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Fiasko für die „Knopfdrücker“

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Nach Karl Schleinzers Tod scheint der Wahlkampf plötzlich eine neue Dimension zu erhalten. Die Frage der Polarisierung zwischen Kreisky und dem Oppositionsführer wird zwangsläufig in den Hintergrund treten — und vielleicht etwas sachlicheren Beurteilungen Platz machen.

Es ist erfreulich, daß alle Kandidaten für den Spitzenplatz in der Volkspartei das mitbringen, was der künftige Regierungschef braucht: Verständnis für Fragen der Wirtschaft und Kenntnis der sozialen Problemstellungen in Österreich. Beides trifft auf Alois Mock ebenso zu wie auf Josef Taus — und sicherlich auch auf Stephan Koren.

Für den Wähler entscheidet die Präferenz der besseren konjunkturpolitischen Strategie.

Die Konjunktur — so konnte man jahrelang hören — habe die moderne Wirtschaftspolitik total in den Griff bekommen, und auch die Inflation lasse sich regulieren. Was immer passiere, man müsse nur auf ein paar Knöpfe des „konjunkturpolitischen Instrumentariums“ drücken und schon falle aus dem Automaten die gewünschte Situation heraus.

Nun, anfangs der siebziger Jahre geriet die Inflation außer Kontrolle. Es wurde seither vehement auf alle möglichen Knöpfe gedrückt, aber das Knopfdrücken hatte keinen Effekt— es sei denn, den falschen.

Das mache weiter nichts, wurde uns (nicht nur in Österreich) versichert. Die Inflation sei eben der Preis für Vollbeschäftigung und Wirtschaftswachstum. Wir müßten lernen, mit der Inflation zu leben. Nur wer Arbeitslosigkeit und Stagnation wolle, lehne die Inflation ab.

Mitte der siebziger Jahre haben wir zwar weiterhin Inflation, dazu aber auch noch Arbeitslosigkeit und wirtschaftliches „Nullwachstum“. Wieder wird fleißig auf den Knopf gedrückt, auch und gerade auf den angeblich so Wachstums- und be-schäftigungsstimulierenden Knopf Inflation, aber unser Konjunktur-politischer Automat spuckt nur „Stagflation“ (Inflation mit Stagnation), wenn nicht gar „Slumpflation“ (Inflation mit Rückschlag) aus.

Das Fiasko der Knopfdrücker ist total. Wie konnte es dazu kommen? Paradoxerweise deshalb, weil unser konjunkturpolitisohes Instrumentarium so perfekt funktioniert. Wir wissen heute ganz genau, wie man die Depression nach 1929 zu bekämpfen hätte — und unsere Konjunkturpolitik bekämpft noch immer die Situation der dreißiger und nicht die der siebziger Jahre.

Schuld an Drepressionen sei, so können wir nun schon seit einigen Dekaden hören, die Deflation, also die Beschränkung des Geldumlaufs und die primäre Orientierung der Wirtschaftspolitik auf Preisstabilität. Daher müsse die Deflation in aller Zukunft, auf alle Fälle und mit allen Mitteln verhindert werden. Alles, was in Richtung Deflation gehe, sei schlecht, alles was den konträren Tendenzen entspricht, sei gut. „Deflationspolitik“ wurde nachgerade zu einem nationalökonomischen Schimpfwort.

Das Gegenteil von Deflation aber ist Inflation. Wenn also Deflation der Wirtschaft und der Vollbeschäftigung schade, dann — so schloß man etwas primitiv — müsse Inflation etwas Nützliches sein.

Wann immer die Konjunktur erlahme, die Vollbeschäftigung nicht mehr garantiert sei, die Wirtschaft zu langsam wachse oder gewisse soziale Forderungen nicht erfüllt werden können, müsse man dem Wirtschaftskörper nur eine neue kräftige Inflationsspritze verpassen, und alles sei wieder in Ordnung. In diesem Sinn wird nun seit einem Viertelj ahrhundert Wirtschaftspolitik betrieben.

Was man aber übersehen hat, ist, daß man zwar die Konsequenzen der Deflation sehr genau aus den deprimierenden Erfahrungen der dreißiger Jahre kennt, mit der Inflation — von kriegsbedingter abgesehen — bis vor kurzem nahezu keine Erfahrung gehabt hat. Man hatte die globale, mitten im Frieden ausbrechende, selbstfabrizierte Inflation noch nicht ausprobiert. In den letzten Jahren zeigt sich aber immer deutlicher, daß diese nicht ganz so harmlos ist und sich so •leicht nach Wunsch dirigieren läßt, wie dies ihre Propheten seit Jahren gepredigt haben. Ganz im Gegenteil können ihre Konsequenzen eventuell die gleichen, ja noch schlimmere als diejenigen der Deflation sein.

Daß es so weit kommen konnte, erklärt sich weitgehend aus einem Mißverständnis: Im Jahr 1936 erschien die „General Theory of Occupation, Interest and Money“ des britischen Nationalökonomen Lord John Maynard Keynes, in der dieser die damals kursierenden Tendenzen einer „aktiven Konjunkturpolitik“ zusammenfaßte und in ein System brachte. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde diese Schrift zum Standardwerk der nationalen und internationalen Wirtschaftspolitik.

Die zentrale Forderung Keynes' war eine antizyklische Konjunkturpolitik. In Zeiten sinkender Konjunktur müsse die wirtschaftliche Aktivität angeheizt werden, indem die Staatsausgaben mit Hilfe eines Defizits gesteigert werden (deficit spending) und die damit verbundene leichte Inflation in Kauf genommen wird. Dafür müsse in Zeiten der Hochkonjunktur allenfalls auch mit deflationistischen Mitteln gebremst werden.

Von dieser Keynes'schen Doktrin wurde aber durch die offzielle Wirtschaftspolitik nur die eine Hälfte akzeptiert und realisiert: Die Stimulierung im Falle einer sinkenden Konjunktur. Von einem Bremsen in der Hochkonjunktur wollen hingegen die meisten Wirtschaftspolitiker nichts wissen.

Genau das ist auch in Österreich passiert. Daher ist auch ebenso wenig wie die Inflation die aktuelle Rezession zur Gänze importiert, sondern zu einem Großteil hausgemacht. Als die Konjunktur anfangs der siebziger Jahre auf vollen Touren lief, wurde sie noch und noch weiter angeheizt. Obwohl der Arbeitsmarkt leergefegt war und immer mehr Arbeitskräfte — damals oft unter großen Schwierigkeiten und zusätzlichen Kosten — aus dem Ausland herangeholt werden mußten, wurde „Vollbeschäftigungspolitik“ betrieben und Inflation als Medizin gegen eine nicht vorhandene Arbeitslosigkeit verabreicht. Obwohl der Staat verschuldet war, wurden die Schulden nicht abgebaut, sondern trotz der ohnehin schon ungesunden überhitzten Konjunktur verdoppelt.

Es ist zweifellos die historische Schuld der gegenwärtigen Regierung

— dies sei ohne jede polemische Absieht ganz sachlich konstatiert — durch eine hemmungslose Ausgabenpolitik die überhitzte Konjunktur weiter angeheizt und damit das konjunkturpolitische Pulver zur Unzeit verschossen zu haben. Dies ist der Hauptgrund dafür, daß heute das konjunkturpolitische Instrumentarium nicht funktioniert, daß vergebens auf die Knöpfe gedrückt wird.

Heute verteidigt Österreichs Finanzminister Hannes Androsch das diesjährige Monsterbudgetdefizit von voraussichtlich zirka 30 Milliarden Schilling (kumulierte Gesamtfinanzschulden 1966: 29,3 Milliarden Schilling) mit der Notwendigkeit vermehrter Staatsausgaben in Perioden der Rezession. Ob sie noch nie etwas von Keynes und antizyklischer Konjunkturpolitik gehört hätten, fragt er seine Kritiker. Sie haben zweifellos. Nur leider hat der Herr Finanzminister anscheinend zu spät davon gehört, denn während der Hochkonjunktur sind die Finanzschulden nur immer weiter gewachsen, von antizyklischer Politik war keine Rede. Wir dürfen uns daher nicht wundern, wenn der Spielraum für antizyklische Maßnahmen heute sehr klein geworden ist und diese mangels Kontrasteffekt zu der bisherigen Wirtschaftspolitik wenig Durchschlagskraft haben.

Auch darf heute niemand glauben, den aktuellen Problemen — außer für kurzfristige Show-Effekte

— mit den Methoden beikommen zu können, welche in den dreißiger Jahren richtig gewesen wären. War damals eine deflationäre Politik die Ursache der Misere, so ist es heute die inflationäre. Die Konjunktur kann zwar — dies sei nicht bestritten — mit noch mehr Inflation kurzfristig aufgeputscht werden, sie wird aber längerfristig dadurch ganz sicher ruiniert. Eine dauerhafte Konjunktur bedarf heute einer Wirtschaftspolitik, welche auf inflationäre Stimulation verzichtet, die Inflation sogar schrittweise reduziert und die Konjunkur auf eine solidere Basis stellt.

Hier gilt es vor allem, die internationale Konkurrenzposition Österreichs zu verbessern, um auf diese Weise die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Die Therapie hingegen, welche der Sozialminister der österreichischen Wirtschaft im kommenden Jahr verordnen möchte, muß zwangsläufig danebengehen: er möchte den Mindesturlaub um eine Woche verlängern, um auf diese Weise neue Arbeitsplätze zu schaffen. Es besteht freilich die Gefahr, daß er hier die Rechnung ohne den Wirt macht: mehr Urlaub bedeutet höhere Kosten für die Wirtschaft, damit verschlechterte Konkurrenzposition, weniger Aufträge und damit per saldo — in einer so prekären Situation wie heute — weniger Arbeitsplätze.

Wenn wir daher nach richtigen Therapien zwecks Vermeidung einer Konjunktur- und Beschäftigungskrise suchen, so dürfen wir keine falschen Analogien zu 1929 herstellen, denn die gegenwärtigen Rückschläge sind im Hinblick auf ihre Ursachen ganz anderer Natur als die damaligen und bedürfen daher einer spezifischen Behandlung. Die heutige Gefahr heißt nicht Deflation, sondern Inflation.

In der aktuellen Situation muß uns eine inflationistische Konjunkturpolitik nicht mehr, sondern weniger Beschäftigung bringen. Die Erfahrungen der letzten Jahre — nicht nur in Österreich — haben dies schon zur Genüge bewiesen.

Hoffentlich dauert es diesmal nicht wie in den dreißiger Jahren über ein Jahrzehnt, bis wir die zeitspezifische Situation kapiert und daraus die richtigen Konsequenzen gezogen haben.

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