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Fluidum einer Stunde

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Es ist das Eigentümliche an man-cherart Erlebnissen, daß man an ihnen nicht teilhaben muß, um ihrer in-ne zu werden, sie zu behalten, zu bewahren, im Nachvollzug zu genießen über Jahr und Tag hinweg.

So vereinnahmte des Josef Wasserbauer Nase im ersten Jahfzehnt seines Lebens die Düfte von Kaffee und Zigaretten und vergaß sie nie mehr. Aber nicht nur die Nase, auch die Augen erinnern sich, die Ohren wissen davon und sogar die Hände bewegt ein Ahnen. Ungeheuer muß die Verzauberung dieser Stunde gewesen sein, die zu Zeiten sich wiederholte wie alle Riten des Tages, daß sie frisch geblieben ist, leuchtet, nein: duftet, wie zum ersten und letzten Male, die übrigens nicht feststellbar sind. Es gibt keinen markierten Beginn und kein Zeichen für Ende, wenn es auch gewiß ist, daß alles lange vorbei, so lange dahin ist. Oft und immer und dann nie wieder bestimmen die Situation.

Des jungen Wasserbauer platonischer Kaffee- und Zigarettengenuß mit all seiner Stimulierung hängt an der Küche seiner Großmutter zu Graz, Schießstattgasse 47/L

Gott weiß, daß auch in den anderen Räumen dieser Wohnung Kaffee getrunken und geraucht worden ist, von diesen und jenen Leuten - es ließe sich davon erzählen -, aber zur Zelebration wurde es nur in der Küche und auch da und dann nur in der Stunde nach dem Essen, wenn Geschirr und Besteck gesäubert und weggeräumt waren und die Herde, der für die Kohle und der für das Gas, in feuchtgewischter Sauberkeit glänzten.

D ie in Rede stehende Küche war ein langer, in südwestlicher Richtung in eine Balkontüre mündender Schlauch, hoch und kalt, von der Großmutter wenig geliebt und winters an mannigfachen Erkältungen schuldtragend. Man betrat sie vom Vorzimmer aus dutch eine Tür, die der nördlichen Schmalseite anstieß, verglast und mit Tüllgardinen verhangen war und hatte zur linken Hand sogleich eine weiße Kohlenkiste, deren Deckel eine beliebte Sitzgelegenheit war. Voran stand der gekachelte Herd, dem der vierflammige Gasherd mit Backrohr sich anschloß. Zwischen diesem und einer Kredenz war gerade für ein Stockerl Platz, eine Sitzgelegenheit auf vier Füßen in Stuhlhöhe, jedoch ohne Lehne. Rechts neben der Türe stand ein Tisch, danach ein SesseK dessen Sitzfläche durchlocht war-wir werden noch hören, warum das von Bedeutung ist - und schließlich ein tischhoher Kasten mit Fächern und Laden für Geschirr und Lebensmittel. Nach ihm führte eine Türe in die Speisekammer - nur Speis genannt -, ehe die untere Schmalseite von der doppelten Balkontüre eingenommen wurde, die, der Kredenzwand zu, nur mehr für Wasserleitung und Ausguß Platz ließ.

An diesem Ausguß ermaß man, daß das Haus alt war, schon gestanden hatte, als das Wasser noch aus dem Brunnen im Hofe gebracht worden war und es als besonderer Luxus galt. Schmutz- und Spülwasser nicht wieder stiegenab zu tragen, sondern durch ein in den Boden eingelassenes Abflußrohr hofwärts fließen zu lassen.

Diese Zeit war überwunden und über ihrem Relikt Wasserhahn und Ausgußbecken montiert, aber dem Kinde schien es wunderbar, doppelt genießen zu können und es hing dem Wasser im Glase besonderer Reiz an, das man ungestraft in dieser Ecke bo-denwärts schütten konnte und das sich verlief unter leisem Gurgeln. Zuweilen entstiegen dem trockenen Rohr rote Ameisen, von der Mündung im Hofe aufkletternd, und erregten des Kindes Neugier, der Großmutter Mißbehagen, dem sie in einer

Sodalösung Ausdruck verlieh, die sie kanalwärts strömen ließ, den ungebetenen Gästen Sintflut und Höllenfahrt bereitend.

Die Großmutter liebte die Küche nicht, dem Kinde war sie durch der Großmutter Anwesenheit überhöht, Teil ihres Wesens und Wirkens, Symbol ungebundener Zeit, Raum, in dem es glücklich war. So relativ ist die Aura, die Wänden anhängen mag und Gegenständen, die sie umschließen.

Die Attraktion der Stunde nach Tisch lag bereits in den Vorbereitungen. Auch diese, unterschieden von heimischer Gewohnheit, dienten der Steigerung des Genußes. An der Schmalseite des Oberteiles der Kredenz, die zum Gasherd hinsah und von ihm durch das schon erwähnte Stockerl getrennt war, hing eine Kaffeemühle, mit dem Holz dreh- und zugfest verschraubt. Der Behälter für die Kaffeebohnen war aus weißem Porzellan, dem blau das Wort „Kaffee" aufgemalt war. Der Deckel war Nickel, mit Schraubgewinde und Gummiringdichtung, das Aroma des Inhaltes zu wahren. Von der eigentlichen Mühle war wenig mehr als die Kurbel zu sehen und die Metallschiene, in die das Fangglas eingeschoben waT, mit Maßskala für Menge und Gewicht, immer etwas bräunlich von dem in sein Inneres sinkenden Staub aus gemahlenen Bohnen.

Die Kurbel dieser Mühle zu drehen, war des Josef Wasserbauer großes Vergnügen, gerne und oft geübte Pflicht und aktive Teilnahme an dieser Stunde. Er übertrieb im wörtlichen und im bildlichen Sinne die Drehungen der Kurbel, weil er zu gerne dem Geräusch des Zerniahlens zuhorchte, das Mahlgut ins Glas fallen sah, daran roch und es schließlich in das kalte Wasser kippte, daß die Großmutter in einem Topf auf die Gasflamme setzte.

Auch dies erforderte Josefs Teilhabe, mußte doch der Hahn gedreht werden, das Streichholz gerieben. Mit leisem Puff entzündete sich das entströmende Gas, leckte mit violetten und blaßblauen Zungen zur Höhe, wurde vom Boden des Topfes niedergedrückt und züngelte zur Seite heraus und ringsum an ihn empor.

Der Kaffee nach Tisch war ein Hä-ferlkaffee, ohne Maschine, ohne Filter- beide traten zum Jausenkaffee in Aktion - und wurde kalt zugestellt, und der Topf, das Häferl eben, mit einem Deckel gedichtet: den Duft zu' wahren, die Blume zu bergen, deren strömender Hauch doch schon den Raum füllte.

Ausnahmen jedoch erheben ein tägliches Geschehen zum Fest. Und so fiel es gewissen Tagen zu, sich zu überhöhen. Dies geschah dann, wenn grüne Kaffeebohnen ins Haus gebracht worden waren, eingelangt von frischer Ernte, und in der jeweils benötigten Menge, keinesfalls darüber hinaus, selbst gebrannt, warm gerieben, kalt zugesetzt, zweimal zum Wallen gebracht, und mit einem Schluck Wasser kalt abgeschreckt, zum Setzen weggestellt wurden.

In kupferner oder eiserner Pfanne wurden diese Bohnen ans Feuer gebracht und mit hölzernem Löffel gerührt und gewendet, unaufhörlich und umsichtig, daß ja keine Seite brauner oder gar schwarz werde. War der heikle Vorgang beendet, wurde die Pfanne zugedeckt, mit dicken Tüchern um- und eingehüllt, denn der Kaffee sollte langsam seine Hitze verlieren - in ihrem Nachdunst zur vollen Blume reifen. Ach, dieser Rauch, der blauend der Pfanne entstieg und die Wohigerüche Arabiens - oder waren es die Brasiliens?-entflammte, ja, so muß es heißen, denn sie schlugen glutend den Wartenden entgegen.

Gleichviel ob die Stunde den braunen oder grünen Bohnen gehörte, war sie noch von einem anderen Rauch durchwölkt, der dem Tabak entlockt wurde. Anders im Aroma, von anderem Geschmack teilte er mit dem Aroma des Kaffees die runde Fülle zufriedener Augenblicke, in täglicher Wiederholung stimulierte er mit diesem die müden Geister jenseits der Tagesmitte.

Arbeit getan, sang die Gasflamme unter dem Häferl, fand Großmutter Zeit, ihren Platz auf dem Stockerl einzunehmen, zwischen Gasherd und Kredenz, auf diese gestützt, an jenen gelehnt in die Tasche der Schürze zu greifen und den dünnen Karton nebst einer Schachtel Zünder vorzuholen. Der Karton war rosa in manchen Jahren und es stand „Da-mes" darauf, später auch von einem ockergetönten Grau, auf dem in Goldschrift „Moeris" prangte. Es waren Zigaretten von schlanker Form mit langem Päppmundststück und waren zu zwanzig gepackt und in Silber- oder Goldfolie gebcttftt. Auf diese war des Josef Wasserbauer Begehrlichkeit gerichtet, sollte er Silberpapier doch sammeln (für die Negerkinder in der Mission), wie er es von den Franziskanern zu Villach gehört hatte, denen er auch die daraus gedrehte Kugel mitbringen wollte, würde sie groß genug sein.

Blau stieg der Rauch vom glimmenden Ende der Zigarette und grau floß er von den Lippen der Großmutter, entströmte den Nasenlöchern und schwebte in vergänglichen Ringen über Herd und Tisch im Raum. Er schwebte noch und wurde neu hervorgebracht, während Zug mit Schluck abwechselte, war das erquickende Schwarz doch inzwischen längst in Tassen gefüllt worden.

Jeder wird bemerkt haben, daß hier nicht eine bestimmte, eine einzelne Stunde ihre Szene hat, daß vielmehr die Summe vieler, nicht gezählter und nicht zählbarer Stunden, ihr einziges Gesicht aus der Zeit hebt, die zurückebbt für eine kleine Weile, für den Moment dieser Betrachtung und eine Sandbank auftauchen läßt aus allem Strömenden, ein Eiland, eine Insel, auf der das Glück Heimstatt hatte.

So waren die Beschäftigungen, denen sich Josef Wasserbauer in diesen Stunden ergab, verschiedene, seinem jeweiligen Alter angemessene.

Zu sehr früher Zeit liebte er es -wir wissen um einen tischhohen Kasten für Geschirr und Laden mit Lebensmitteln -, im Schutze der geöffneten Tür Salz mit Frank (ein Kaffee-' Schwärzungsmittel) zu mischen, oder Zucker mit Mehl zu vermengen, auch die Geschirre herauszuräumen. Schon später, aber noch in Kinderschuhen, zog er den durchlochten Sessel vor, durch dessen Sieb er Streichhölzer fallen ließ, eine Tätigkeit, die auf lebhaften Widerspruch des Großvaters stieß, der - obwohl an der Kaffeestunde nicht teilnehmend, er hielt Mittagsschlaf - manchmal zu früh die Küche betrat und sich die verstreuten Zünder sich ärgernd ansah, auch der Meinung Ausdruck gab, Kinder, die mit Feuer spielten, näßten nachts das Bett.Auch dozierte er gerne: „Messer, Gabel, Scher* und Licht sind für kleine Kinder nicht." Dies mochte Josef nicht glauben, auch näßte er nicht das Bett, obwohl er täglich das Streichholz spielte.

Schließlich kamen Zinnsoldaten zu ihrem Recht, die auf der Tischplatte marschierten, ritten und paradierten, die Frühjahrsparade am Ring wiederholten, die zu dieser Jahreszeit gerne gesehenes Schauspiel war.

Zuletzt war Josef auch Zuhörer und nahm teil am Gespräch. Dazu war er groß genug geworden, wenn auch nicht alt genug, Kaffee zu trinken und Zigaretten zu rauchen, wie er es schwer erwartete.

Großmutter hatte vier Kinder und fünf Enkel. Zählte man sonstigen Anhang dazu, konnte es sein, daß die Küche barst, denn waren es auch nie alle, so doch zuweilen viele von ihnen, die sich zum Schwarzen hier einfanden. Den tranken alle. Rauchen war der Großmutter Vorrecht, die Töchter enthielten sich des Giftes, die Söhne teilten es mit ihr, doch war zumeist nur der ältere auf kurzen Sprung nach Tisch zu Gast. Onkel Max, einäugig seit dem Kriege, mal mit schwarzer Augenbinde, mal mit Gtasauge und Monokel, war des Interesses sicher. Lebhaft erzählend, von Politik und Gericht, dessen Rat er war, Journalist aus Leidenschaft überdies, trank er den Mokka stehend oder auf und abgehend und so mußte es passieren, daß des Josef Wasserbauer Mutter den Deckel der Kohlenkiste im Eifer des Zuhörens" offen ließ, der Onkel rückwärtsschreitend überraschend auf ihr Platz nehmen wollte und tiefer und tiefer sank, Tasse und Zigarette in Händen, während die Lippen geöffnet blieben, obgleich die Zunge verstummt war, ehe sie wütend und lautstark Protest zum Ausdruck brachte, der ungeheures Gelächter aller Anwesenden auslöste, das späterhin wiederholbar war, sobald die Rede auf das Ereignis kam.

Unwicderholbar bleibt nicht nur das befreiende Lachen, auch das Fluidum dieser Stunde früh am Nachmittag aus zweierlei Rauch'.

Viele sind tot, die dabei waren und keiner ist mehr am Ort und niemand wird mehr den Platz finden. Alles ist anders. Nur die Stunde lebt: gestern, heute, morgen.

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