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Filmland Polen

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In einem Land, wo man seit mehr als einem Jahrzehnt vergeblich auf ein versprochenes Filmförderungsgesetz wartet, blickt man verständlicherweise neidvoll auf das geradezu „klastische" Filmland Polen, wo im Durchschnitt jährlich 25 anspruchsvolle Spielfilme produziert werden. In Österreich hingegen kann man die in den letzten Jahren gedrehten abendfüllenden Streifen bequem an den Fingern einer Hand abzählen.

Allein dieses zahlenmäßige Ungleichgewicht ist es wert, sich Gedanken über das Medium Film in einem Land zu machen, das mit der staatüchen Film-, Fernseh- und Theaterhochschule „Leon Schiller" in Lodz eine der bedeutendsten Film-ausbildungsstatten Europas besitzt, die untrennbar mit den Namen An-drzej Wajda, Krzysztof Zanussi oder Roman Polanski verbunden ist.

Den Anfang international beachtenswerten polnischen Filmschaffens kann man etwa mit Mitte der fünfziger Jahre ansetzen, als Regisseure (wie Andrzej Wajda oder Jerzy Kawalerowicz) beginnen, „mit der Vergangenheit abzurechnen" (so der Filmhistoriker Jacek Fuksiewicz). Im Zuge dieser „Abrechnung" entsteht beispielsweise 1957 der hervorragende, auch im Westen gezeigte Streifen „Der Kanal", eine Chronik tragischer Erlebnisse von Aufständischen, die sich durch die Warschauer Kanalisationsschächte hindurchkämpfen. Mit diesem Film schuf Wajda eines der suggestivsten und erschütterndsten Bilder des Zweiten Weltkrieges. In weiterer Folge drehte Wajda den mehrfach preisgekrönten Film „Asche und Diamant" (1958), nach einem Roman von Jerzy Andr-zejewski.

Der Widerstand gegen Hitler-Deutschland wird zum bestimmenden (und nahezu einzigen) Thema im polnischen Film. Kann man den ersten Werken dieses Themenkreises immerhin noch mit Verständnis für die Vergangenheitsbewältigung des polnischen Volkes begegnen - abgesehen von der hohen künstlerischen Qualität -, so flachen viele der kommenden Filme teilweise zu einer , staatlich verordneten politischen Pflichtübung ab.

Gerechterweise muß man allerdings sagen, daß Regisseure wie Jerzy Passendorfer (einige Jahre Leiter des polnischen Kulturinstituts in Wien) - Spezialist für militärische Massenszenen - oder Trzos-Rasta-wiecki das Thema „des nationalen Dramas" - wie die offizielle Umschreibung des polnischen Widerstandskampfes lautet - durchaus gekonnt in Szene setzen.

Angesichts dieses Uberangebotes an Filmen, die sich mit der jüngsten Vergangenheit befassen, tritt auch die ganze Problematik polnischer ■ Filmemacher deutlich zutage. Drehbücher sind nicht individuelles Produkt, sondern entstehen im Kollektiv - der sogenannten „Filmherstellergruppe" -, die sich aus Autoren, Regisseuren und Kameraleuten zusammensetzt und deren Leiter, „eine hohe gesellschaftliche Verantwortung trägt" (offizieller Wortlaut).

Ist ein Drehbuch fertig, so wird es dem zuständigen Vizeminister für Kultur (eine Art Sektionschef für Filmwesen) zur Beurteilung vorgelegt. Erteilt er sein Placet, so werden gleichzeitig auch die Mittel für die Realisierung des Films flüssig gemacht. Sosehr das System der staatlichen Aufsicht auch zu kritisieren ist, so muß man doch sagen, daß unter diesen Umständen auch künstlerisch hochstehende Filme ohne Aussicht auf entsprechende Einspielergebnisse produziert werden können.

Das Risiko übernimmt der Staat, der übrigens auch Brötchengeber der Filmhochschul-Absolventen ist

Obwohl der später zu Weltruhm gelangte Krakauer Roman Polahski mit seinem Film „Messer im Wasser" (1962) eine Art „Neue (zeitgenössische) Welle" im polnischen Film einleitet, bleibt man der Vorliebe für historische Stoffe treu. Versuche, einen polnischen Gegenwartsfilm zu schaffen, bleiben Randerscheinungen.

Beschäftigte man sich fast zwei Jahrzehnte mit den Jahren 1939-1945, so nimmt seit dem Ende der sechziger Jahre die Jahrhundertwende einen hervorragenden Platz im polnischen Filmschaffen ein, wobei die Verfilmung von Dramen und Erzählungen populärer heimischer Schriftsteller im Vordergrund steht. An dieser Stelle muß man wieder Polens prominentesten Regisseur Andrzej Wajda nennen, der mit einer Reihe von Produktionen internationales Aufsehen erregte. War „Birkenhain" (1970) noch ein romantischer Film, voll von plastischem Reiz, so wird die Wladyslaw Rey-mont-Verfilmung „Das gelobte Land" - der Aufstieg des frühkapitalistischen Lodz - bereits „ein barok-kes Spektakel voll bizarrer, kranker Schönheit" (K. T. Toeplitz), das Wajda den Ruf eines „polnischen Visconti" einträgt.

Gemeinsame polnisch-österreichische Reminiszenzen werden in Waj-das „Wesele" („Die Hochzeit" - nach dem Bühnenstück von Stanislaw Wyspiahski) und in „Zmory" (Regie: Wojciech Marczewski) erweckt. Während in ersterem die Hochzeit eines Krakauer Intellektuellen mit einem Bauernmädchen und die Berührung zweier sozialer Welten im Vordergrund steht und einer Kritik an der österreichischen Herrschaft eher aus dem Wege gegangen wird, ist „Zmory" (wohl am ehesten mit „Nachtmahr" zu übersetzen), eine Art galizi-sche Törless-Geschichte mit starken antiösterreichischen und antiklerikalen Zügen.

Obwohl die beklemmende AtmQ;, Sphäre eines k. k. Provinzgymnasiums sehr gut getroffen wurde, ist verordnete Ideologie in diesem Streifen besonders stark zu spüren. Hat der „kommunistische Touch" im „Gelobten Land" noch seine Berechtigung, ist der durch Selbstmord endende linksorientierte Physikprofessor in „Zmory" schlicht und einfach unglaubwürdig. Von der fundierten historischen Ausbildung des Regisseurs Marczewski ist nichts zu merken.

Trotz der Allgegenwärtigkeit von Fin-de-siecle-Verfilmungen und zahllosen patriotischen Aufgüssen, gewinnt der , junge Film" mit seiner Gegenwartsbezogenheit immer mehr an Terrain, wie Andrzej Trzos-Rasta-wiecki meint. Jüngstes aufsehenerregendes Beispiel lieferte wieder Altmeister Wajada, der mit seinem unverhüllt regimekritischen Film „Ohne Betäubung" in seinem Entstehungsland eine breite Diskussion auslöste.

Noch ist Polens Film nicht in historischer Nabelbeschau steckengeblieben. ALEXANDER S. REDEN

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