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Formen bäuerlicher Selbsthilfe

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Wer heute durch die Steiermark fährt, wird feststellen, daß das Land trotz starker Industrialisierung ein Agrarland vielfältige^- Prägung Nahezu 70.000 bäuerliche Familien finden zur 'Gänze oder teilweise ihre Existenz in der Land- und Forstwirtschaft. Die Mehrzahl der Höfe im Bergland und in höheren Tallagen der Obersteiermark, in der nördlichen Ost- und Weststeiermark hat sich aber im wirtschaftlichen Strukturwandel, den natürlichen Produktionsbedingungen entsprechend, auf intensive Grünlandwirtschaft als Voraussetzung für Jungrinderaufzucht und Milchviehhaltung spezialisiert und betreibt eine zeitgemäße Forstwirtschaft. Im steirischen Flach- und Hügelland der Ost-, Süd-und Weststeiermark mit seiner kleinbäuerlichen Struktur wurden dagegen jene Chancen genützt, die Lage und Klima den Acker- und Spezialkulturen bieten. Hier prägen der Maisbau mit 50.000 Hektar oder rund 42 Prozent der österreichischen Anbaufläche, der Getreide- und Hackfruchtbau, der Obst- und Weinbau, Feldgemüse und gebietsweise auch Tabak und Hopfen das Landschaftsbild.

Mit dem tiefgreifenden Wandel, der durch eine laufende Verringerung der in der Land- und Forstwirtschaft beschäftigten Personen, durch die Zunahme der Nebenerwerbslandwirte, durch die Technisierung und Spezialisierung sowie durch höhere Produktions- und Marktrisken gekennzeichnet ist, haben sich neue Formen der bäuerlichen Zusammenarbeit und Nachbarschaftshilfe entwickelt.

Für die Zukunft der Voll-, Zu- und Nebenerwerbsbetriebe ist die überbetriebliche Zusammenarbeit sowohl in der Produktion als auch in der Verarbeitung und Vermarktung eine geradezu entscheidende Existenzfrage.

Als hervorragendes Beispiel einer Zusammenarbeit in der Produktion gilt der über die Grenzen des Bundeslandes hinaus bekannte „Verband steirischer Erwerbsobstbauern“, dessen 1700 Mitglieder über 3000 ha Intensivkulturen verfügen. Es handelt sich hier um eine Erzeugergemeinschaft, bei der die Produktion und Vermarktung nach strengen gemeinsamen Richtlinien erfolgt.Wenn alle in den letzten Jahren errichteten Junganlagen in den Vollertrag kommen, werden die steirischen Erwerbsobstbauern muriner jährlichen Ernte von 60.000 bis 70.000 Tonnen Edelobst in der Lage sein, den österreichischen Bedarf an Edeläpfeln weitgehend zu decken. Ähnlich organisiert und mit derselben Einflußnahme auf die Produktion verfolgen die steirische Beeren-obstgenossenschaft und die steirische Pflrsichbauerngenossenschaft ihr Ziel.

Von nicht geringerer Bedeutung sind die Feldgemüsebauern, die sich vor zehn Jahren zu einem Verband zusammengeschlossen haben und heute auf einer Fläche von rund 1000 ha Intensivkulturen anbauen. Durch die Pflege des Vertragsanbaues können die Mitglieder vur den früher häufigen Marktzusammenbrüchen bewahrt werden.

Erzeugergemeinschaften haben sich aber auch jn der tierischen Produktion entwickelt. Hier steht die steirische Geflügelmastgenosserischaft mit dem Sitz in Fehring an der Spitze, in der heute mehr als 500 Mitglieder jährlich rund 3,5 Millionen Masthühner aufziehen. Von gleicher Bedeutung sind aber auch jene überbetrieblichen Zusammenschlüsse, die sich mit der Produktion von Schweinen und Rindern beschäftigen. Besonders zu nennen sind hier die Ferkelringe und Schweinemastringe, durch die es möglich ist, daß kleinere Betriebe Ferkel mit entsprechender Qualität erzeugen und über die gemeinsame Absatzform, nämlich die organisierte Versteigerung, optimal an den Mann bringen. Die Mitglieder von Schweinemastringen füttern nach einheitlichen Richtlinien, erzeugen echte Qualitätsware und tragen zu einer kontinuierlichen Marktbeschickung und zur Preisstabilität bei.

Sosehr Maschinen und Geräte der bäuerlichen Familie die Arbeit erleichtern, sosehr verursachen sie doch hohe Kosten und schmälern das Einkommen. Rund 2000 Betrieben in 42 Maschinen- und Beratungsringen gelingt es aber, durch überbetrieblichen Einsatz eine bessere Auslastung dieser Hilfsmittel zu erzielen und den Aufwand zu senken. In vielen Fällen ist damit auch eine Arbeitsteilung und eine erfreuliche Entlastung der Frau in der Außenwirtschaft verbunden, die dadurch für die Hausarbeit und eine bessere Betreuung der Kinder frei wird.

In diesen Maschinenringen entstand auch der Anstoß zum Betriebshelferdienst. Drei Viertel aller steirischen Bauernhöfe sind heute EinMann-Betriebe. Erkrankt nun plötzlich der Betriebsleiter oder tritt gar ein Todesfall ein, so kommt besonders der Grünlandbetrieb in die allerschwierigste Situation. Gar nicht selten löst die Krankheit des Bauern sogar weitere „Unglücksfälle“ aus, müssen dann doch die im Umgang mit Maschinen ungeübten und vor allem körperlich nicht entsprechend leistungsfähigen Auszügler, Kinder oder Frauen versuchen, die laufenden Arbeiten zu bewältigen; sie erkranken oder verunglücken gar nicht selten dabei selbst. Die früher in diesen Fällen einsetzende, aber heute nicht mehr bestehende Nachbarschaftshilfe scheitert nicht am guten Willen der Nachbarn. Sie sind selbst wegen Arbeitsüberlastung nicht imstande, nachhaltig zu helfen. Hier soll in Hinkunft ein Betriebshelfer einspringen.

Das Telephon ist heute zu einem beinahe unentbehrlichen Hilfsmittel für den Bauernhof geworden. Trotzdem *ye#fügtenÄnach der Strujityu:-erhebung der Landwirtschaftskammer, vor drei Jahren erst 9 Prozent aller steirischen Betriebe über einen Telephonanschluß. Der Grund dafür, daß das Telephon am Bauernhof, wie überhaupt im ländlichen Gebiet, kaum Eingang findet, liegt in den fast untragbaren Kosten. Während in Stadtgebieten ein Telephonanschluß im Durchschnitt rund 2000 Schilling kostet, werden für Höfe in Streulagen Anschlußgebühren bis zu 50.000 Schilling und mehr veranschlagt. Hier versuchen nun die Betroffenen über Telephongemeinschaften und durch eigene Leistungen, indem sie selbst die Gräben ziehen, Kabel legen, Mastenlöcher graben und Mäste stellen, mit Unterstützung der Landesregierung, der Post- und Telegraphenverwaltung und der Kammer zu Telephonanschlüssen zu kommen.

Aber nicht nur in der Produktion, auch in der Verarbeitung und Vermarktung der Erzeugnisse werden neue Wege eingeschlagen. Der Lebensmittelhandel tritt heute der Landwirtschaft mit einer Großnachfrage gegenüber. Er braucht den Partner, der die zersplittert anfallende Produktion entsprechend bündelt, verpackt und, begleitet von richtiger Werbung, zum richtigen Zeitpunkt und am richtigen Ort in gewünschter Menge anbietet. Daher wurde der Ausbau und die Stärkung der landwirtschaftlichen Verwer-tungs- und Absatzgenossenschaften als Selbsthilfeeinrichtung der Bauern und verlängerter Arm zum Markt seit Jahrzehnten angestrebt.

Im Herbst 1970 beschloß die Vollversammlung des Molkereiverbandes für Steiermark und Kärnten die Fusion mit der steirischen Viehverwertungsgenossenschaft zum Agrar-verwertungsverband „Agrosserta“. Seither sind die über diesen Verband verkauften Käsesorten unter dem Markennamen „desserta“, Fleisch-und Wurstwaren aus Kärnten unter dem Namen „karnerta“, steirisches Edelobst unter dem Markennamen „fruserta“ und steirischer Honig unter dem Namen ,,honerta“ zu festen Begriffen für viele Konsumenten geworden.

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