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Folgerichtiges Konzept

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Die Auffahrt der Gäste, die hohen Fahnenreihen, die herrlich duftenden Blumengestecke im Innern des Münchner Nationaltheaters, das war schon alles auf Festspielglanz poliert und ebenso waren die Vorbereitungen zu Mozarts „Don Giovanni“ mit größter Intensität aller Beteiligten getroffen worden. Nun ist ja „Don Giovanni“, dieses „Dramma giocoso“ mit dem Textbuch von Lorenzo da Ponte, eines jener Werke, die immer wieder interpretiert werden, aber wohl zu keiner Zeit und von keinem noch so bedeutenden Szeniker restlos erschöpfend zu realisieren sind. Wichtig ist, daß eine Konzeption vorliegt, die in ihren Grundzügen zwingend ist und die in ihrer Konsequenz zu überzeugen versteht.

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Die Auffahrt der Gäste, die hohen Fahnenreihen, die herrlich duftenden Blumengestecke im Innern des Münchner Nationaltheaters, das war schon alles auf Festspielglanz poliert und ebenso waren die Vorbereitungen zu Mozarts „Don Giovanni“ mit größter Intensität aller Beteiligten getroffen worden. Nun ist ja „Don Giovanni“, dieses „Dramma giocoso“ mit dem Textbuch von Lorenzo da Ponte, eines jener Werke, die immer wieder interpretiert werden, aber wohl zu keiner Zeit und von keinem noch so bedeutenden Szeniker restlos erschöpfend zu realisieren sind. Wichtig ist, daß eine Konzeption vorliegt, die in ihren Grundzügen zwingend ist und die in ihrer Konsequenz zu überzeugen versteht.

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Das ist bei Günther Rennert in vorragendster Weise der Fall, innert sieht in Don Giovanni den gescheiterten und fortwährend scheiternden Helden, dessen erotischer Magnetismus immer noch funktioniert, der aber — gleichgültig was er tut — Schaden anrichtet und sich dadurch selbst der Verdammnis ausliefert. Mit erschrek-kender Folgerichtigkeit wird dieser letzte Weg eines grenzenlosen Wüstlings abgesteckt. Kleine Schönheitsfehler sind deshalb um so ärgerlicher, weil Rennert hier noch einmal zu einer so ungeheuren Vitalität findet, zu Aktionen von Shakespearescher Vehemenz.

Die Schönheitsfehler rühren diesmal in erster Linie von Jürgen Rose her. Er hält die Bühnenbilder grundsätzlich in einem schicksalsschwangeren Dunkel (das ist nicht nur ein Fehler im Hinblick auf das „Giocoso“, sondern es ist' einfach nicht sinnvoll, wenn es in Spanien aussieht wie an einem Novembertag in St. Petersburg), auch darf es in einer Inszenierung diesen Formats nicht passieren, daß Donna Anna ihre Arie im 2. Akt (in dieser Fassung wieder eingebaut) in einer schmalen Gasse zwischen zwei Vorhängen singen muß, nur damit unterdessen für das Schlußbild umgebaut werden kann. Aber das sind kleine Flecken auf einer festlich angerichteten Tafel, die den Geschmack am Gesamteindruck kaum mildern. Szenische Höhepunkte: Die Versöhnung des Brautpaares Zerlina-Masetto; das Ständchen, das Leporello unter Anleitung Giovannis Donna Elvira bringt; Giovannis Auftritt als Leporello; die Frivolität in der Friedhofsszene und schließlich Don Giovannis Todeskampf gegen die überirdische Macht des Komtur, der mit der Höllenfahrt des Wüstlings endet und dem das heitere Sextett folgt. Immer wieder wird man darüber streiten, ob man mit dem

Tod Don Giovannis schließen, oder dieses Sextett anhängen soll. Günther Rennert findet eine Berechtigung dieses Sextetts in der Tatsache, daß Don Giovanni nur Unheil gestiftet hat und jetzt — nach seinem Tod — die Menschen wieder aufatmen und ihrem Alltag nachgehen können. —

Mozart hat mit dieser Oper, die am 29. Oktober 1787 unter der Leitung des Komponisten in Prag zur Uraufführung gelangte, nicht nur den Regisseuren, sondern auch den Musikern Probleme aufgegeben und nur ein Dirigent, der mit Mozart in ganz besonderer Weise verbunden ist, hat Aussicht, diese Partitur in den Griff zu bekommen. Hier ist Wolfgang Sawallisch ganz in seinem Element. Sawallisch, der die Rezita-tive persönlich am Cembalo akkom-pagniert und genau die Mischung aus dramatischem Elan und federnder Grazie findet/ ist prädestiniert für dieses Werk. Man kann versuchen, die Partitur noch mehr zum Bedeutungsvollen hin zu kehren, aber Sawallisch vertraut Mozarts Musik viel zu sehr, als daß er hier noch etwas hineininterpretieren möchte. Jedenfalls hatte die gesamte musikalische Wiedergabe, von der Ouvertüre bis zum Schlußsextett, durch Sawallisch einen einheitlichen Musizierstil, Spannung und orchestrale Brillanz. Nach dem beispielhaften „Figaro“ (der ebenfalls im Festspielprogramm steht), hat Wolfgang Sawallisch als Chefdirigent der Bayrischen Staatsoper mit diesem „Don Giovanni“ erneut unter Beweis gestellt, daß sich die große Münchner Mozart-Tradition in den denkbar besten Händen befindet.

Sawallisch hatte ein glänzendes Ensemble, mit dem es Freude macht zu arbeiten. Mit Ruggero Ratmondi in der Titelpartie hatte der Münchner Festspielauftakt auch gleich schon einen Star, der nur schwer zu überbieten sein wird. Von der Champagner-Arie bis zum todbringenden Handschlag mit dem Komtur, erlebte man eine gesangliche und darstellerische Leistung von ungewöhnlicher Faszination.

Ausgestattet mit einem kernigen Baßbariton war Stafford Dean als Leporello vortrefflich eingesetzt, und Julia Varady gab der Donna Elvira das flackernde Licht dieser von Mozart so intuitiv gezeichneten Figur. Weltklasse bot ebenfalls Margaret

Price als Donna Anna (trotz einer, sich in der Mittellage anzeichnenden Indisposition) und Lucia Popp als eine Zerlina, wie man sie sich nur träumen kann. Kurt Moll stattete den Komtur mit voluminösen Baßtönen aus, Hermann Winkler zeigte sich als Ottavio erstmals auf einer Münchner Opernbühne. Sein lyrischer Tenor ist für das Legato-singen sehr geeignet, mit der Intonationsreinheiten in Koloraturen ist es aber noch nicht weit her. Sehr bemerkenswert dagegen die Darstellung des Masetto durch Enrico Fissore. —

Das Publikum raste. Der Glanz dieser Festspieleröffnung ist unbestritten — hoffen wir, daß er bis zu den abschließenden „Meistersingern“ am 5. August anhält!

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