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Fliegende Kühe am Zaun

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Zu einem nicht-öffentlichen Informationsaustausch über atomare Wiederaufarbeitung hat Wissenschaftsminister Heinz Fischer geladen. Die Deutschen wiegeln weiter ab.

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Zu einem nicht-öffentlichen Informationsaustausch über atomare Wiederaufarbeitung hat Wissenschaftsminister Heinz Fischer geladen. Die Deutschen wiegeln weiter ab.

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Osterreich hatte den zuständigen bundesdeutschen Behörden vor dem Beamten- und Expertentreffen in Wien eine Liste mit Fragen zur geplanten Wie-deraufarbeitungsanlage in Wak-kersdorf übermittelt.

Wichtige Fragen betrafen die durch die Wiederaufarbeitung zu erwartenden Kollektivdosen und, damit zusammenhängend, Berechnungen über die Ausbreitung der in Wackersdorf voraussiehtlieh emittierten radioaktiven Substanzen.

Was die letztere Frage betrifft, so wurde von den deutschen Experten zugegeben, daß das für kleinere Entfernungen zum Ort der Emission - bis zirka 40 Kilometer - leidlich verwendbare „Gauß-Modell“ zur Berechnung des Transports über weitere Entfernungen nicht geeignet ist. Dabei wäre aber gerade der sogenannte Mesoscale-Bereich, die Zone zwischen 100 und 1.000 Kilometer, für Österreich relevant.

Die deutschen Experten meinten aber, bis nach Österreich wäre die Radioaktivität so weit verdünnt, daß „keine signifikanten Konsequenzen“ zu befürchten seien, so zumindest Rolf Gastei-ger von der DWK (Deutsche Gesellschaft für die Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen). Allerdings: Zu beweisen ist diese Behauptung nicht, auch gibt es dazu keine einschlägigen Studien.

Laut Gasteiger müßten die Österreicher einen geeigneten „Quellterm“ (Menge und Art von austretender Radioaktivität) liefern, vorher sei man bei der DWK nicht bereit, Ferntransport-Wirkungen auf Österreich zu berechnen (es handelt sich dabei in der Tat um aufwendige Berechnungen).

Siegfried Specht vom Bayerischen Umweltministerium fügte hinzu, gemäß der rechtlichen Lage können die deutschen Behörden solche Berechnungen von der DWK gar nicht fordern, diese könnten höchstens aus Freundlichkeit trotzdem welche anstellen.

Zur Frage der langfristigen, über die gesamte Betriebsdauer der Anlage und die Zerf allszeiten der Nuklide kumulierten Kollektivdosen bekamen die Österreicher ein etwas seltsames Argument zu hören: Es sei absurd, die Kollektivdosen zu berechnen, weil sich herausstellen würde, daß die sehr langlebigen Isotope, also die von vergleichsweise geringerer Aktivität (je länger die Halbwertszeit, das heißt je langsamer der Zerfall, umso geringer die Aktivität, das heißt die Anzahl der Zerfälle pro Zeiteinheit), dazu beitragen würden.

Für die Berechnung der Indivi-dualdosen nach den amtlichen „Allgemeinen Berechnungsgrundlagen der Strahlenschutzverordnung“ sind hingegen die jeweils am stärksten zur Gesamtaktivität beitragenden Nuklide („Leitnuklide“) heranzuziehen.

Diese indirekte Kritik der deutschen Atom-Experten am sogenannten Leitnuklid-Modell kann durchaus unterstrichen werden, nur ist nicht einzusehen, warum die Frage nach den langfristigen Kollektivdosen deshalb irrelevant sein solL

Auch zur Berechnung der Indi-vidualdosis gab es im Rahmen des Wiener Informationsgesprächs eine aufschlußreiche Diskussion: Die Atombetreiber rühmen ihre „konservativen“, das heißt mit dem ungünstigsten Fall rechnenden Annahmen, sodaß die tatsächliche Belastung in realistischen Fällen immer unter den so berechneten Individualdosen liege.

Als Beispiel für die Art der Berechnung wird gerne der „ungünstigste Auf punkt am Zaun des Geländes“ zitiert, wo die konservativen Belastungswerte dadurch zustande kommen, daß fliegende Kühe ständig an bestimmten Nadelbäumen direkt am Zaun weiden und die von ihnen produzierte Milch das einzige Nahrungsmittel für sich ebenfalls ständig dort aufhaltende Kleinkinder ist.

Auf die Einwände der Österreicher, daß die spezifischen meteorologischen Verhältnisse Salzburgs zum Beispiel (Nordstaulage, Niederschlagsreichtum) die „Mesoscale^-Wirkungen doch auch relevant erscheinen lassen sowie der Hinweis auf die Erfahrungen nach dem Tschernobyl-Unfall (mit biologischen Folgen über mehr als 1.000 Kilometer hinweg), wurde nicht weiter eingegangen. Rolf Randl vom Bonner Forschungsministerium meinte dazu lediglich, die Wirkung von Tschernobyl habe hauptsächlich in Hysterie bestanden.

Daß darüber hinaus die Veröffentlichung von Katastrophenplänen von den deutschen Experten abgelehnt wird, ist aus der inneren Logik von Unternehmen dieser Art verständlich. Dieser Umstand verweist aber auf eine für den „Atomstaat“ typische Facette: Gewisse Bereiche der Gesellschaft müssen von ihrer Natur her der demokratischen Kontrolle entzogen bleiben, weil strukturelle Widersprüche zwischen demokratischer Kultur und immanentem Geheimhaltungserfordernis objektiv bestehen.

Die daraus folgende tendenzielle Ent-Legitimierung einer staatlichen Ordnung, die sich auf ihre demokratische Grundlage beruft, vollzieht sich gerade am Beispiel Wackersdorf überaus anschaulich.

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