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Flöte für Ostafrika

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Scheich Abeid Karume, Erster Vizepräsident von Tansanien W und Diktator auf Sansibar, ist tot. Die Angst vor dem Tod durch Mörderhand hatte ihn in seinen Alpträumen stets verfolgt. Doch auch seine bis an die Zähne bewaffneten Leibwächter haben den | Despoten vor den Kugeln der Attentäter nicht schützen können.

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Scheich Abeid Karume, Erster Vizepräsident von Tansanien W und Diktator auf Sansibar, ist tot. Die Angst vor dem Tod durch Mörderhand hatte ihn in seinen Alpträumen stets verfolgt. Doch auch seine bis an die Zähne bewaffneten Leibwächter haben den | Despoten vor den Kugeln der Attentäter nicht schützen können.

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Daß dieser Mord im Zusammenhang mit einem Rechtsputsch steht, Ist eher unwahrscheinlich. Tansanien, wo die Chinesen derzeit das Mammutprojekt der Tanzam-Bahn finanzieren, vor allem aber der Inselstaat Sansibar, gehören zu den am meisten links stehenden Ländern Afrikas. Doch wurden politische Spannungen in Tansanien in den letzten Monaten an vielen Symptomen erkennbar. Auf Sansibar wurden im Mai des Vorjahres 19 Männer teilweise arabischer Abstammung nach einem Schauprozeß hingerichtet, weil sie angeblich mit britischer Hilfe den Sturz der Regierung Karume geplant hatten.

Der Scheich, ein ehemaliger Matrose bei einer Handelsagentur, war 1954 in die Politik gegangen. Er kämpfte für die Rechte und Interessen der afrikanischen Bevölkerungsmajorität, die — ehemalige Negersklaven — seit Jahrhunderten von der herrschenden arabischen Minderheit unterdrückt und ausgebeutet worden war. Politischen Ausdruck fand sein Bemühen in der Gründung der Afro-S'hirazi-Partei, die schon bei den Wahlen im Jahre 1957 zur stärksten politischen Gruppe der Insel wurde. Wenn Karume zwar auch die meisten Stimmen auf sich vereinigen konnte, besaß dennoch eine Zweiparteienkoalition unter arabischer Führung die Mehrheit der Parlamentssitze.

Diese Situation führte zu immer stärkeren Spannungen. Die Wahlen des Jahres 1963 konnten nur in Anwesenheit britischer Truppen aus Kenia abgehalten werden.

Der Weg zur Volksdemokratie

Am 9. Dezember 1963, nach 83 Jahren britischer Schutzherrschaft (1890 war Sansibar durch einen Vertrag Deutschlands mit Großbritannien im Austausch gegen Helgoland britisches Protektorat geworden), erlangte Sansibar seine Unabhängigkeit. Am 12. Jänner 1964, nur einen Monat später, holten sich die Schwarzen dann, was ihnen bis dahin durch das Taktieren der arabischen Feudalschicht mit den Briten vorenthalten worden war. Am frühen Morgen dieses Tages brach im Sultanat eine der blutigsten Revolutionen der afrikanischen Geschichte aus. Die ursprünglich wahrscheinlich wild losgebrochene Revolte der Unterdrückten gegen ihre Herren schuf ein Vakuum, das es linksorientierten Politikern, wie etwa Scheich Mohammed Babu, der enge Kontakte zu Peking unterhielt, ermöglichte, sich schnell an die Spitze der Revolution zu setzen.

Sansibar wurde Volksdemokratie, regiert von einem Revolutionsrat unter Führung von Scheich Karume. Innerhalb weniger Tage nach jenem grausamen 12. Jänner wurde die Insel zum Ziel hektischer kommunistischer Hilfsmaßnahmen und diplomatischer Aktionen. Neben den Sowjets und den Chinesen waren es vor allem die Ostdeutschen, die sich beeilten, die neue Regierung anzuerkennen und die sofort Hilfsversprechungen machten. Ehe die Welt auch nur zur Besinnung kam, war Sansibar dabei, ein verläßlicher kommunistischer Brückenkopf in Afrika zu werden.

Nur drei Monate nach der Revolution, im April 1964, ging Präsident Julius Nyerere von (damals) Tan-ganjika eine Union mit der Insel ein. Dies geschah nicht zuletzt, um zu verhindern, daß Sansibar — nur 40 Kilometer von Daressalam entfernt — zu einem afrikanischen Kuba werde. Scheich Karume wurde Erster Vizepräsident dieser Föderation. Seither nimmt der Einfluß vor allem Chinas auf dem festländischen Tansania schnell zu. Derzeit sollen sieb etvafeiQttfeiMl 10.0J^:,Ghinesen als Beräter in Armee und Wirtschaft, vor allem auch beim Bahnbau, in Tansanien befinden.

Scheich Karume und sein Revolutionsrat regierten die Insel nahezu ohne jede Einmischung festländischer Behörden. Sein Terrorregime machte Recht und Gesetz auf der Gewürzinsel zur Farce. Die mehr als seltsamen Gesetze des Scheichs sehen etwa die Todesstrafe für Abtreibung vor, ein totales Verbot von empfängnisverhütenden Mitteln, ein Gesetz, das den Mädchen Sansibars verbietet, Ausländer zu heiraten, und besonders auch die Todesstrafe für den Diebstahl von Gewürznelken, dem Hauptexportprodukt der Insel.

Die Bevölkerung beugte im allgemeinen ihren Rücken geduldig unter der Willkürherrschaft des Scheichs, der sich im Laufe der Jahre mehrere minderjährige Araberinnen als Bettgefährtinnen zugelegt hatte. Die zwangsweise Verheiratung von fünf jungen persischen Mädchen mit Mitgliedern seines Revolutionsrates wirbelte vor einigen Monaten zwar beträchtlichen Staub auf, Karume ließ sich durch die Empörung der Weltöffentlichkeit aber von seinen Geschäften nicht abhalten.

Was Karume von den politischen Grundrechten seiner Untertanen hielt, brachte er unmißverständlich zum Ausdruck: die Abhaltung von allgemeinen Wahlen hielt er für ein „Nachäffen kolonialer Einrichtungen“. Auf Sansibar werde es Wahlen frühestens im Jahre 2030 geben.

Allerdings war es Karume gelungen, den Lebensstandard der Sansi-baris zu heben. Die Wirtschaft der Insel ist gesünder als die des festländischen Tansania. Straßen, Schulen, Spitäler und Wohnviertel wurden gebaut, Sportstadien und Kulturpaläste errichtet. Finanziert wird dieses ambitionierte Entwicklungsprogramm zum Teil durch den Export der Gewürznelken, für die Sansibar fast ein Weltmonopol besitzt, und zum anderen Teil durch Kredite und Geschenke aus kommunistischen Staaten.

Der Diktator hatte unzählige Feinde. Es bleibt abzuwarten, ob das Attentat ein Tyrannenmord war, dessen Folgen auf die Innenpolitik der Insel beschränkt bleiben werden, oder ob die Ermordung des Ersten Vizepräsidenten von Tansania nicht auch zu einer schweren Krise in Daressalam führen wird. Dies würde das seit dem Putsch in Uganda vor einem Jahr nicht mehr zur Ruhe kommende Ostafrika zu einem akuten Krisenherd Afrikas machen. Ein altes arabisches Sprichwort sagt: „Wenn Sansibar die Flöte bläst, tanzt ganz Ostafrika.“

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