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Föderalismus bedeutet Bürgernähe

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„Österreich ist ein Bundesstaat. Der Bundesstaat wird gebildet aus den selbständigen Ländern: Burgenland, Kärnten, Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg, Steiermark, Tirol, Vorarlberg und Wien.” Mit diesen knappen Worten - in einer einfachen Sprache ohne Satzungetüme und Substantivierungen, der man beim Lesen neuer Gesetze oft nachtrauert - formuliert die Bundesverfassung das Programm des Föderalismus.

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„Österreich ist ein Bundesstaat. Der Bundesstaat wird gebildet aus den selbständigen Ländern: Burgenland, Kärnten, Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg, Steiermark, Tirol, Vorarlberg und Wien.” Mit diesen knappen Worten - in einer einfachen Sprache ohne Satzungetüme und Substantivierungen, der man beim Lesen neuer Gesetze oft nachtrauert - formuliert die Bundesverfassung das Programm des Föderalismus.

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Was steckt hinter dem Wort von den selbständigen Ländern? Nicht weniger als der Anspruch der Länder, als staatliche Einheiten den Zusammenbruch des monarchischen Staates überdauert zu haben und den neuen, republikanischen Staat konstituiert zu haben. Dieser Anspruch wird zwar von Rechtspo- sitivisten, denen die historische Dimension fehlt, gerne bestritten oder zumindest als irrelevant abgetan. Für die Länder geht es aber gar nicht primär um die Geschichte, sondern um die Verteidigung ihrer legitimen Rechte gegenüber der Zentralgewalt.

Die Erfahrung - aus der Geschichte und aus dem Vergleich mit gegenwärtigen Staaten - lehrt, daß ein zentralistisches Regime ohne föderales Gegengewicht zur Unterdrückung der Grundfreiheiten der Menschen fuhrt, und daß es überdies eine überwuchernde, ineffiziente Bürokratie zeugt.

Wir sind in Österreich in der glücklichen Lage, neben der klassischen freiheitssichemden Gewaltenteilung noch ein funktionierendes föderales System zu haben. Der Bürger weiß, daß er in seinem unmittelbaren Lebensraum ein offenes Ohr für seine Anliegen findet. Daß dies keine Phrase ist, beweisen mir die Oberösterreicher jeden Dienstag, wenn sie mich von 6 Uhr früh bis weit in den Nachmittag hinein im Landhaus am Sprechtag mit ihren Anliegen und Sorgen konfrontieren.

Föderalismus bringt und fordert Bürgemähe der Regierenden und der Verwaltung. Er allein bietet aber auch die Möglichkeit, eine beginnende Staatsverdrossenheit der Bürger, vor allem der Jugend, aufzuhalten und vielleicht in Engagement umzukehren.

Subsidiarität und Partizipation sind, wie man sieht, überaus zeitgemäße Grundsätze aus dem Salzburger Programm der Volkspartei. Diese Grundsätze unter griffigen Slogans wie Bürgerbeteiligung, Büro für Bürgerinitiativen, Aktivgruppen oder auch durch verfassungsrechtliche Institute wie ein Initiativrecht gegenüber der Vollziehung mit neuem Leben zu erfüllen, ist eine Aufgabe unserer Zeit.

Von diesen Andeutungen über dieses neue Verständnis eines integralen Föderalismus ist es nur scheinbar ein großer gedanklicher Sprung zu den Vereinbarungen nach Artikel 15 a des Bundes-Ver- fassungsgesetzes. Tatsächlich bedarf der Föderalismus in Österreich weniger des Ausbaues an der Basis- bei den Ländern und Gemeinden sind Bürgernähe und Bürgerbeteiligung in guter Hand - als der Stärkung der Position der Länder gegenüber dem Bund. Die Entwicklung hat zu einer ständigen Ausweitung der Kompetenzen und der Finanzmacht des Bundes geführt.

Die Länder haben Forderungsprogramme erhoben, von denen eines im Jahr 1974 durch eine Novelle zur Bundesverfassung teilweise erfüllt wurde. Der staatsrechtlich interessanteste Punkt dieser Novelle war der Artikel 15a mit der neuen Möglichkeit, daß die Länder mit dem Bund auf dem Gebiet des Hoheitsrechtes Vereinbarungen schließen.

Die Erläuterungen zu dieser Novelle führen als hauptsächlichen Anwendungsbereich der neuen Vereinbarungen diejenigen Sachgebiete an, in denen die Kompetenzen des Bundes und der Länder heillos ineinander verzahnt sind, z. B. die Raumordnung, der Umweltschutz, die Umfassende Landesverteidigung und die Katastrophenhilfe.

Verträge werden zwischen gleichberechtigten Partnern geschlossen. So wie die souveränen Staaten bei allen Unterschieden in ihrer Wirtschaftskraft, Bevölkerungszahl und Macht dann, wenn sie einpi Staatsvertrag schließen, gleichberechtigte Partner sind, sind es auch die Länder beim Abschluß solcher staatsrechtlicher Vereinbarungen - die Politiker bezeichnen sie manchmal auch als Konkordate- mit dem Bund.

Na endlich, wird der geneigte Leser sagen, gibt es ein Zaubemtittel gegen Kompetenzwirrwarr. Ohne Zweifel wird man schon viele solche Verträge geschlossen haben.

Doch dem ist leider nicht so. Die Länder haben zwar einige Vereinbarungen untereinander im an schließenden Landeskompetenzbereich abgeschlossen, denn diese schon im bisherigen Verfassungsrecht bestehende Möglichkeit wurde unverändert in den neuen Artikel 15 a übernommen. So vereinbarten sie eine gemeinsame Vorgangsweise bei der Filmprädi- katisierung und arbeiten an den verschiedensten Entwürfen, etwa über die Beurteilung der Jugendeignung von Filmen, über die Zulassung von Baustoffen, über die gegenseitige Anerkennung von Jagdkarten, über den Kostenersatz in der Sozialhilfe und anderes mehr.

Die Länder sind in letzter Zeit auch verstärkt dabei, partikuläre Vereinbarungen im Landeskompetenzbereich abzuschließen. Hauptanwendungsfall ist die Raumordnung, wobei Bundeskompetenzen sorgsam ausgeklämm rt -Wferden. Vereinbart cwerden vor allem gegenseitige Information und gemeinsame Beratungen über ‘alle Themen, die den beiderseitigen

Grenzraum berühren, das sind z. B. industrielle Standardfragen genauso wie Infrastrukturfragen.

Den Anfang machten 1978 jeweils Dreiervereinbarungen: Kärnten, Salzburg und Steiermark vereinbarten die Zusammenarbeit im Lungau-Murau-Nockgebiet, Burgenland, Niederösterreich und Wien gründeten die Planungsgemeinschaft Ost. Oberösterreich schloß mit jedem seiner Nachbarländer (Salzburg, Niederösterreich und Steiermark) eine solche Raumordnungsvereinbarung ab. Gewiß gab es schon vorher eine gute Zusammenarbeit. Die Vereinbarungen garantieren aber ihre Stetigkeit und Intensität.

Mit dem Bund haben die Länder .erst eine Vereinbarung nach Artikel 15 a abgeschlossen. Bezeichnenderweise über fein Gebiet, auf dem der Bund ein wesentliches Interesse an einer finanziellen Beteiligung der Länder hat: die Finanzierung der Krankenanstalten (und überdies die Dotierung des Wasserwirtschaftsfonds). Das System der Deckung der jeweils anfallenden Betriebsabgänge wurde vorläufig beibehalten und die vieldiskutierte Kostenstellenrechnung ist nicht mehr als ein erster Schritt auf dem langen Weg zu einem Finanzierungssystem, daß sich an den erbrachten und einheitlich bewerteten Leistungen der Krankenanstalten orientiert.

Die Geldmittel verteilt ein Fonds, dessen Organe vom Bund, den Ländern und den sonstigen Trägem der Krankenanstalten (Gemeinden, Orden) beschickt werden. Damit überhaupt eine finanzielle Beteiligung des Bundes erreicht wurde, verpflichteten sich die Krankenanstaltenträger, von den Krankenkassen nur jeweils in dem Ausmaß Erhöhungen der Pflegekosten zu verlangen, in dem die Beitragseinnahmen der Kassen steigen. Damit mußte ein Beitrag zur Sanierung der Kassen geleistet werden, obwohl diese in der ausschließlichen Bundeskompetenz liegen.

Dennoch war die Krankenanstal- ten-Vereinbarung des Jahres 1978 ein Erfolg im Sinne des vielzitierten kooperativen Föderalismus. Zeitdruck und Erfolgszwang haben ein zwar nicht optimales, aber immerhin auch von Länderseite vertretbares Ergebnis erbracht

Weniger Erfolg gab es auf dem Gebiet des Umweltschutzes. Seit mehreren Jahren verhandeln Bund und Länder über einen Vereinbarungsentwurf zur Beschränkung luftverunreinigender Emissionen. Aber nicht einmal eingeschränkt auf den höchstzulässigen Schwefelgehalt im Heizöl konnte sich der Bund zu einem Abschluß bereitfinden. Es .gab im Gegenteil Absichtg-, erklärungen von Mitgliedern der Bundesregierung in Richtung auf eine Konzentration von Umweltschutzkompetenzen beim Bund und kurz vor der Nationalratswahl 1979 einen diesbezüglichen Initiativantrag von SPÖ-Seite, der aber nicht mehr behandelt wurde.

Die noch nicht zustandegekommene Vereinbarung über den Schwefelgehalt im Heizöl ist ein negatives Beispiel für die Einstellung des Bundes zum kooperativen Bundesstaat. Statt des vielleicht unbequemen Weges der Verhandlungen mit gleichberechtigten Partnern strebt man nach der alten Form der Dekretierung und sucht sogar Verfassungsbestimmungen dafür eihzusetzen. Wieder einmal sollen die Länder ein Stück ihrer Kompetenzen und damit ihrer Staatlichkeit abgeben.

Eine interessante neue Variante sind Vereinbarungen des Bundes mit jeweils einem Land für eine bestimmte Periode, in denen die gegenseitigen Beziehungen relativ umfassend geregelt werden. Als erstes Land hat heuer Kärnten eine solche Vereinbarung mit umfangreichen Zusagen des Bundes erreicht.

Auch Oberösterreich bemüht sich gegenwärtig intensiv - am 24. September dieses Jahres fand über meine Anregung eine erste Verhandlungsrunde beim Bundeskanzler statt - um eine derartige Vereinbarung. Es ist zu hoffen, daß sich die Bundesregierung von der Maxime der Gleichbehandlung aller Länder leiten läßt.

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