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„Flexibles Wohnen“ in Linz-Haselgraben

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Nachstehenden Bericht stellte die „Werkgruppe Linz“ (Arch. H. Frohnwieser, Dipl.-Ing. H. Pammer, Arch. E. Telesko, Arch. H. Werthgarner), die das genannte Projekt entworfen hat, der FURCHE zur Verfügung.

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Nachstehenden Bericht stellte die „Werkgruppe Linz“ (Arch. H. Frohnwieser, Dipl.-Ing. H. Pammer, Arch. E. Telesko, Arch. H. Werthgarner), die das genannte Projekt entworfen hat, der FURCHE zur Verfügung.

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In der Notlage der Nachkriegszeit haben sich Minimalprogramme zur Deckung der Wohnbedürfnisse entwickelt, die in der Regel bis heute im Konzept des sozialen Wohnungsbaues wirken. Die Grundrisse dieser Wohnungen sind als nutzungsfixiert, funktionell bis ins Detail vorbestimmt und in ihrer Größe festgelegt (meist zu klein) zu charakterisieren.

In den Ausstattungsbeschreibungen der Gemeinnützigen Wohnungsgenossenschaften sind Absätze zu finden wie „... Da es sich bei diesem Bauvorhaben um einen reinen Schüttbau handelt, werden Sonderwünsche rein baulicher Art bei den Tragwänden aus baupolizeilichen und statischen Gründen den Vorschriften entsprechend, grundsätzlich nicht bewilligt. Es ist daher zwecklos, an den Vorstand mit derlei Wünschen heranzutreten...“

Die zukünftigen Benutzer der Wohnungen treten als sogenannte anonyme Auftraggeber auf. Ihr Raumbedarf und der gewünschte Wohnkomfort stellen sich dem Planenden als statische Größen dar. Die Förderungsmaßnahmen des Bundes und der Länder orientieren sich ebenfalls an diesen Größen.

Demzufolge stellt sich der Wohnbau dieser Bevölkerungsgruppe als ständige Wiederholung gleicher bzw. gering veränderter Wohnungstypen dar - das Ergebnis sind monotone Stadtbilder als Ausdruck passiv gewordener Bewohner.

Wir glauben, daß es nicht die Aufgabe der Bauwirtschaft sein kann, die vielfältigst differenzierten 4 Woh-

nungsbedürfnisse mit Serien gleicher Wohnungstypen zu decken.

Die Forschungsarbeiten FLEXIBLES WOHNEN I und II sowie der Versuchsbau Haselgraben wurden aus Mitteln der Wohnbauforschung durch das Bundesministerium für Bauten und Technik, Wien, gefördert.

Beim Versuchsbau Linz-Haselgraben gelang die in der ersten Studienphase entwickelte Gebäudeform, bestehend aus einem additiv zusammengesetzten Traggerüst (Elemente 1. Ordnung) mit festgesetzter Ausstattung an Ver- und Entsorgungseinrichtungen (Elemente 2. Ordnung), das nach individuellen Wünschen des Benutzers mittels nichttragender Bauteile (Elemente 3. Ordnung) ausgebaut wird, zur Ausführung.

Auf Grund dieser Konstruktion ist die Zahl der Grundrißvariationen nahezu unbeschränkt. Die Wohnungstypen bewegen sich von der Garconniere bis zur Großwohnung, von der Etagenwohnung bis zur zweigeschossigen Einheit. Entsprechend erster Erfahrungen im Versuchsbau Haselgraben kann man sagen, daß die Flexibilität und die Variationsmöglichkeit von den Bewohnern voll und ganz angenommen wurde.

Es ist bemerkenswert, daß alle Wohnungen von der; Bauverhandlung weg nach den Wünschen der Wohnungseigentümer verändert wurden. Keine der 11 Wohneinheiten gleicht einer anderen.

Änderungswünsche, die auftraten und durch unser angebotenes System abgedeckt werden konnten:

• Änderung der Wohnungsgröße ausgehend von der der Bauverhandlung zugrunde gelegten Planung (Zusammenlegung von zwei übereinanderliegenden kleinen Einheiten, Verschiebung der Wohnungsbegrenzungen in der Ebene).

• Änderungen der Wohnungsgrundrisse (Raumanzahl, Raumgröße, Raumzuschnitt, funktionelle Zuordnung der Räume).

• Änderungen, die Außenwände betreffend (Lage und Größe der Bal-kone und Loggien, Lage der Belichtungsflächen, Ausmaß der Belichtungsflächen). r*(

• Änderungen der Naßgruppen um den Versorgungsstrang (Auswahl zwischen einer vorgeschlagenen Reihe von Bad- und WC-Einbauzellen verschiedener Erzeugerfirmen und dem Einbau konventioneller Sä-nitärgruppen, Lage und Zuschnitt der Küche).

• Festlegung der Ausstattung (Elek-troanschlüsse, Bodenbelag unter Berücksichtigung der akustischen Erfordernisse).

• Die das Haus umgebende Grünfläche wurde geteilt. Den Erdgeschoßwohnungen wurden die vorgelagerten Flächen als Privatgärten zugeordnet, die käuflich zu erwerben sind.

Der Rahmen der Mitplanungsmöglichkeiten wurde von den Wohnungseigentümern voll genützt. Dies scheint uns doch eine gewiße Bestätigung dafür, daß der von uns eingeschlagene Weg an den Bedürfnissen der Wohnungssuchenden nicht vorbeigeht.

Daß sich dadurch das Erscheinungsbild des Objektes änderte - im

Vergleich zum Modell - ist selbstverständlich.

Diese Entscheidungen prägen die Gestalt in den einzelnen Planungsstadien des Hauses, sind ablesbar und nachvollziehbar und tragen zur Identifikation der Bewohner mit ihrem Haus bei.

Auch für die Stadtgestalt erscheint uns diese lebendige Vielfalt innerhalb einer größeren Struktur von Vorteil, wenn man die gesichtslosen, uniformen, neuen Wohnquartiere der letzten Jahre betrachtet.

Dieses Identifizieren mit dem Objekt machte sich schon in der ersten Mitbestimmungsphase bemerkbar und bestimmte das Arbeitsklima während der Planung. Neugierde (Wie macht es der Nachbar?), gegenseitige Anregung führten zur Bildung einer Hausgemeinschaft, die auch gemeinsame Interessen (Sauna, Hobbyraum, Kinderspielplatz, Stiegenvorplätze usw.) diskutierte und der Planung, Bauleitung, Genossenschaft gegenüber vertrat.

Gemeinsame Feste, gegenseitige Einladungen und Nutzung der halböffentlichen Stiegenvorplätze zeigen ein gutes Nachbarschaftsverhältnis an. Wir glauben, daß das Kennenlernen in der Mitplanungsphase mit eine Ursache ist.

Bemerkenswert war auch die

überwiegende Zustimmung der über 200 Besucher, die an einem „Tag der offenen Tür“ das bereits bezogene Haus besichtigten. Die immer wiederkehrende Frage lautete: „Wann wird das wieder gebaut?“ Wir hatten auf Grund des unüblichen Aussehens des Objektes die Ablehnungsquote höher eingeschätzt.

Auf Grund dieser vorläufigen Erfahrungen werden wir das Projekt FLEXIBLES WOHNEN weiterbearbeiten und versuchen, einen Bauträger für eine Wohnhausgruppe zu finden.

Wir glauben, daß FLEXIBLES WOHNEN bei der Entwicklung eines partizipationsfreundlichen Planungsinstrumentariums seinen Platz hat Nur wer bereits im kleinen Bereich Wohnen - mitzuentscheiden gewohnt ist, wird für die Bereiche Nachbarschaft, Quartier, Interesse entwickeln.

Der Wohnunsnutzer hat nach unserer Meinung ein Recht auf Eigengestaltung seiner Wohnung, sowohl der Erstnutzer bei Wohnungsbezug oder bei Änderung seiner Ansprüche, als auch Nachfolger, die vielleicht andere Vorstellungen haben.

FLEXIBLES WOHNEN ist natürlich nur eine der denkbaren Möglichkeiten, diese Wohndynamik zu berücksichtigen.

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