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Flammen im Hochland

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Das Hochplateau Tibet, teilweise autonomer buddhistischer Mönchsstaat im Süden Chinas, wird von schweren Unruhen erschüttert. Die Mönche fordern Unabhängigkeit.

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Das Hochplateau Tibet, teilweise autonomer buddhistischer Mönchsstaat im Süden Chinas, wird von schweren Unruhen erschüttert. Die Mönche fordern Unabhängigkeit.

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Heftige Auseinandersetzungen zwischen den volle Souveränität verlangenden Buddhisten in Tibet und der chinesischen Polizei forderten nach Augenzeugenberichten 19 Todesopfer. Schon seit jeher ist diese Region, die mit 1,2 Millionen Quadratkilometern ein Achtel der gesamten chinesischen Landesfläche einnimmt, sehr umkämpft. Die aus dem Flußgebiet des Yangtze Kiang eingewanderten Tibeter schufen ein eigenes Rechtssystem und errichteten die nunmehr bereits tausend Jahre alte Stadt Lhasa mit prunkvollen Bauwerken.

Im 11. Jahrhundert setzte sich der Buddhismus als Staatsreligion durch. In der Folge entstand ein zentralistisch theokratisches Staatsgefüge mit einem Dalai Lama als weltlichem, einem Pantschen Lama als geistigem Oberhaupt. Bereits im 18. Jahrhundert griffen die Chinesen in innertibetische Angelegenheiten ein und errichteten ein Protektorat.

Zu Beginn dieses Jahrhunderts konnten sich die Tibeter wieder unabhängig fühlen, jedoch im Oktober 1950, also genau vor 37 Jahren, wurde jener Haß entfacht, der das „Dach der Welt“ noch heute in Flammen setzt. Mao Zedongs Volksarmee annektierte das Land und errichtete Militär- und Verwaltungsstellen.

Die Wut der militanten lamai-stischen Mönche führte schließlich 1959 zu einem Aufstand, nach dessen blutiger Niederschlagung der nunmehr 14. Dalai Lama, bis heute hysterisch und fanatisch verehrt, Tibet verlassen mußte und seither mit etwa 100.000 Flüchtlingen im Exil im Norden Indiens lebt. Der Pantschen Lama wird dagegen von den Nationalisten des Hochlandes als Verräter bezeichnet, weil er sich auf die Seite der chinesischen Zentralregierung in Peking stellte. Viele Tibeter leben zudem in einer unwirklichen, längst vergangenen Welt. Die zentralistische Theokratie kannte jahrhundertelang keinen Fortschritt. Peking führte die Einsiedler durch Kolonialismus in eine wirtschaftliche und geistige Entwicklung.

Man baute Straßen und Schulen (laut chinesischer „Volkszeitung“ waren vor 1959 etwa 95 Prozent der Bevölkerung Tibets Analphabeten), errichtete ein Ärzte- und Sanitätswesen, ein Informationswesen und förderte die Industrie sowie die Agrarwirtschaft der Region. Außerdem wurde angeblich erst nach dem 59er Aufstand die Leibeigenschaft abgeschafft.

Erst sechs Jahre nach der brutal unterdrückten Revolte wurde den

Tibetern der autonome Status wieder zugebilligt. Trotzdem gab man sich nicht zufrieden. Der 14. Dalai Lama hat im Ausland, besonders in Indien und in den USA, gegen Peking „gehetzt“. Er war somit Initiator der noch immer andauernden Kämpfe zwischen chinesischen Sicherheitskräften und dem fanatischen Klerus Tibets.

Der Verdacht, der Herrscher könnte seine Wünsche nach einer diktatorischen Theokratie unter seiner Führung verwirklicht sehen wollen, liegt für viele Beobachter nahe. Andererseits muß der in seinen Aussagen und seinem Wesen manifestierte Freiheitswille der Tibeter beachtet werden.

Die Rückkehr des Dalai Lama, die längere Zeit erwogen wurde, aber an starken Differenzen zwischen ihm und Peking scheiterte, dürfte nach diesen Ereignissen überhaupt unwahrscheinlich sein. Die Revolte wird freilich für reaktionäre Kreise Chinas ein Argument gegen die 1978 von Deng Xiaoping eingeleitete erfolgversprechende Wirtschaftsreform und Öffnung gegenüber dem westlichen Ausland sein.

Der 13. Parteitag der kommunistischen Partei Chinas, der am 25. Oktober in Peking beginnen soll, wird den weiteren Reformkurs festlegen. In den Monaten davor ist ja die Demokratisierung unter dem liberalen Parteichef und Ministerpräsidenten Zhao Ziyang weiter fortgeschritten.

Konservativen bieten die Unruhen nun einen willkommenen Anlaß, auf die „zu freizügige“ Politik Pekings hinzuweisen und die gefährdete Einheit und Stabilität des Staates anzuprangern. Ein Rückschritt in den Reformbestrebungen der liberalen Kräfte ist zu befürchten.

Der relativ autonome Status Tibets ist in nächster Zeit allein schon durch die Gegenwart chinesischer Sicherheitskräfte in Frage gestellt. Die Folgen der Unruhen— so wird befürchtet—muß das Volk Tibets tragen.

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