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Flirt nach acht Jahren Schweigen

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Seit 1977 herrschte Funkstille zwischen den Tarifparteien und der Regierung in Bonn. Angesichts von 2,2 Millionen Arbeitslosen findet man nach acht Jahren wieder an einen Tisch.

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Seit 1977 herrschte Funkstille zwischen den Tarifparteien und der Regierung in Bonn. Angesichts von 2,2 Millionen Arbeitslosen findet man nach acht Jahren wieder an einen Tisch.

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„Die Bundesregierung hat eine große Chance vertan. Sie findet nicht die Kraft zu einer beschäftigungswirksamen Politik.“ So bewertet SPD-Chef Willy Brandt den Ausgang des Gesprächs, das jüngst Kanzler Kohl in Bonn mit Vertretern des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und den Arbeitgebern geführt hat.

Man kann das auch anders sehen.

Bis vor acht Jahren fanden regelmäßig Treffen von Vertretern der Bundesregierung und der Tarifpartner statt. Bei Gefährdung der großen wirtschaftspolitischen Ziele sollte in „konzertierter Aktion“ versucht werden, die Wirtschaft wieder auf den Pfad des Gleichgewichts zu führen. Diese „konzertierte Aktion“ gab es seit 1977 nicht mehr. Damals hatten sich die Gewerkschaften, tief verärgert über die unnachgiebige Haltung der Arbeitgeber, zurückgezogen. Seither herrschte Funkstille.

Wenn sich nun letzte Woche die Vertreter der Regierung und der Tarifpartner wieder an einen Tisch setzten, dann fanden damit, wie Bundesarbeitsminister Norbert Blüm es formuliert, acht Jahre Sprachlosigkeit ein Ende. Daß man wieder die brennenden ökonomischen Fragen miteinander bespricht, ist allein schon ein Gewinn. Anders läßt sich auch nicht das große öffentliche Interesse an diesem Gespräch erklären.

Lange Zeit herrschte zwischen den DGB-Gewerkschaften und der Regierung Kohl eine eher gespannte, frostige Atmosphäre. Klar: die Gewerkschaftsführer stehen Kanzler Kohl alles andere als nahe. Die meisten tragen das SPD-Parteibuch in der Tasche. Kohl hat denn auch zunächst nicht einmal versucht, engere Kontakte zum DGB zu knüpfen. Ohnehin war er anfangs überzeugt, mit seiner Wirtschafts- und Finanzpolitik der Verläßlichkeit, Stetigkeit und Solidarität der Arbeitslosigkeit rasch Herr zu werden.

Heute sieht die Geschichte anders aus. „Zwar hat der Aufschwung mehr Beschäftigung gebracht. Aber von Vollbeschäftigung trennen uns noch 2,2 Millionen Arbeitslose. Und wenn wir uns im Aufschwung mit hoher Ar beitslosigkeit herumschlagen müssen — was wird dann beim nächsten Konjunkturtief werden?“

Da liegt es schon nahe, die Gewerkschaften ins Gespräch zu ziehen — und ebenso die Arbeitgeber. Gelingt der Abbau der Arbeitslosigkeit nicht, kann man dies nicht mehr allein der Regierung anlasten. Schließlich hat sie ja nichts unversucht gelassen. So etwa mag der Taktiker Kohl denken.

Die Gewerkschaftsführer sind indes nicht von gestern. Natürlich haben sie Kohls Spiel durchschaut. Auf den Leim gehen sie ihm nicht. So hatten die DGB-Gewerkschaften, längst vor dem Dreier-Gespräch in Bonn, für den Oktober eine bundesweite Aktionswoche angekündigt, in der sie klar Front machen wollen gegen die Bonner Regierung und ihre angeblich gefährliche und inhumane Wirtschafts- und Sozialpolitik. Und bei dieser Aktionswoche soll es bleiben.

Das also ist das Umfeld, in dem das Dreier-Gespräch stattfand. Wunder waren ohnehin nicht zu erwarten. Sie haben sich auch nicht ereignet. Die Massenarbeitslosigkeit, von der die Bundesrepublik nun schon seit rund zehn Jahren heimgesucht wird, stand im Mittelpunkt. Sie aber läßt sich nicht einfach wegdiskutieren, ebenso wenig das relativ hohe deutsche Reallohnniveau.

Die Gewerkschaften haben wieder einmal höhere kreditfinanzierte öffentliche Investitionen gefordert. Davon jedoch hält die Bundesregierung nichts. Mit gu tem Grund. In der sozialliberalen Zeit wurden allein 17 Programme mit? beschäftigungspolitischem Ziel abgefeuert. Gebracht hat das nichts - außer einem hohen Berg öffentlicher Schulden und drük-kender Zinslast. Die Bundesregierung möchte auf gar keinen Fall die Konsolidierung der Staatsfinanzen gefährden. Dieser Konsolidierung ist es entscheidend zu verdanken, daß die Zinsen kräftig gesunken sind — ein wichtiges Konjunkturstimulans.

Eine „Beschäftigungsoffensive auf Pump“ wird es nicht geben. Regierung und Arbeitgeber halten nichts von einem konjunkturellen Strohfeuer. Hier, in der Frage staatlicher Beschäftigungspolitik, ist man sich zwar nicht näher gekommen. Aber immerhin hat man sich auf eine Qualifizierungsoffensive geeinigt und das ist nicht wenig.

Der Hintergrund: Chancen am Arbeitsmarkt hat künftig nur, wer eine gediegene Ausbildung mitbringt. Daran hapert es in der Bundesrepublik oft. Gerade die Nichtqualifizierten finden nur schwer einen Arbeitsplatz. Von den Arbeitnehmern ohne Ausbildung sind fast 20 Prozent ohne Job. Eine erschreckend hohe Rate.

In Bonn ist man nun übereingekommen, die Aus- und Fortbildung der Arbeitslosen zu intensivieren. Das ist zumal für die weitere Zukunft wichtig: In einigen Jahren dürften Arbeitskräfte eher knapp werden als Folge des Geburtendefizits. Dann werden sich die Unternehmer gleichsam die Finger nach hochqualifizierten Fachkräften lecken. Was in Bonn vereinbart wurde, ist eine gesamtwirtschaftlich lohnende Investition.

Das Gespräch hat noch mehr gebracht. Regierung und Tarifpartner wollen gemeinsam über die Alterssicherung nachdenken. Die gesetzliche Rentenversicherung zeigt tiefe Risse. Sie muß von Grund auf saniert werden. Wenn sich an dieser Schwerarbeit die Tarifpartner beteiligen wollen, dann sollte man sie daran nicht hindern.

Tiefe Risse kitten

Kanzler Kohl geht schweren Entscheidungen gern aus dem Weg. Darum auch hat er in Bonn die Tarifpartner gedrängt, die notwendige Reform des Streikrechts doch selbst in die Hand zu nehmen. Doch den Gefallen haben sie ihm nicht getan. Das wäre auch noch schöner, wenn sich der Bonner Treff zum Ersatzparlament mauserte. Daß es so weit nicht kommt — dafür werden schon die Gewerkschaften sorgen: allzu engen Kontakt zur Regierung Kohl werden sie sicher nicht knüpfen.

Ob die Gewerkschaften gesprächsbereit bleiben, läßt sich heute noch nicht sagen. Der deutschen Industrie wäre es in jedem Fall lieb, wenn die Gespräche„in realistischer Einschätzung der Verhandlungsspielräume“ fortgesetzt würden. Doch zunächst muß man abwarten, was die DGB-Aktionswoche des Gewerkschaftsbundes bringt.

Der Autor ist Wirtschaftsjournalist beim „Rheinischen Merkur“ in Bonn.

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