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Figaro hat seine Nöte

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Die beiden einzigen großen Mozart-Opernpremieren der Salzburger Festspiele fanden diesmal knapp nacheinander statt: „Die Hochzeit des Figaro“, eine Produktion Herbert von Karajans und Jean-Pierre Ponnelles, für die der alte, besonders schöne und erfolgreiche „Figaro“ des Teams Karl Böhm/Günther Rennert im Kleinen Festspielhaus fallen mußte, und Böhms und Rennerts „Cosi fan tutte“. Diesem Vergleich war allerdings der neue „Figaro“ trotz ungeheurem Aufwand an Spitzenkräften und in der Staffage nicht gewachsen. Er hat seine Nöte...

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Die beiden einzigen großen Mozart-Opernpremieren der Salzburger Festspiele fanden diesmal knapp nacheinander statt: „Die Hochzeit des Figaro“, eine Produktion Herbert von Karajans und Jean-Pierre Ponnelles, für die der alte, besonders schöne und erfolgreiche „Figaro“ des Teams Karl Böhm/Günther Rennert im Kleinen Festspielhaus fallen mußte, und Böhms und Rennerts „Cosi fan tutte“. Diesem Vergleich war allerdings der neue „Figaro“ trotz ungeheurem Aufwand an Spitzenkräften und in der Staffage nicht gewachsen. Er hat seine Nöte...

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Wer bloß daran Schuld trägt? Vor allem Karajan, der sich für die Riesenbühne des Großen Festspielhauses entschied, die von Ponnelle trotz vieler geschickter Verkleinerungsmaßnahmen eben doch nicht genug verkleinert wurde; dann Karajan, der, hektisch-nervös, mit den Philharmonikern ein musikalisches Bravourfeuerwerk inszenierte und dem Ponnelle mit süßlich-verspielter, sentimental-oberflächlicher Regie assistierte; schließlich Karajan, der sein teilweise hervorragendes Sängerensemble zu Hast, Eile, zu stellenweise unpersönlicher Perfektion trieb.

Kein Wunder, daß diese Aufführung ein bißchen etwas von Großmannssucht an sich hat, in der von allem etwas zuviel vorhanden ist: im ersten Akt, der aus einem möblierten Zimmer einen einstöckigen Gang macht, in dem Figaros Vermessungen sinnlos und alles Versteckenspielen wie ein schlechter Scherz wirken, im Boudoir des zweiten, das der Moskauer U-Bahn alle Ehre machte; im dritten, einem gigantischen Hofraum, sind allein die Gittertüren so groß, daß eine Armee durchmarschieren könnte usw. Durch dieses erotische Jagdgelände huschen jedenfalls die Stars, um zu ihren vorgeschriebenen Positionen zu kommen. Kein Wunder, daß der Reiz des Intimen fehlt, aber auch die politische Brisanz eines Beaumarchais, die Da Ponte und Mozart in das von Kaiser und Königen viel kritisierte revolutionsträchtige Libretto herübergerettet haben.

Schade nur, daß Karajan und Pon-nelle aus diesem Sängerensemble nicht mehr gemacht haben, daß die Personen so klischeehaft geführt sind, als müßten sie auch in anderen Buffo-Opern auftreten können. Am überzeugendsten noch Tom Krause (Graf): stimmlich nobel, kultiviert, ein Bild von einem Almaviva. Kühle Eleganz verströmt Elizabeth Har-wood, eine Gräfin voll Verhaltenheit, die freilich in der Arie im dritten Akt einiges schuldig blieb. Edith Mathis' Susanne ist bei schönem, weichem Material und herrlichen Spitzentönen im ganzen doch etwas angestrengt. Walter Berry macht Figaro alt. Und vor allem läßt er es zu, daß der Graf, sympathischer wirkt. Berry ist durchaus nicht der von Mozart veredelte freche Arlecchino-Typ. Teresa Berganza als Cherubin: Über die Partie ist sie hinaus, ihre Canzone „Voi, che sapete“ zählte dennoch zu den Ereignissen des Abends. Solide besetzte Nebenpartien (vor allem Zöltan Kelemen als Gärtner),

Aber welch ein Unterschied zu „Cosi fan tutte“\ Diese Neuproduktion ist — wie es der alte „Figaro“ war — ein Paradestück eines geradezu idealen Mozart-Stils, den mit aller Energie weiterzuführen Hauptziel der Festspiele sein müßte. Und Böhms und Rennerts Erfolgsrezept? Wenn es so etwas überhaupt gibt, dann ist es sicher das rückhaltlose Bekenntnis beider zu Mozarts Partituren, deren Vorschreibungen sie so treu wie möglich folgen, und dann die Absicht, das Bühnengeschehen so natürlich wie möglich abrollen zu lassen.

Alle Originalität — man denke nur an die Behandlung von Rezitativen in Karajans „Figaro“ oder an seine schlecht motivierte Sesselszene vor dem Vorhang zwischen 3. und 4. Akt — hat bei Rennert nichts verloren, wenn sie nicht ohnedies sich logisch ergibt.

Böhm und Rennert fällt natürlich eine Menge ein, um den starren Nummerncharakter der „Cosi“, dieses geometrische Spiel mit Arien,

Duetten, Terzetten, Ensembles, kunstvoll zu lockern, ohne die Konturen zu verwischen, oder um so ausladende Stücke wie Fiordiligis „Felsenarie“ szenisch aufzulösen. Aber es geschieht so behutsam und kultiviert, daß nichts vordergründig wirkt, da die Personen eher noch an Plastizität gewinnen.

Es ist eine „Cosi“, in der alles mit allem abgestimmt ist. Böhms wunderbar ausgelotete, fulminante musikalische Leitung läßt es keinen Moment an Farbe, Wärme, delikater Atmosphäre mangeln, Rennerts Inszenierung ist ungemein bewegt, ohne daß eine Szene nach Klamauk oder gewolltem Tempo aussähe, Ita Maximownas Dekorationen und Kostüme schließlich ergeben eine witzig-pointierte Rokokokomposition, Neapel mit Chinoiserien (statt wie bei Mozart mit albanischer Staffage) als Tapeten und Paravents. Man fühlt sich optisch umgamt!

Ein beinahe ideales Sängerensemble leistet Bestes: Gundula Janowitz als elegisch-sentimentale Fiordiligi und Brigitte Faßbaender als Dorabella: Kapriziöse Verspieltheit wird zum Stil. Rezitative und Arien ranken über dem philharmonischen Orchesterwohllaut. Hermann Prey und Peter Schreier, hier Gug-lielmo und Ferrando, bringen heftiges Liebesleben in die fast „gläserne Welt“ dieser kalkulierten Verführungskomödie. Zwei ungemein differenzierte Leistungen, stimmlich wie im Spiel. Ein Ausbund an Witz und Koloraturenkunst ist Rert Grists Despina. Schelmisch-schalkhaft Dietrich Fischer-Dieskau als alternder Modephilosoph, der in seinem „Vor-rei dir“ brilliert.

„Cosi fan tutte“ — So machen's alle? So beispielhaft heute leider wirklich nur Böhm und Rennert.

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