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Finale mit Starkarussell

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Ein Endspurt in Luxusverpackung. Nicht nur Prominenz auf dem Podium des Großen und Kleinen Salzburger Festspielhauses, sondern auch überall im Parkett. So präsentiert sich das Salzburger Festspielfinale. Herbert von Karajan und Leonard Bernstein mit Beethoven-Symphonien, Karajan mit Mahlers „Sechster*, Riccardo Muti mit Mendelssohn und eine imponierende Riege internationaler Pianisten: Grandseigneur Svjatoslav Richter, Maurizio Pollini, Alfred Brendel, Viktoria Postnikowa und Gennadi Rosch- destwenskij, Christoph Eschenbach …

Zu den Hauptereignissen zählte jedenfalls Dr. Karl Böhms Wiederaufnahme von Mozarts „Cosi fan tutte“ in der Erfolgsbesetzung der Vorjahre, also mit Gundula Janowitz, Brigitte Fassbaender, Reri Grist, Peter Schreier, Hermann Prey und Rolando Panėrei. Ein Abschied von Günther Ren- nerts kultivierter, ungemein witziger Inszenierung, die sechs Jahre lang zu den Festspielattraktionen zählte. Doch darf man nicht übersehen, daß sie in diesen Jahren auch etwas viel Klamauk und Gags angesetzt hat. Wie eine Speckschichte, so daß die Komödie schon alles überwuchert. Und es neigen inzwischen auch ein paar der prominenten Sänger merkbar schwerblütigeren Partien zu. Etwa Gundula Janowitz (Fiordiligi), die im nächsten Jahr erstmals die „Rosenkavalier“-Marschallin singen wird.

Unter den Konzerten zählte für mich vor allem Gustav Mahlers „Sechste“, die „Tragische Symphonie“, zu den großen Momenten. Karąjan hat sie mit seinen Berliner Philharmonikern bereits einmal, bei den Salzburger Osterfestspielen, aufgeführt. Und seit damals scheint seine Realisation noch exakter, dichter, energiegeladener geworden zu sein. Die vier Sätze - perfekt gespielt. Eine aufregende Eruption schülernder Farben, schwankender Rhythmen, berückend schöner melodischer Fragmente, die jedoch - Mahlers tief pessimistischen Vorstellungen entsprechend - zerfallen, versinken, verdämmern. Die letzten schönen Momente in einer Welt des Untergangs. „Antizipando des kommenden Lebens“ hat Mahler selbst dieses Werk genannt. Eine prophetische Äußerung, der Karąj an allerdings nicht bedingungslos folgt. Denn er sucht die leidenschaftlichen, schwelgerischen Momente dieses überreichen Werks heraus, modelliert sie mit unvergleichlicher Hingabe; er schiebt Mahlers tiefe Resignation etwas beiseite. Wo Mahler dumpf und tief melancholisch wird, poliert Karajan wenigstens die Instrumentation auf Hochglanz. Was bei Beethoven („Ero- ica” und „Pastorale“) oft nach oberflächlicher Eleganz und leerem Perfektionismus klingt, gibt Mahler eine eigenwilhge Facette. Und trifft Karajan nicht damit ins Schwarze, charakterisiert er nicht damit unsere Zeit, wenn er mitunter durch Perfektion ersetzt, was eigentlich aus der Tiefe der Beziehungen - zu Welt, Natur, Religion, Mitmenschen - gedeutet werden müßte?

Schwer fällt es auch zu bewerten, welcher der berühmten Pianisten der Solistenkonzerte den Höhepunkt bescherte. War es Maurizio Pollini, der sein Publikum sogar mit extremer Moderne, etwa der 2. Sonate von Bou- lez, zu fesseln vermag? War es Alfred Brendel, der sich mit seinem Abend als einer der wichtigsten Schubert-Interpreten auswies? Denn dieses Maß an totaler Beherrschung, etwa der „Wanderer“-Fantasie oder der großen G-Dur-Sonate, kenne ich selbst bei alteingesessenen Schubert-Interpreten nicht. Wie er Zusammenhänge aufbaut, Klangfarben spürbar zu Bauelementen und Konstruktion hörbar macht, sucht seinesgleichen. Oder war es Svjatoslav Richter, für den Klavierspiel immer mehr zum Akt der Selbstentäußerung wird? Sein Chopin- und Debussy-Programm deckte vor allem eines auf: seinen Trend zum Rückzug, zur Flucht in sich selbst. Das mag der Grund sein, daß er, der fabelhafte Techniker, hauptsächlich einfache Stücke spielt, daß er seinen Wiedergaben alle zu persönlichen Gefühle abräumt und das Äußerste an Schlichtheit anstrebt.

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