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Flucht vor dem Tod

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„Das Sterben ist das wichtigste Ereignis des Lebens“: Der Satz wurde vom Marburger Kirchen- und Dogmengeschichtler Emst Benz beim Salzburger Humanismusgespräch 1978 ausgesprochen. Wir geben den auf Sterben und Tod bezogenen Teil seines Referates im folgenden als Besinnungsanregung für Allerseelen wieder. Er ist dem aufregenden Band „Salzburger Humanismusgespräche - Hoffnung in der Überlebenskrise?“ (Hrsg. Oskar Schatz, Styria) entnommen.

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„Das Sterben ist das wichtigste Ereignis des Lebens“: Der Satz wurde vom Marburger Kirchen- und Dogmengeschichtler Emst Benz beim Salzburger Humanismusgespräch 1978 ausgesprochen. Wir geben den auf Sterben und Tod bezogenen Teil seines Referates im folgenden als Besinnungsanregung für Allerseelen wieder. Er ist dem aufregenden Band „Salzburger Humanismusgespräche - Hoffnung in der Überlebenskrise?“ (Hrsg. Oskar Schatz, Styria) entnommen.

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Wie fragwürdig die Einlösung der Verheißungen des Fortschritts ist, das tritt besonders deutlich hervor in der modernen Einstellung zum Tod. Es gab auf dem Gebiet des Fortschritts im Kampf gegen den Tod mutige Anhänger, die einen Amoklauf gegen diesen Feind unternahmen. Man versuchte, die scheinbar so allmächtige Waffe der Technik einzusetzen, um auch diesen letzten Feind zu bekämpfen.

Der russische Religionsphilosoph Rosanov hat seinen materialistischen Zeitgenossen das baldige Gelingen einer technisch induzierten Auferstehung verheißen. Die Gerontologen unternahmen heroische Versuche, das menschliche Lebensalter mit pharmakologischen und diätetischen Mitteln immer höher zu schrauben und die Stunde der Wahrheit hinauszuschieben; durch Einfrieren der Toten versuchte man, den Leichnam für eine spätere Zeit zu konservieren, in der es möglich sein würde, mit Mitteln einer fortgeschritteneren medzinischen Technik den nochmals Aufgetauten wiederzubeleben und zu heilen. Man versuchte den Mumien der Pyramiden das Geheimnis ihrer möglichen Wiederbelebung zu entreißen.

Alle diese heroischen, zum Teil absurden Versuche sind gescheitert. Die geläufigste und armseligste Antwort unserer modernen technischmaterialistischen Zivilisation auf das . Phänomen des Todes besteht darin, das Faktum des Todes nach Möglichkeit zu ignorieren und zu verschweigen. In der Verdrängung des Todes hat es unsere Zeit zu einer erstaunlichen Perfektion gebracht.

Sie fängt an mit der Verdrängung des Todes aus der Sprache. Das Phänomen des Todes wird nach Möglichkeit verschwiegen oder mit harmlosen Worten umschrieben und bereits sprachlich bagatellisiert. Ein weiterer „Fortschritt“ besteht in der Verhinderung einer Konfrontation mit dem Tod durch die Behandlung des Sterbenden. Das Sterben wurde in die Sterbezimmer der Kliniken und Spitäler verlegt. Das Sterben als wichtigstes Ereignis des Lebens, der Abschied des Sterbenden von der Familie, die sich um das Sterbebett versammelt, ist ein seltenes Ereignis geworden.

Die Kunst zu sterben, die ars mo- riendi, früher ein Gegenstand der oft täglich geübten Meditation des Gebetes, konnte sich gegen die Praxis der medizinisch begründeten Injektion von schmerzstillenden und beruhigenden Mitteln nicht durchsetzen. Die Praxis der pharmazeutischen Erleichterung des einsamen Sterbens in einem verdämmernden Bewußtseinszustand hat sich mehr und mehr durchgesetzt.

Auch in seiner äußeren Erscheinung wurde der Tod aus dem Stadtbild verbannt. Den ersten Auftakt bildete die Loslösung des Gottesak- kers von der Kirche, die durch 'die Bevölkerungszunahme erfordert wurde. Der Friedhof hatte noch sichtbar den Eindruck der Zusammengehörigkeit der Gemeinde der Töten und der Lebenden in dem einen mystischen Leib Christi vermittelt. Jetzt aber lagen die Friedhöfe weit draußen im Weichbild der Städte; der Zusammenhang zwischen der Gemeinde der Lebenden und der Toten war gelöst, der Besuch der Gräber erschwert.

An Stelle der langen, langsamen, feierlichen Beerdigungszüge mit ihren schwarzbehangenen Pferdegespannen und ihrem pompe funebre huschen unauffällig schwarzlak- kierte Limousinen der Bestattungsfirmen durch den Stoßverkehr, kaum die Besonderheit ihrer Fracht verratend. Es bleibt keine Gelegenheit1 mehr wie bei den früheren Beerdigungszügen, daß jeder, der einem Leichenzug begegnete, den Hut zog, ob der Verstorbene ein Bekannter war oder nicht, und dem Tod seine Verehrung bezeugte - „si saluta la morte“. Die Beerdigungsansprachen verrieten immer mehr die Verlegenheit, die der Überlebende dem Tod gegenüber empfand.

Es kam schließlich zu einer gegenläufigen Entwicklung, daß sich immer mehr Stimmen gegen die sich ausbreitende Entwürdigung und Entpersönlichung des Todes erhoben. In den Vereinigten Staaten trat eine neue Wissenschaft hervor, die sich mit dem Tod und mit dem Sterben beschäftigte, die Thanatologie. Aber gerade hier wurde eine andere Schwierigkeit einer wissenschaftlichen Bewältigung des Todes sichtbar, denn die psychoanalytisch durchdachten Methoden der Betreuung von Sterbenden konnten ebenso zu einer fortschrittlichen Form psychologischer Euthanasie mißbraucht werden wie zu einer echten seelsorglichen Sterbehilfe.

Eine besondere Tragik der modernen Situation besteht darin, daß wir in dem Maße, in dem wir versuchen, uns von dem Anblick des Todes und dem Gedanken an ihn gedanklich,sprachlich und visuell zu befreien, gerade durch unsere moderne technische Zivilisation dauernd mit dem unerwarteten und höchst unerwünschten Erlebnis des Massentodes konfrontiert werden.

Der Anblick von Massenunfällen beim Absturz von Flugzeugen, bei Eisenbahnunglücken, bei Serien von Autounfällen, bei Giftverseuchung der Atmosphäre, bei Überschwemmungen und Erdbeben scheint uns die Kläglichkeit unserer Versuche recht demonstrativ vor Augen zu führen, den Tod zu minimalisieren und als unangenehmen Einzelgast aus unserem Leben zu verdrängen. An Stelle der besiegten altmodischen Seuchen breitet sich der Krebs in unserer Mitte aus.

Auch hier stellt diese Nichteinlösung einer Verheißung des Fortschritts eine Herausforderung der Religion dar. Der Tod stellt den Menschen unausweichlich und ganz abgesehen von seiner jeweiligen bisherigen intellektuellen Einstellung vor die Frage nach dem Sinn seines Lebens; er läßt seine Beziehungen zu seinen Mitmenschen, seinen Geliebten, seinen Verwandten, Freunden, auch seinen Gegnern und Feinden in einer ganz anderen aktuellen Weise hervortreten; er stellt das Problem von Schuld und Sühne, er erweckt die Frage der Vergebung und der Versöhnung, er führt hinein in die letzten Tiefen unserer Begegnung mit unseren Mitmenschen und mit dem transzendenten Grund unseres Lebens.

Gerade hier ist an die Religion die Forderung gestellt, traditionelle Antworten auf diese Fragen neu zu durchdenken, neue Antworten zu erarbeiten, die unseren veränderten Erfahrungen mit dem Sterben und mit dem Tod entsprechen und Genüge tun…

Die Kirche sollte den Mut haben, dem Tod seine menschliche und göttliche Größe, seine Bedeutung für das Leben des einzelnen wie der Gemeinschaft wiederzugeben im Blick auf den, der als der Erstgeborene unter den Toten, als der erste der Auferstandenen uns vorgestorben und auferstanden ist und dem Sterben und dem Tod seine einzigartige Würde als Anbruch der Auferstehung gegeben hat.

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