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Fliegende Fahnen

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Indem ich die hinterlassenen Papiere meines verstorbenen Onkels Ren£ Powolny der Öffentlichkeit übergebe, glaube ich, meine Pflicht gegenüber der Firma Just vormals Powolny & Hawlik zu erfüllen, zur Klärung der politischen, ja historischen Rolle meines Großonkels Leopold Powolny alias Gerd Golding beizutragen und schließlich die Erinnerung an den Forschergeist des verstorbenen Verfassers wach zu halten.

Ich habe mit der Veröffentlichung lange gezögert. Unsere Firmengruppe ist in der Welt nicht gerade unbekannt, und es erschien bedenklich, manche bisher unbekannte Einzelheiten unserer Geschäftspolitik mit der erforderlichen Offenheit darzustellen:

Die Firma Just ist in der Branche gut bekannt. Wenn irgendwo in der Welt ein Staat den Beschluß faßt, einen neuen Nationalfeiertag einzuführen, dann vermutet man gleich: die Just stehen dahinter. Und wenn sich dann die Opposition unter ihren Fahnen versammelt und Demonstrationen gegen den neu eingeführten Nationalfeiertag organisiert, dann denkt man in eingeweihten Kreisen wieder an unsere Firma. Es heißt, unser Einfluß reichte bis in die höchsten Kreise der Politik.

Dabei könnte die Firma Just gar nicht alle Staaten und Oppositionen mit Fahnen versorgen. Die Nachfrage ist groß und die Konkurrenz flink, wachsam und hinterhältig. Schlachtschiffe haben wir, trotz ihrer reichlichen Beflaggung, niemals beliefert, und auch die Wimpeln aller Art fehlen aus dem Sortiment. Ihre Herstellung ist arbeitsintensiv und sie dienen entweder der bloßen Dekoration oder den kindlichen Spielen. Auf solche launische, ja verspielte Gebiete des Marktes hat sich die Firma Just nie begeben.

Unsere Aufmerksamkeit galt immer der Leidenschaft im allgemeinen und besonders - was vom Standpunkt des Umsatzes verständlich ist, der Leidenschaft der Massen.

Der Zusammenhang zwischen Gefühlen und Farben ist jedermann bekannt. Manche Menschen bekommen, sobald sie wütend sind, ein rotes Gesicht, und sie erblassen, sobald sie eine schlechte Nachricht erfahren. Was die Haut nicht immer oder nicht immer für alle sichtbar zustande bringt, besorgen die Textilien.

Im Orient ist das Weiß die Farbe der Trauer. Das ist philosophisch begründeter als unsere Trauerfarbe Schwarz. Das Weiß ist das Nichts, ist die Abwesenheit aller Farben, erinnert auch an die Blässe der Toten und der Leute, die eine böse Nachricht erhalten. Schwarz ist die Summe aller Farben. Da sieht man wieder einmal den Unterschied zwischen Orient und Okzident: die Europäer wollen, selbst wenn sie trauern, die Fülle; die Orientalen streben nach dem erlösenden Nichts.

Für die Firma Just ist Weiß und Schwarz kein Problem. Die Trauerabteilung mit ihrem Schwarz hatte mit dem Absatz niemals Probleme. Und was das Weiß betrifft: Wenn der Orient aus verschiedenen Gründen nicht beliefert werden kann, bleibt die Bettwäsche immer noch ein solides Geschäft. Sie führt allerdings auf ein branchenfernes Gebiet. Wir haben freilich auch weiße Fahnen am Lager für den Fall einer Kapitulation. Aber wie oft kapituliert man schon? Die meisten tun so etwas insgeheim, ganz ohne Fahnen. Und wer kapituliert und dazu Fahnen braucht, kann die benötigten Fahnen meistens nicht bezahlen.

Die Firma Just war allerdings auch in solchen Fällen kulant. Daß man bereits im Dreißigjährigen Krieg unsere weißen Fahnen zu Kapitulationen benutzt hat, gehört wahrscheinlich zu den Legenden. Aber im Siebenjährigen Krieg wurden - das ist historisch belegt - viele Ortschaften bereits mit der Hilfe von weißen Fahnen aus dem Sortiment der Firma Just den Belagerern übergeben, und auch unter Napoleon waren dieselben Fahnen - oder neue, die eigens für die glanzvolle Kapitulation vor einem glanzvollen Kaiser angefertigt wurden - in Gebrauch.

An der Herstellung der Napoleonischen Fahnen selbst hatte unsere Firma keinen Anteil, Bonaparte war ein Förderer der heimischen Industrie und hat auf diese Weise die französische Branche hochgebracht. Sie machte mit der Trikolore ohnehin bessere Geschäfte als mit dem Weiß der Bourbonen. Eine weiße Fahne mit einer goldenen Lilie in der Mitte ist kein guter Markenartikel. Sie begeistert nicht, und wird demgemäß auch selten gebraucht. Blau und Rot dagegen ergeben stets einen malerischen Kontrast. Wenn man das Weiß dazwischenfügt, erreicht man sogar eine gewisse optische Spannung. Rot allein ist allerdings für Fahnenhersteller die beste Farbe. Sie ist die Farbe der Auflehnung ebenso wie die des Verbotes. Auf diesem Gebiet hat die Firma Just ihre schönsten Erfolge erreicht. Meine Dankbarkeit für diese Leistung gebührt meinem Onkel Konrad Seill, dem Mann der jüngsten Tochter meiner Mutter.

Beginn eines unveröffentlichten Romanfragments des Autors aus dem Jahre 1988.

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