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Flügellahme Möwe

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Tschechow bemängelte bei der Wiedergabe seiner Stücke durch Stanislawski eine Verfälschung ins Rührselige. Dieses Abrücken des Autors von Aufführungen, die theatergeschichtlich berühmt wurden, wirkt nach, treibt mitunter Regisseure zu Gewaltsamkeiten. Vor einem Jahr glaubte ein tschechischer Spielleiter das Stück „Die Möwe“ in Basel schwankhaft spielen zu müssen. Im Theater in der Josefstadt versucht ein anderer, sehr bekannter tschechischer Regisseur, Jan Grossman, die derzeit vorgeführte Inszenierung dieses Stücks vom Szenischen her umzufunktionieren.

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Tschechow bemängelte bei der Wiedergabe seiner Stücke durch Stanislawski eine Verfälschung ins Rührselige. Dieses Abrücken des Autors von Aufführungen, die theatergeschichtlich berühmt wurden, wirkt nach, treibt mitunter Regisseure zu Gewaltsamkeiten. Vor einem Jahr glaubte ein tschechischer Spielleiter das Stück „Die Möwe“ in Basel schwankhaft spielen zu müssen. Im Theater in der Josefstadt versucht ein anderer, sehr bekannter tschechischer Regisseur, Jan Grossman, die derzeit vorgeführte Inszenierung dieses Stücks vom Szenischen her umzufunktionieren.

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Was Autoren über ihre Werke sagen, nimmt man auf jeden Fall gerne zur Kenntnis, es stimmt aber keineswegs immer. In einem Gespräch mit dem Dichter Gorodetski wandte sich Tschechow im Hinblick auf seine handlungsarmen Stücke gegen alles Theatralische mit der Begründung, daß man sich im Leben nicht an jeder Ecke eine Kugel in den Kopf jage. Dennoch schließt die „Möwe“ mit einem Knalleffekt, der junge Kostja erschießt sich. Weil er unglücklich verliebt ist? Weil ihn seine Dichtungen nicht befriedigen? Die Motive sind hier nicht recht glaubhaft. Und die junge Nina, deren Sinnbild die von Kostja erlegte Möwe ist, hängt sich an den Erfolgsschriftsteller Trigorin, wird von ihm verlassen. Ergreift ihr Schicksal? Keineswegs. Die anderen Gestalten? Alle sind hervorragend gezeichnet, aber sie packen nicht. Es ist das Insgesamt, die subtile Seelen-landschaft, in der trotz ständiger Selbstaussagen Unausgesprochenes spürbar wird, durch die das Stück wirken kann.

Eben dies zerstört Grossman völlig. Schon das Bühnenbild von Vladimir Nyvit verhindert eine geschlossene Wirkung. Da gibt es völlig unmotiviert vier sehr schlanke Säulen, die offenbar ins Endlose ragen, da gibt es eine mächtige Treppe im Hintergrund, die nirgends hinführt, nur dekorative Auftritte und Abgänge ermöglicht. Daß der erste Akt in einem Park spielt, deutet abstrakt grünes Schimmern im Hintergrund an. Dazu unbeholfen Simultanes: Eine steinerne Parkbalustrade bleibt auch dann stehen, wenn dahinter die Vorgänge in Wohnräumen spielen.

davor kommt einer mit Regenschirm. Wird von Liebe gesprochen, macht Grossman in Stimmung, und es ist Musik aus Janäceks „Sinfoniettea“ zu hören. Das ist arg.

Doch gibt es beachtliche schauspielerische Leistungen. In Anaid Iplicjian lernt man in der Rolle von Kostjas Mutter eine attraktive, damenhafte Darstellerin kennen. Sieghardt Rupp gibt ihrem Liebhabar, dem Erfolgsschriftsteller, diskretes Profil. Die innere Zerfahrenheit des Kostja macht Rainer Artenfels glaubhaft, dagegen spürt man bei Susanne Granzer als Nina zu sehr Mache. Einen alten Staatsrat verkörpert glaubhaft Otto Collin, sehr beachtlich überzeugt Brigitte Neumeister als stets leidgetränkte Mascha. Doch was nützt dies? Die Leistungen schließen sich zu keiner zwingenden Gesamtwirkung, die bei Tschechow in Zwischentönen liegt. Hier wird nicht Dichtung vermittele.

Das Stück „Abaelard und Heloise“ von Ronald Miller brachte das Volks-theater im heurigen Sommer bei den Bregenzer Festspielen. Diese Aufführung ist derzeit im Stammhaus am Weghuberpark zu sehen. Die FURCHE brachte in Nummer 32 eine Besprechung der Premiere.

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