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Flucht in Sonderwelten

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In der jüngsten Zeit zeigt sich eine gewisse Verdrossenheit mit der naturwissenschaftlich-rationalen Weltdeutung und eine verstärkte Zuwendung zu alternativen Deutungen: zu Parapsychologie, exotisch-mystischen Auffassungen, spiritistischen Praxen …

In diffusen, orientierungsschwachen Zeiten gärt vieles und es ist nicht leicht, Weiterführendes von Absurdem zu unterscheiden und vor allem das rechte Maß und eine proportionierte Mischung von alt und neu zu finden. Solche Zeiten sind Hoch-Zeiten für abweichende Gruppen, die

Aufbruchs- und Erneuerungsbewegungen, aber auch für „Sekten“ und falsche Propheten verschiedenster Art, für widersprüchlichste Daseinsdeutungen und Lebenskonzepte.

Es spricht viel dafür, daß wir mitten in so einer Umbruchzeit stecken. Viele Menschen (gerade junge!) fühlen sich überfordert, sie können die spannungsgeladenen Widersprüchlichkeiten und Orientierungsschwierigkeiten schwer ertragen.

Nicht wenige entwickeln Fluchttendenzen: heraus aus der unbewältigbaren pluralistischen Wirklichkeit, hinein in bergende, geschlossene Sonderwelten, in die ideologisch vereinfachte Deutungswelt von Kleingruppen.

Auch das Okkulte und Magische wird wieder anziehend. Man befragt zur eigenen Entlastung höhere Mächte, das Orakel, die Sterne, die Geister, das Tischerl — die sollen einem sagen, was zu tun ist.

Das eigenverantwortliche Suchen, Entscheiden und Handeln ist angesichts der verbreiteten Orientierungsschwäche nicht mehr so gefragt, man schiebt die Verantwortung lieber ab auf solche hintergründige „Mächte und Kräfte“…

Solche Zeiten des Umbruchs und der Orientierungskrise sind aber auch Chancen der Neubesinnung, der Vertiefung, der Akzentverlagerung und Neuausrichtung.

Vergegenwärtigen wir uns daher einige Züge der christlichen Grundbotschaft: Gott ist kein in sich ruhender Monolith, sondern eine Dreieinigkeit höchst lebendiger Beziehungen („Personen“), fließendes, pulsierendes Leben. Dieser Gott schuf Welt und Menschen, jtveil er dieses, fließende, pulsierende Leben weiterschenken, mitteilen wollte, aus freiem, zuvorkommendem Wohlwollen — nicht aus irgendeiner Notwendigkeit oder Berechnung.

In seiner menschlich unvorstellbar wohlwollenden Souveränität schuf dieser Gott freie Wesen, die nicht vorprogrammiert oder ferngesteuert durch seine allmächtige Vorsehung funktionieren sollten, sondern selber ihren Ursprung, ihren Weg und ihrek Berufung in freier Einsicht entdecken und verwirklichen können, die so in freier Dankbarkeit auf die schöpferische Zuwendung antworten.

Die biblischen Zeugnisse belegen vielfach diesen Grundbestand. In übermenschlich radikaler Geduld läßt Gott Schritt für Schritt die langen Wege, auch Um- und Irrwege, suchen und gehen. Er überläßt seine Geschöpfe aber nicht desinteressiert ihrem Schicksal, sondern geht ihre Wege mit, gibt fortwährend Atem und Hoffnung. Aber er bevormundet und manipuliert nicht, überspringt nie und nimmer das eigene Denken und Tun der Menschen.

Dieser Gott wird unüberbietbar offenbar in Jesus von Nazareth: nicht als politischer Herrscher, nicht als Löser aller sozialen Probleme, nicht als Mirakel-Messias und auch nicht als der allwissende Beantworter aller Fragen und Welträtsel.

Er geht vielmehr ganz konkrete menschliche Wege, bis in die undankbarsten und verachtetsten Winkel hinein, und lebt vor, wie menschliches Leben gelingt: in unverbrüchlich vertrauender Beziehung zum göttlichen Vater und in grenzenloser, zuvorkommender Zuwendung zu seinen Mitmenschen, zeichenhaft besonders zu den Mißachteten, Deformierten und Hoffnungslosen …

Darin liegt eine radikale Befreiung des Denkens und Tuns, damit wird die Urangst endlicher Freiheit erlöst und die Richtung gelingenden Lebens gewiesen: Die spezielle Chance des Menschen liegt in zuvorkommender Zuwendung und schenkendem Austausch, in Mit-Menschlichkeit und Mit-Ge- schöpflichkeit.

Der glaubende Mensch kann sich also auf sein Leben, auf die kleinen und großen Aufgaben der Weltgestaltung, auf die Zukunft einlassen. Er braucht den Tod (von Menschen, aber auch von Lebensformen und Kulturen) nicht verdrängen und darauf auch nicht mit Panik oder lähmender Depression reagieren.

Befreit von der Urangst, kann er die persönliche und gesellschaftliche Wirklichkeit nüchtern und verständig betrachten: Umbruch ist nicht Total-Zusammen- bruch, es gibt im persönlichen und gesellschaftlichen Geschehen nicht nur Niedergang und Unheil, sondern auch Neuwerden, Aufbau und Wachsen des Guten, berechtigte Hoffnung.

Der Glaubende kann und soll alle seine Kräfte, selbstverständlich auch die Gottesgabe des Verstandes, entfalten und betätigen, dialogisch und offen, ohne sich auf eine einzige Rationalitätsform — etwa die kausalrationale- wissenschaftliche — zu fixieren, und ohne den Wahn eigenmächtiger Selbsterlösung und Selbstsicherung.

Der Glaubende ist auch befreit vom Krampf des „Alles-allein- und-alles-aufeinmal-Erkennen- und-Tun-Müssens“. Es genügt sein redlicher Beitrag — sein schrittweises Gehen in der Weggemeinschaft der Kirche und der Menschheit.

Stark gekürzter Auszug aus einem Referat des Linzer Ethikers.

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