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FILM

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Troells großes Auswanderer-Epos

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Troells großes Auswanderer-Epos

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Jan Troell ist heute neben Ingmar Bergman der bedeutendste Filmregisseur Schwedens. Der 36jäh- rige ist uns bisher nur durch den Streifen „Hier hast du dein Leben” (1967) bekannt, hatte aber davor und danach je einen beachtlichen Festivalerfolg zu verzeichnen. Der große internationale Ruhm fiel ihm aber erst durch das in der Originalfassung sechsstündige, zweiteilige Filmepos „Die Auswanderer” zu, das bereits um die halbe Welt ging, ehe es mit fünfjähriger Verspätung endlich die deutschsprachige Filmkulturprovinz erreichte. Mußte man erst die durch die beiden letzten Bergman-Filme enorm angestiegene Popularität der Hauptdarstellerin Liv Ullmann (oder deren Erfolg als Buchautorin) abwarten?

Dieser Umstand vermindert aber die Freude an der nunmehrigen Begegnung mit einem bedeutenden Werk zeitgenössischer Filmkunst kaum. Der erste Teil von Troells Riesenopus hat also unter dem Titel „Die Emigranten” in unsere Kinos gefunden und sollte auch einer breiteren Publikumsschichte, sofern deren Geschmack durch Sex, Crime und Sensation nicht schon ganz verdorben ist, einiges geben. Denn hier wird eine sehr menschliche, einfache Geschichte erzählt. Sie spielt zwar um 1844 in Schweden, aber ähnliche Schicksale haben sich um diese Zeit - und wohl auch noch später - auch hierzulande in reicher Zahl zugetragen.

Bauern der Provinz Smaland leiden durch die Kargheit ihres Bodens, die unwirtliche Witterung und die Unterdrückung durch Reiche, Beamte und kirchliche Würdenträger - auch Pastor und Gemeindevorsteher sind nicht immer wahre Männer Gottes - bittere Not. Karl Oskar, der Sohn eines durch Schwerstarbeit zum Krüppel gewordenen Bauern, hat die Nachbarstochter Kristina geheiratet und mit ihr drei Kinder gezeugt, ein viertes ist unter tragischen Umständen gestorben. Er konnte sich in jahrelanger harter Arbeit kein Stück Vieh erwirtschaften, nur Schulden lasten auf seiner Familie und seinem Hof. Von seinem Bruder, der als Jungknecht grausame Mißhandlungen seines Bauern zu erdulden hat, animiert, entschließt er sich - ebenso wie einige Freunde

- in seiner aussichtslosen Lage zur Emigration nach Amerika. Alle entbehrliche Habe wird verkauft, um die lange und qualvolle Überfahrt auf einem schäbigen Schiff bezahlen zu können. Die Reise, die seine Frau fast das Leben kostet, geht auch in der Neuen Welt über etiiche mühevolle Stationen, ehe Karl Oskar ein Stück freundliches Land in Minnesota als seinen Grund und Boden beanspruchen kann.

Nach einem Roman von Vilhelm Moberg gestaltete Troell dieses Werk als Drehbuchautor, Regisseur, Kameramann und Cutter weitgehend im Alleingang. Diese starke Konzentration in einer Hand ergab ein eindrucksvolles Bildwerk von hohem ästhetischen und poetischen Reiz, doch wird die Optik für Troell, der ja von der Photographie her kommt, nie zum eitlen Selbstzweck. Er hat schließlich auch vom Thema her genug zu sagen. Dabei trägt er seine Sozialkritik, sein Mitleid mit der gequälten Kreatur, nie sentimental oder larmoyant und auch in keiner Weise polemisch vor. Der FUm hat in Węrt und Bild jene stille Einfachheit und Größe, die ein wesentliches Kriterium eines Kunstwerks ist. Troell tastet die Gesichter der Menschen behutsam ab, verlangt aber auch vom Beschauer eine adäquate Feinfühligkeit und Geduld durch zwei-, einhalb Stunden Spieldauer. Da die epische Breite hier ein bewußtes Stümittel ist, läßt sie nie Langeweile aufkommen. Nicht zuletzt wird der Zuschauer durch das großartige, dabei eminent natürliche Spiel der beiden Bergman- Stars Liv Ullmann und Max von Sydow in Bann gehalten.

Man ist - wie schon Nestroy - meist skeptisch gegen „zweite Teile”. In diesem Fall kann man aber der Fortsetzung, die nach den „Emigranten” unter dem Titel „Das neue Land” zu uns kommen soll, mit Zuversicht entgegenblicken.

Keine Medaille für Olympiafilm

Ein Jahr nach dem großen sportlichen Ereignis kommt der „offizielle Film über die XII. Olympischen Winterspiele Innsbruck 1976 zu uns. Er trägt den Titel „The white rock” und ist eine englische Produktion. Es ist einer der schwächsten Olympia-Filme geworden. Vergleichsmöglichkeiten liegen allerdings nur zu Dokumentationen über die Sommerspiele vor. Und da ist vor allem Kon Ichikawa über Tokio 1964 ein Meisterwerk gelungen, die Mexikaner haben über ihre Olympiade 1968 einen eindrucksvollen Bildbericht gedreht, für „München 1972” haben sieben Regisseure verschiedener Nationen interessante, wenn natürlich auch nicht gleichwertige Beiträge geliefert, und selbst Leni Riefenstahls alte Filme über Berlin 1936 nehmen sich neben dem Neuling noch ganz ansehnlich aus.

Sicher, die Kamera fing eindrucksvolle Farbbilder, etwa vom

Eishockey-Entscheidungsmatch UdSSR-CSSR ein, sie bewegte sich gleichsam mit den Skispringern oder Bobfahrern zu Tal, aber photographische Brillanz ist wohl das Mindeste, was man von der Dokumentation eines spannenden oder rasanten sportlichen Geschehens erwarten darf. Die Autoren hatten die unglückliche Idee, James Co- bum (wir sahen ihn eben erst in „Steiner - das eiserne Kreuz”) als eine’Art Kommentator in das Geschehen einzubauen. Er erzählt uns so Bedeutsames wie seine Jugendwünsche: Er wollte schon immer einmal im Eiskanal von Igls mit einem Bob zu Tal rasėn oder im Eishockeytor stehen. Das darf der Star dann auch tun. Leider darf er auch eine Fülle von Phrasen und Gemeinplätzen verzapfen.

Natürlich macht man heute einen „Olympiafilm” nicht mehr als konventionelle Reportage, aber eine sinnvolle, repräsentative Auswahl der einzelnen Disziplinen einer Winterolympiade hätte man wohl erwarten dürfen.

Werner Herzog ist heute zweifellos der international angesehenste deutsche Filmschöpfer. Neben etlichen Streifen kurzer oder mittlerer Dauer haben vor allem seine abendfüllenden Filme „Lebenszeichen”, „Auch Zwerge haben klein angefangen”, „Land des Schweigens und der Dunkelheit”, „Aguirre - der Zorn Gottes” und „Jeder für sich und Gott gegen alle” zu seinem Ruf als künstlerisch konsequenter Regisseur, der auch die geringsten Publikumskonzessionen scheut, beigetragen. Bei „Herz aus Glas”, einer um die geheimnisvolle Erzeugung von Rubinglas kreisenden Parabel, muß man allerdings annehmen, daß er sich auf seiner Suche nach den Grenzen der Welt, nach den Geheimnissen des Lebens, so weit in mystische Bereiche vorgewagt hat, daß er nur mehr einige Cineasten zu seiner Gefolgschaft zählen kann. Herzog, der 35jährige Münchner Autodidakt, hat offenbar den Ehrgeiz, ein deutscher Bergman zu werden. Seine Bildsprache ist diesmal besonders faszinierend, es fehlen ihm aber die geistige Disziplin (die Darsteller mußten unter Hypnose spielen!) und die Ökonomie der formalen Mittel, die wir an dem großen Schweden immer wieder bewundern können.

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