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Fort von Einstein

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Bernulf Kanitscheider, Professor für Philosophie der Naturwissenschaften in Gießen, beginnt ein Kapitel seines Buches „Das Weltbild Albert Einsteins“ mit der Feststellung, man müsse „der Versuchung widerstehen, in Einstein einen Wissenschaftler zu sehen, der nicht mehr irren konnte“. Die Beurteilung, „daß eine Idee fehlgeleitet ist“, könne nur „auf den gegenwärtigen Wissensstand bezogen sein“, was heute verworfen wird, könne morgen als richtig erkannt werden.

Kanitscheider führt nicht nur in jene Kategorien Ein-steinschen Denkens ein, die jeder zu kennen glaubt, der die ominöse Formel „E=mc2“ gelesen hat. Er führt die Darstellung dorthin weiter, wo sich Einsteins Weltbüd und das der modernen Physik auseinanderentwickelten.

Sie haben nicht wieder zusammengefunden. Ein Schlüsselbegriff für die Entfremdung des späteren Einstein und der heutigen Physik ist der des Zufalls. Einstein war religiös in einem sehr ursprünglichen Sinn und konnte sich mit dem Gedanken an eine konstitutive Rolle des Zufalls im Weltgeschehen niemals anfreunden. Seine Arbeit an der vielzitierten einheitlichen Feldtheorie lief eigentlich auf die physikalische Untermauerung eines deterministischen Weltbildes mit vorgegebenem Entwicklungsziel hinaus.

Heute kann man sagen, daß sich das Weltbild der Physik im strengsten Einklang mit Einsteins Relativitätstheorie fast Jahr für Jahr weiter von dem wegentwickelt, was dem alten Einstein vorschwebte. Eine ganz wichtige Rolle spielen dabei die Quantenmechanik, zu der Einstein nie ein Nah Verhältnis fand, und die „Singularitäten“, das heißt die Gravitationszusammenbrüche, die sich in den Schwarzen Löchern abspielen.

Kanitscheider: „Entscheidend ist nun, daß der Zusammenbruch... eine in der physikalischen Situation rußende fundamentale Begrenzung der Zukunfts-vorhersagbarkeit darstellt, die einen Status analog dem der Unscharf erelationen besitzt.“

Stephen Hawking, das physikalische Großgenie unserer Zeit, warf Einsteins Satz, Gott würfle nicht, um: „Gott würfelt nicht nur, er wirft sogar die Würfel manchmal dorthin, wo sie nicht zu sehen sind.“

Das neue Einstein-Buch läßt aber die Möglichkeit ahnen, daß sich der Gegensatz zwischen heutiger Physik und spätem Einstein, Determinismus und prinzipieller Unbestimmtheit eines Tages als scheinbar erweist.

DAS WELTBILD ALBERT EINSTEINS. Von Bernulf Kanitscheider. C. H. Beck. München 1988. 208 Seiten, Ln„öS 298,-.

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