II.“ im Volkstheater durchaus beeindruckt. Diesmal wird von diesem Ensemble durch einen anderen Regisseur, durch einen anderen Bühnenbildner im Theater an der

Wien Shakespeares „Hamlet“ vor- I geführt, aufdringliches Effekttheater i ersteht. Damit sich der Geist von I Hamlets Vater optisch vervielfältigen 1 kann, läßt der Regisseur Robert i Chetwyn durch Michael Annals in > den schwarzen Bühnenraum wandhohe spiegelnde Flächen einbauen, s Die dichterische Wirkung des Zeit- s bedingten geht dadurch verloren, die , Vervielfältigung rückt Hamlets Gemütszustand verfälschend ins Pathologische. Da sich aber auch andere Gestalten vervielfältigen, wird dies vollends zum Panoptikumseffekt. Weitere Einfälle des Regisseurs: Bei den Monologen Hamlets bleiben die anderen Darsteller auf der Bühne, erstarren zu lebenden Bildern, die Szene wird abgedunkelt. Der König hebt betend ein Kruzifix in die Höhe, verharrt darin, während Hamlet im Selbstgespräch überlegt, ob er ihn jetzt töten soll. Später steckt man den Prinzen in eine Zwangsjacke, Laertes geht gleichzeitig mit einem I Degen in der einen Hand, mit einem ] Dolch in der anderen auf den König los, Hamlet ersticht ihn nicht nur, I er flößt ihm vorher auch noch den Gifttrunk ein. Die Darsteller deklamieren eifrig, so auch der Geist von Hamlets Vater, immer wieder wird , gebrüllt. Auch Jan McKellen als Hamlet kann sich dessen nicht enthalten, Verfehltes noch und noch, | einschließlich der Kostüme.

In den Stücken, die Peter Weiss , vor dem noch unaufgeführten „Höl- : derlin“, aber nach „Marat“ schrieb, , erwies er sich als politischer Propa- , gandist von besonderer Primitivität. ■ Überraschend anders begann er vor , neunzehn Jahren mit dem Drama „Die Versicherung“, das derzeit im j Theater am Belvedere aufgeführt wird. Das ist ein Alptraum, ein Ge- woge von Szenen abstruser Vorgänge um einen Polizeipräsidenten, eine Vision des Widersinnigen, der sich nur vage ein Sinn abgewinnen läßt. Versicherung? Nichts ist sicher, die Menschen sind krank, man steckt sie ins Irrenhaus. Abbild einer aus den Fugen geratenen Zeit, der haltlos ihren Trieben ausgelieferten Menschen. Die sich ständig wandelnden Gesichj^ .dię wie Halluzinationen .des W^^nrtö^vwlrken_ — im Verbalen wird mitunter Handke vorweggenommen —, erfordern erhebliche szenische Mittel. Regisseur Irimbert Ganser versucht dem beizukommen, indem er die gelegentliche Forderung des Autors nach Pantomimischem auf die gesamte Wiedergabe erstreckt, die Darsteller glitzernde Perücken und Trikots tragen läßt. Die Mitwirkenden erweisen sich eifrig bemüht. Günther Tairych bekundete schon mehrfach in abstrakten Bühnenbildern formale Einfälle, so auch diesmal.

Auf den Bühnen gibt es kaum noch Schwänke, sie sind Mangelware. In den Kammerspielen allerdings ist derzeit solch ein auf unbedenkliche Unterhaltung zielendes Stück von den Engländern Roy Cooney und John Chapman zu sehen: „Jetzt nicht, Liebling!“ Der Chef eines eleganten Pelzhauses gerät durch eine erotische Eskapade in turbulente Verwicklungen, wobei selbst Unwahrscheinlichstes eingesetzt wird, um das Publikum zum Lachen zu bringen. Unter der Regie von Paul Vasil spielen Fritz Muliar den Chef in Nöten und Alfred Böhm seinen etwas tolpatschigen Kompagnon.

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