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Flucht oder Bewältigung?

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Literatur und Kunst in Kärnten - ein Thema, das paradoxerweise zwingt, über die Grenzen dieses Landes hinauszugehen, die Kärntner Literatur im Ausland aufzuspüren und dann ihre Spuren zurückzuverfolgen. Die „modernen Klassiker“, die in Kärnten geboren wurden, haben ihr Heimatland verlassen, sie wollten „allem, was ich mir nicht vorstellen konnte, auf die Spur kommen“, wie es Handke stellvertretend für andere im Buch „Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms“ fomulierte. Ist Kärnten also nur ein Nährboden für Talente, die sich bald nach bessern Gründen umsehen?

„In diese Stadt ist man selten aus einer anderen Stadt gezogen, weil ihre Verlockungen zu gering waren; man ist aus den Dörfern gekommen, weil die Höfe zu klein wurden, und man hat

am Stadtrand eine Unterkunft gesucht, wo sie am billigsten war. Dort waren auch noch die Felder und die Schottergruben, die großen Gärtnereien und die Bauplätze, auf denen jahrelang Rüben, Kraut und Bohnen, das Brot der ärmsten Siedler geerntet wurden!“ So beschreibt etwa die gebürtige Klagenfurterin und Büchner-Preisträgerin Ingeborg Bachmann ihre Heimatstadt in der Erzählung „Jugend in einer österreichischen Stadt“.'Ein trauriger, melancholischer, versteckt aggressiver Ton hinter einer eleganten Sprachfassade. Ingeborg Bachmann litt an der Trennung von dieser Stadt, wie an einer Trennung von der Mutter, von einem Geliebten, und jahrelang hat sie gegen diese Stadt sich aufgelehnt, hat polemisiert, auch als sie schon in Wien oder in Rom lebte. Ein Symptom für eine ganze Generation von Kärntner Schriftstellern, denen es zu eng war in diesem Land, denen die geistige Auseinandersetzung nicht mehr genügte, denen, um mit der Bachmann zu sprechen, „die Höfe zu klein geworden sind“?

Kärnten als Mutterland, das nach einigen Jahren der Pflege verlassen wird, von revoltierenden Talenten und Genies? Der erste Emigrant war Robert Musil, der seine Kindheit in Klagenfurt verbracht hat und heute als einer der bedeutendsten Schriftsteller des zwanzigsten Jahrhunderts gilt. Dann folgten die Bachmann, Peter Handke, Gert F. Jonke oder die Maler Maria Lassnig und Herbert Böckl, um nur einige zu nennen. Und eines fällt sofort auf: Allen diesen Künstlern ist eine spezifische Thematik gemeinsam. Die Auseinandersetzung mit der Kindheit, mit den subtilen Repressionen des ländlichen Lebens, die Auseinandersetzung mit der Mutter. Die Suche nach einer Identität, weil man die Problematik der eigenen entwurzelten Existenz dumpf spürt, weil man die Kindheitsverdrängungen, die eng mit dem sozialen Raum Kärntens verknüpft sind, aufarbeiten wilL

In der Erzählung „Der Sturz des Vaters“ von Gert F. Jonke heißt es ganz lapidar: „Mein Vater ist Vom Dach des Hauses heruntergefallen und hat sich das Genick gebrochen. Er war auf der Stelle tot.“ Ein einfacher, scheinbar beiläufig hingeschriebener Satz, und doch - hier bricht eine verdrängte Negativbeziehung zum Heimatland auf, ein Erlebnis, das vielleicht Schuldgefühle evoziert.

Die permanente Auseinandersetzung, die man aus der Entfernung vollzieht. Auf der Flucht nach vorne sozusagen. Man läßt die Aktualität der Gegenwart beiseite und bricht Vergangenes auf, Schmerzliches. Wenn etwa Jonke in seiner neuesten Erzählung „Schule der Geläufigkeit“ das Erlebnis des Eingeschlossenseins thematisiert, das Gefühl, in einem dunklen Raum abgekapselt sein, aktualisiert er ein Jugendtrauma, setzt ein Symbol für seine Situation in seiner Heimat, in seiner Familie.

Wie auch Peter Handke, der vielleicht prominenteste und am besten vermarktete Kärntner Schriftsteller, in seinem besten Buch „Wunschloses Unglück“ nicht nur die Situation und das Leben seiner Mutter beschreibt und darlegt, sondern seine Mutterbeziehung beschreibt und sprachlich zu bewältigen sucht. Beiden Autoren ist die „Flucht“ gemeinsam, die Auseinandersetzung auf Distanz, die spontane Aggressivität kanalisiert und scheinbare Gelassenheit und Abgeklärtheit vorspiegeln soll. Die Schatten des Heimatlandes liegen unübersehbar auf den Schriften dieser Autoren. Sie sind gegangen, weil es ihnen zu eng wurde, die Verletzungen der Beengtheit aber haben sie immer noch nicht überwunden.

Die Kärntner Autoren haben sich selten mit den aktuellen Problemen des Landes auseinandergesetzt, aus Angst vielleicht, aus Schuldgefühlen. Die, die im Land geblieben sind, haben sich entweder entmutigen lassen und sind in schönfärberische preusokriti-sche Reisebeschreibungen regrediert, wie etwa Humbert Fink, oder haben sich in-Dialektkitsch verkrochen wie die Haus- und Hofliteraten Lorenz Mack und Wilhelm Rudnigger.

Die anderen, die Wesentliches zu sagen haben, sind in die innere Emigration gegangen. Ein fatales Beispiel da-

für ist Christine Lavant. Sie hat sich zurückgezogen in einen scheinbaren Elfenbeinturm, hat ihre Gedichte und Erzählungen hermetisch verschlüsselt, hat sie einer aktualisierten Interpretation unzugänglich gemacht, die Auseinandersetzung ins Mystische, Seelenhafte verlegt. Die Lavant hat Literatur im besten Sinn geschrieben, doch extrem verinnerlichte, abgeschlossene Literatur, und ist damit denselben Weg gegangen wie Handke, Bachmann oder Jonke. Ihre Flucht war nur versteckter, weniger offensichtlich, -ihre Distanz nicht räumlich, sondern psychisch. „Inhere Emigration“?

Die Grazer Autoren hingegen zum Beispiel sind in ihrem organischen Lebensbereich geblieben, haben sich

polemisch, aktuell politisch mit ihrer Stadt auseinandergesetzt, haben das Moment der Flucht in Aggression umgewandelt.

Die Kärntner Literatur steht dagegen als Literatur der Emigration, des Ausweichens und des permanenten Zurückkehrens in die Heimat der Jugend, der Kindheitsverletzungen. „Praktisch herrschten noch Zustände wie vor 1848, gerade, daß die formelle Leibeigenschaft aufgehoben war“, heißt es an einer Stelle im „Wunschlosen Unglück“. Hier wird eine Vergangenheit beschworen, die es nicht mehr gibt, deren innere Realität aber noch aktuell ist. Eine Vergangenheit, die Schuldgefühle evoziert, Schuldgefühle, weil man sich nicht gestellt hat. Die Stellungnahmen aus der Entfernung verflachen zu Eingeständnissen zum Selbstmitleid, zur Selbstbespiegelung. Darum ist diese Emigrationsliteratur auch eine extrem narzißtische Literatur.

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