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Flucht ins Gebet

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Es wird heute sicher viel zu wenig gebetet. Andererseits wird oft falsch gebetet. Manche beten, um vor etwas zu flüchten.

Flucht ins Gebet, um nicht selber etwas tun zu müssen. Da sieht einer die Not des anderen und betet, doch ohne zu versuchen, selbst zu helfen. Er schiebt gleichsam die Schuld an aller Not auf Gott. Er betet für die Kranken, aber besucht sie nicht. Er bestürmt Gott, den Hunger in der Welt zu stillen, teilt aber nicht sein Brot.

Im Gebet entrüstet er sich über viele Ungerechtigkeiten, kämpft aber nicht gegen sie. So viele schließt er ein in sein Gebet, aber gleichzeitig verschließt er ihnen Herz und Hand. In den Fürbitten der Messen gedenkt man heute der Not so vieler. Wenn jeder, der so betet, auch nur einem hilft, wäre unzähligen geholfen. Das Gebet ist nur ehrlich, wenn der Beter auch bereit ist, etwas zu tun. Am Ende unseres Lebens wird Gott uns nicht nach der Länge der Gebete richten, sondern danach, was wir dem Nächsten getan haben.

Flucht ins Gebet, um mit anderen nicht reden zu müssen. Da schwelt zwischen Menschen schon lange ein Streit. Viel hat sich aufgestaut. Jeder wartet, daß der andere den ersten Schritt zur Versöhnung tut. Der „Frömmere“ beginnt sogar zu beten. Es ändert sich aber nichts. Hat Gott denn das Gebet nicht gehört? Wann schickt er den ersehnten Frieden?

„Wenn Du Deine Opfergabe zum Altar bringst und Dir dabei einfällt, daß Dein Bruder etwas gegen Dich hat, so laß Deine Gabe dort; geh' und versöhne Dich zuerst, dann komm' und opfere.“ (Mt 5,23). Das Gebet ist nur dann wirklich „fromm“, wenn dadurch die Bereitschaft wächst, zu verzeihen, zu vergessen, ohne auf sein vermeintliches Recht zu pochen.

Flucht ins Gebet, um sich von Gott „bestätigen“ zu lassen. Eine große Versuchung ist, sich schon vor dem Gebet sicher zu sein, was Gott erfüllen müßte. Natürlich sagt man: „Dein Willegeschehe“, meint aber: „Mein Wille“. Wer im Gebet nur selber redet und nicht hören kann, wer also Gott gleichsam nicht zu Wort kommen läßt, kann Gottes Willen nicht erkennen. Aber zu glauben, von Gott in seinem „Eigensinn“ bestätigt worden zu sein, ist sehr gefährlich.

Dann ist man nämlich für keine noch so plausiblen Argumente mehr zugänglich. Recht betet nur, wer auch in Kauf nimmt, daß Gott etwas ganz anderes will als man sich wünscht; wer bereit ist, sich im Gebet, wenn nötig, auch verändern zu lassen.

Es wird heute zu wenig, aber auch nicht immer richtig gebetet. Wir alle müßten wieder besser beten lernen!

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