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Folgt Andropow Leonid Breschnew?

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Die Ära Breschnew geht zu Ende. Des Generalsekretärs sichtlich angegriffene Gesundheit ist nicht ewig beanspruchbar — auch nicht durch die beste medizinische Betreuung, die einer Großmacht zur Verfügung steht. Je näher der Abschied des mächtigsten Mannes im Kreml kommt, umso schärfer wird die Auseinandersetzung der Prätendenten.

Die Versetzung Juri Andro-pows vom Präsidium des Sicherheitsdienstes KGB ins Sekretariat des Zentralkomitees gibt der Nachfolgefrage eine neue Dimension. Seit Ende Mai scheint gewiß, wer die erste Runde im Diado-chenkampf am besten überstanden hat. Juri Wladimirowitsch Andropow ist noch nicht der Sieger um die Nachfolge, aber er hat mittlerweile eine Machtfülle in seiner Hand vereinigt, wie sie nur wenige im dreizehn Mann starken Politbüro inne haben.

Vergleiche mit dem Machtwechsel nach Stalins Tod und nach dem Sturz Chruschtschows im Jahre 1964 zeigen eines: Der Erbe war Stets Mitglied des Politbüros (Parteipräsidiums) und zugleich Angehöriger des Sekretariates.

Außer Breschnew nehmen nur vier Kremlgrößen diese Positionen ein: Kirilenko, Tschernenko, Gorbatschow und nun Andropow. Für den mit 51 Jahren relativ jungen Gorbatschow ist die Zeit noch nicht gekommen. Kirilenko, einige Monate älter als Breschnew, ist gesundheitlich * ebenfalls nicht mehr auf der Höhe.

Andropow ist keineswegs der von Breschnew protegierte Kronprinz, auch wenn er von diesem 1973 ins Politbüro geholt worden ist. Wenn es allein nach dem gegenwärtigen Machthaber ginge, dann wäre dessen Waffengefährten Tschernenko, Anfang der Siebziger stehend, die Palme nicht zu nehmen.

Wer letztlich als Sieger hervorgeht ist nicht allein dem Generalsekretär anheimgestellt. Erklärte Kronprinzen haben es in der Sowjetgeschichte niemals geschafft. Ausschlaggebend sind letztlich die Machtpyramiden, auf die sich die Anwärter stützen.

Wer immer es aber sein wird, eines steht fest: Keiner wird schon von vornherein über jene Stärke verfügen, die Breschnew heute zukommt. Auch Breschnew war zu Beginn nur Erster unter Gleichen, es benötigt im Kreml viel

Zeit und Geduld, um allein zu herrschen.

Noch ein anderes Faktum fällt ins Gewicht. Die Herren im Kreml sind allesamt — Ausnahme Gorbatschow und der Leningrader Parteisekretär Romanow — reichlich betagt. Auch der bisherige KGB-Chef ist mit 67 nicht mehr der jüngste. Breschnew war damals, als Chruschtschow in die Staatspension geschickt wurde, 58 Jahre alt. Es bedurfte mit Sicherheit wenigstens fünf Jahre, wahrscheinlich weit mehr, um die Macht so weit zu festigen, daß kein Konkurrent mehr zu fürchten war.

Gegen Andropow spricht die Tatsache, daß er seit Mitte der sechziger Jahre das Präsidium des KGB innehatte. Leiter des allmächtigen Terror- und Sicherheitsinstrumentes sind innen-und außenpolitisch gekennzeichnet.

Dieses Faktum hat schließlich auch dazu geführt, daß Schelje-pin, von 1968 bis 1971 ebenfalls KGB-Chef, letztlich gestürzt wurde. Noch knapp vor dessen politischen Tod war Scheljepin in London von einer erregten Menge ausgeschrien worden. Und seit Stalin behandeln die obersten Kremlführer ihre obersten Polizisten mit Verdacht und Argwohn.

Nun aber hat Andropow Zeit, sich von diesem Makel reinzuwaschen. Wie im Falle von Scheljepin war Andropow vor allem Parteimann, dem es oblag, den Sicherheitsdienst unter die Kontrolle der KP zu nehmen. Anders verhält es sich mit seinem Nachfolger Vitali Fedortschuk. Dieser ist ein Vollblut-„Tschekist” (Wie KGB-Männer im Volksmund seit den Anfangstagen des Sowjetreiches, der Tscheka, genannt werden).

Andropow kann mit bemerkenswerten Eigenschaften aufwarten. Seine Machtposition steht außer Frage. Als Botschafter in Budapest hat er 1956 eine wichtige Rolle bei der Niederschlagung des Aufstandes gespielt. Als Chef der Sicherheitsbehörde ist es ihm letzten Endes auch gelungen, die innere Opposition zu vernichten, das Dissiden-tentum aufzureiben.

Daß er auch als Intellektueller, als Kunstsachverständiger und als Sprachkundiger einiges zu bieten hat, erweist sich in dieser Herrschaft der Mittelmäßigkeit eher als ein Nachteil. Er ist Russe, was ihm Vorteile gegenüber dem Kiewer Parteisekretär Schtscher-bitzki bietet.

Tschernenko ist der erklärte Protege Breschnews. Das muß nicht unbedingt ein Vorteil sein. Vor allem dann, wenn dem heutigen Generalsekretär und Staatschef die Schuld an den gegenwärtigen Gebrechen in der Außenpolitik, in der Industrie und im Agrarsektor angelastet wird, wie dies gemeiniglich in sowjetischer Geschichte geschieht. Einem Gefolgsmann steht es aber schlecht an, jenen Mann in Mißkredit zu bringen, dem er die, höchste Position verdankt.

Wer immer aber in der Herrschaft der Alten letztlich die Nachfolge antreten wird, an der bisherigen Politik wird sich wenig ändern. Die Anwärter ^ind nicht mehr jung genug, um das Steuer richtungsweisend herumzureißen.

Mit Andropow oder Tschernenko oder einem anderen, der jetzt noch im Dunkel steht, heißt das: Fortsetzung der globalen Politik, um mit der anderen Großmacht eine Balance zu finden, und überall dort einzusteigen, wo sich eine günstige Gelegenheit zur Vermehrung des Einflusses bietet; im Innern Abwürgen jeder Erscheinung, die nach Pluralismus und Meinungsvielfalt aussieht. Und wer könnte dies besser als ein Vorsitzender des omnipotenten Sicherheitsdienstes?

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