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Flucht nach innen

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Transzendentale Meditation. Hilfe zu neuem Lebensgefühl.“ Ein dicker Guru lächelt milde von den Plakaten und scheint nicht nur das Blaue vom Himmel, sondern den Himmel selbst zu versprechen. Er findet seine Zuhörer, mehr noch, seine begeisterten Jünger. Junge Leute strömen nicht nur zu den Wander-Gurus in Europa und Amerika, sie fahren ihnen nach Indien nach und glauben, in einem Ashram das Ziel des Lebens zu finden.

Das Wort „Meditation“ übt eine besondere Faszination aus, und der Reiz scheint um so größer, je exotischer Meditation angeboten wird.

Aber Meditation ist etwas ganz anderes als ein fremdartiger Rausch. Das „Lexikon für Theologie und Kirche“ erklärt Meditation nüchtern als „Loslösung von einer zweckgebundenen Absichtlichkeit, Erwecken unbefangener (kindlicher) Offenheit, Verkommenlassen der tieferen Seelenschichten und des Eigentlichen der Person. Die .Technik' solcher Meditation kann letztlich nur in der

Ausschaltung des Störenden und in der Disponierung des Subjekts bestehen ... .Versenkung' kann echtes religiöses Mittel sein, ist aber nicht selbst das Heü.“ Hier zeigt sich das Wesentliche christlicher Meditation: Sie will Mittel sein, Weg nach innen, verspricht aber nicht aus sich selbst das Heü. Christliche Meditation dient nur dazu, dorthin zu führen, wo das Heil angeboten wird: zu Gott.

Meditation will eine Hilfe sein, mit Gott ins Gespräch zu kommen, wenn sie in die Stille führt. Es ist bei jedem Gespräch unhöflich und führt letztlich zu nichts, wenn man immer nur selbst spricht, statt auch einmal zu hören. Meditation will von der mono-logen Gebetspraxis wegführen, ob nun vorgefertigte Gebete gesprochen oder eigene Worte formuliert werden. Wir sollen bereit werden zu hören, was Gott uns sagen will. Meditationsmethoden des Ostens können Hilfen sein. Der Jesuit P. Enomiya Lasalle entdeckte in Japan den Wert der Zen-Meditation für das Christentum, denn er erkannte, daß „im Zen die Seele Gott bis an die Grenze ihrer Möglichkeiten entgegengeht.“

Der belgische Priester Francis Acharya, christlicher Guru eines Ashram in Kerala, im Süden Indiens, erschloß die Schätze des Yoga für das Christentum. „Die westlichen Menschen sind hungrig nach Meditation und Kontemplation geworden“, schreibt Acharya, und Lasalle äußert denselben Gedanken: „Das Verlangen nach Meditation ist im Westen wohl niemals so groß gewesen wie in der Gegenwart.“ Er fährt fort: „Der Mensch sucht Schutz in der Gefahr, der Hektik des technisierten Lebens zu erliegen.“

In unserer Welt sind räumliche Entfernungen klein geworden. Wir sind eher gewillt, in fremden Ländern Hilfen zur Bewältigung des Lebens zu suchen, als in der Vergangenheit der eigenen Kultur nachzuforschen. Gerade junge Menschen sind auf der Flucht aus dem materialistischen Alltag.

Der Weg der Flucht nach außen scheint ihnen leichter als die Flucht nach innen. Die Flucht nach innen, die aber nicht in die Isolation führen darf, die als höchstes erstrebenswertes Ziel nicht nur die „Selbstverwirklichung“ anbietet, die nicht auf der Stufe der „Nabelbeschau“ stehenbleibt, sondern die aus der Stille des eigenen Ich zum Nächsten findet.

Wir haben im Abendland große Vorbilder der Meditation, Mystiker wie Johannes vom Kreuz und Teresa von Avila, wir haben einen Ignatius von Loyola und eine Therese von Li-sieux. Gerade diese beiden, der große Heilige des Jesuitenordens und die „kleine heilige Theresia“ aus dem Karmel, zeigen die Bandbreite christlicher Meditation.

Ihnen allen ist Offenheit und Aufnahmebereitschaft eigen, sie alle leben aus dem Pauluswort: „Nicht ich lebe, sondern Christus lebt in mir.“

Hier liegt der wesentliche Unterschied zwischen östlichen Meditationspraktiken und der christlichen Meditation: nicht Bewußtseinsleere, nicht das eigene Ich sind Ziele der Versenkung, sondern die Erfahrung des lebendigen Gottes. Auf dem Weg dahin aber liegen erreichbare Nahziele, liegen die zu wenig geschätzten kleinen Früchte der Meditation: das Offenwerden für die kleinen Freuden, Hellsichtig- und Hellhörigwerden für die Probleme des andern, größere Gelassenheit eigenen Problemen gegenüber. Der Blick für das Große ist nicht mehr verstellt vom Kleinen.

Martin Buber ruft aus: „Die Welt ist voll gewaltiger Lichter und Geheimnisse, und der Mensch verstellt sie sich mit seiner kleinen Hand!“ Meditation lehrt, die Hand sinken zu lassen.

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