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Fords harter Test

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Die Geschichte allein wird über Nixon urteilen. Nicht die Presse, nicht seine Zeitgenossen — seine zahlreichen Hasser und Anhänger. Man wird sich vermutlich an den Kopf greifen und sich fragen, wie es möglich war, daß eine erfolgreiche Regierung, die Amerikas Großmachtstellung in der Welt wieder hergestellt hat, den Vietnamkrieg beendet, das Feuer im Nahen Osten gelöscht und trotz innerer Müdigkeit der jungen Generation einen tragbaren Modus vivendi mit der kommunistischen Welt etabliert hat — an den Water-gate-Banalitäten gescheitert ist. Man mag Watergate einen politischen Korruptionssumpf nennen, Nixon einen verschlagenen Lügner heißen, seine Mitarbeiter Galgenvögel. Eine derartige Beurteilung müßte jedoch zuerst deklarieren, daß sie moralische Gesichtspunkte über erfolgreiche, expeditive Administration stellt, über relative Ruhe in einer von rassischen Gegensätzen zerrissenen politischen Landschaft und über Entspannung im Kampf der Generationen und Geschlechter. Ohne diese Erklärung muß man diese Beurteilung als politisch-ideologisch motiviert zurückweisen.

Das Washington nach Nixon wird aber jedenfalls den siegreichen Moralisten Gelegenheit geben, ihre Prioritäten zu testen. In Gerald Ford werden sie es mit einem hochanständigen, überaus fleißigen, kleinkarierten Politiker zu tun bekommen, dem man überdies schon zu Nixons Zeiten die Regierungsbasis erheblich beschnitten hat.

Es hat vor Ford auch andere „kleine“ Männer im Weißen Haus gegeben, die mit der Stunde gewachsen sind. In diesem Zusammenhang wird immer auf Truman verwiesen, dessen Platz in der Geschichte nach Roosevelts Tod keineswegs yorgezeichoet war. Es wird jedoch geflissentlich übersehen, daß es erheblich mehr Präsidenten gab, die ihrer geistigen Papierform entsprechend agierten, als solche, die über diese hinauswuchsen. Überdies war Truman weder ein Moralist noch ein Mann geistigen Mittelmaßes.

Ob ein Henry Kissinger einem Gerald Ford auf Dauer dienen wird, bleibt abzuwarten. Man könnte sich seinen Abgang auf der Höhe seiner Erfolgskurve durchaus vorstellen, noch dazu jetzt, wo er wehrlos einer Presse gegenübersteht, die Blut geleckt hat (und trotz völliger Rehabilitierung durch den zuständigen Senatsausschuß). Welche andere bedeutende und im Berufsleben erfolgreiche Männer sollte es auch reizen, einer Regierung Ford zu dienen, die sich selbst bloß als interimistische Lösung bezeichnet hat? • Dabei ist es völlig klar, daß diese neue Regierung durch die Sowjets und (oder) ihre Satelliten in Kürze auf Herz und Nieren getestet wird. Sie haben das bisher noch mit jeder amerikanischen Regierung seit dem kalten Krieg getan und Breschnew, der zu Nixon eine Art „Kameradie des Gipfels“ pflegte, hat nun einigen Boden aufzuholen. Die freie Welt kann sich auf Feuerwerke von Berlin bis Vietnam gefaßt machen.

Auf dem inflationsbeklagten Wirtschaftssektor, wo heilsam ist, was unpopulär ist — nämlich Sparsamkeit dm Haushalt und Arbeitslosigkeit durch knappe Geldpolitik, kann ein schwacher Mann im Weißen Haus zum Spielball aller divergierenden Interessen werden. Schon Nixon hatte versagt, weil er viel zu kompromißbereit war. Man kann sich gut vorstellen, was ein von Demokraten beherrschter „siegreicher“ Kongreß fei einem Wahljahr an Forderungen an die Staatsflnanzen herantragen

Denn mit dem Tag der Amtsübernahme beginnt bereits der Wahlkampf; zunächst für die sogenannte Halbzeitwahl im November, in der jeder Republikaner um seine nackte Existenz zu kämpfen haben wird, in der naiven Auffassung, daß jeder Tritt gegen den toten Nixon ihn der Wahl oder Wiederwahl näherbringt. Die große Palme — das Weiße Haus — winkt jedoch im Jahr 1976, und je chaotischer, je schwächer eine Administration Ford operiert, desto größer die Chancen für einen Demokraten im Jahr 1976. Daß die Demokraten nun alle Hebel in der Hand halten, ist nach allem, was geschehen ist, klar. Unter dem Motto „keine Halbheiten“ wird dem Wähler das Heil versprochen werden, wenn er dazu beiträgt, den ganzen Nixon-Augiasstall und nicht bloß die Spitze auszuräumen. Ob der an Sich gemäßigte Wähler in einem solchen Trommelwirbel nüchtern bleibt, ist zu bezweifeln.

Es ist gelungen, einen mit stärkster Mehrheit gewählten Präsidenten zu Fall zu bringen, einen Politiker, dessen starkes Mandat auf der Zustimmung der breiten kleinbürgerlichen Wählermassen basierte; dazu zählten auch weite Kreise der organisierten Arbeiterschaft. Es wird daher in Zukunft nicht an Versuchen fehlen, den Wählerwillen wieder auf dem Impeachment-Weg zu „korrigieren“. Die Gefahr, daß die USA zu einer „Bananenrepublik“ werden, wie das einer der letzten Nixon-Anhänger formuliert hat, ist immanent. Ein Präsident wurde ..umgelegt“, der nächste aus dem Amt geekelt, der dritte im Doppelnelson des Impeach-ments auf die Matte gelegt. Sind die USA keine Präsiidentschaftsdemo-kraüe mehr? Nixon hat das in seiner Abschiedsrede angedeutet, als er seinen Rücktritt mit dem Verschwinden der Unterstützung seiner Regierung durch den Kongreß motivierte.

Die amerikanische Präsidentendemokratie ist daher heute bereits fast so schwach wie die einer westeuropäischen parlamentarischen Demokratie.

Allerdings: Nixon asphaltierte seinen Gegnern den Weg zum Schafott selbst. Man stelle sich bloß vor, daß noch vor der letzten Enthüllung der eigenen Verwicklung in die Vertu-schungsmannöver eine ausreichende Anzahl von Senatoren bereit war, Nixon zu exkulpieren. Wie leicht wäre es gewesen, zu Beginn der Affäre den ganzen Spuk mit einem kräftigen Auftreten hinwegzufegen. Nirgends gibt es ein Gesetz, das Tonbandaufzeichnungen vorschreibt, und künftige Präsidenten werden sich wohl hüten, solche anzufertigen.

Aber es waren die kleinen Rückzüge, die Teilgeständnisse, in denen sich Nixon selbst verfing und die seine Glaubwürdigkeit ständig schmälerten. Hier war eine Regierung im Amt, die völlig wehrlos war, als sie auf das Glatteis der Illegalität schlitterte. Das wäre einem Roo-sevelt oder Kennedy nie passiert.

Man muß jedoch im Rücktritt Nixons in dieser Situation wohl auch einige positive Aspekte sehen. Der Tiefpunkt der Ausweglosigkeit und des Chaos scheint überschritten und der amerikanische Optimismus ist immer bereit, in der Anfangsphase einer neue Regierung des Positive zu sehen. So betrachtet, ist eine in der traditionellen anfänglichen Schonzeit operierende Regierung Ford den chaotischen Zuständen, die dem Ende Nixons vorausgingen, vorzuziehen.

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