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Fortschritt im Bewußtsein - aber vielfach erzwungen

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Für Afrika und den arabischen Raum des Nahen Ostens wurde zunächst die Frage gestellt: Wie sieht die menschenrechtliche Theorie in den einzelnen Staaten und Regionen dieses Kontinents aus, und dann, wie wird diese Theorie in der Praxis umgesetzt?

Um dieses Forschungsziel zu erreichen, ist vorauszusetzen, daß Menschenrechtspraxis nicht nur die Verwirklichung menschenrechtlicher Normen durch Richterspruch und verwaltungsbehördliche Entscheidung ist, sondern auch die Zustände in allen Lebensbereichen des gesellschaftlichen Lebens durch Gewohnheit, Übung, Sitte darstellt. Nur diese Integration der Menschenrechte bringt sie ihrem Anspruch der Erfüllung näher...

Das Ergebnis dieser Untersuchung bringt drei allgemeine Erkenntnisse:

1.. Die durch die generellen Normen der Menschenrechte in den Staaten Afrikas und des arabischen Raumes geschaffene Rechtslage drückt nach der Kolonialepoche einen nicht überbietbaren Fortschritt in der Geschichte des Bewußtseins der Menschen von ihrer Freiheit aus: in wenigen Jahrzehnten wurden durch die menschenrechtlichen Kodifikationen Jahrhunderte eingeholt.

2.. Die Länder Afrikas und der arabischen Welt haben aber zunächst eine formelle, unkritische Anpassung der Menschenrechte an den allgemeinen Denkstandard des Abendlandes gebracht, mehr gezwungen als selbsttätig, ohne auf die Realantagonismen in ihren verschiedenen hergebrachten Gesellschaftsstrukturen Bedacht zu nehmen und ohne die inneren Widersprüche der menschenrechtlichen Kataloge und der gesellschaftlichen Wirklichkeit vorab überdacht zu haben.

3. Der Abstand der Praxis der Menschenrechte ist daher von ihrem theoretischen Anspruch, sowohl was die Region als Ganzes als auch die Mehrzahl der Staaten des Kontinents angeht, mehr oder minder weit entfernt.

Dieser Abstand zwischen menschenrechtlicher Theorie als Summe genereller Normen, die weitgehend dem internationalen Standard entsprechen, und der Wirklichkeit der Menschenrechte als ihre Praxis ist in den einzelnen Staaten der Region unterschiedlich groß.

Er erreicht zuweilen einen Grad des Widerspruchs, der als „absolute Negation" angesehen werden kann. Durch sie ignorieren im menschenrechtlichen Bereich Staaten die Menschenrechte, so daß an gewisse Situationen Maßstäbe anzulegen sind, für die einzelne Normen gar kein bestimmender Inhalt sind. Es muß vielmehr auf Kategorien zurückgegangen werden, die einer tieferen Schicht menschlicher Existenz zugehören als die normativen Menschenrechte.

Kant und Hegel haben diese Schicht offen gemacht. Es handelt sich um die Freiheit als Mensch, die Gleichheit und die Selbständigkeit, wonach jeder sein eigener Herr sei, mithin irgendein Eigentum habe.

Ich denke dabei an menschenrechtliche Situationen, wie sie sich in Äthiopien, in Burundi, in Biafra, im sudanesischen Bürgerkrieg, in Uganda unter der Herrschaft Idi Amins, der Massenaustreibung der Fremden aus Nigeria im Februar 1983 und in den Hungerzonen Afrikas ergeben haben und ergeben.

Das alles führt zur allgemeinen Erkenntnis, daß die normativen Menschenrechte und ihre Verwirklichung ein besonderes Produkt kultureller Entwicklung darstellen, also ein Zivilisationsprodukt sind.

Aus: MENSCHENRECHTE IN DER SICH WANDELNDEN WELT (AFRIKA). Von Felix Ermacora. Verlag der Osterr. Akademie der Wissenschaften. 1983.708 S., Ln.. öS 644,-.

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