Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Fragen an die Jugend
Daß die „heutige“ Jugend schlechter sei als die der letzten (der eigenen) Generation, haben schon Konfuzius und Sokrates bejammert. Unter Hinweis darauf hat der neue Bischof von Innsbruck solches Klagen mit Recht als falsche Ideologie entlarvt.
Davon wollen wir ausgehen. Und dennoch geben viele junge Menschen unserer Tage zur Besorgnis Anlaß. Man zerstreut diese Besorgnis nicht, indem man sie beschönigt, und man gewinnt nicht das Vertrauen der Jugend, indem man ihr Honig um den Mund schmiert und weitermacht wie bisher.
Weil von den jungen Mitbürgern vor allem eines mit Recht beklagt wird, nämlich die totale Kommunikationslo- sigkeit zwischen den Generationen, die brutale Dialogverweigerung, sei der versuchte Brückenschlag mit ein paar Fragen eingeleitet.
Bei einer FURCHE-Diskussion im Bildungshaus Wien-Neuwaldegg galt es jüngst, von einer stattlichen Liste vorgegebener Werte jene anzumerken, zu deren Verteidigung man bereit wäre. Sehr viele wollten „die Demokratie“ verteidigen, nur ganz wenige die Parteien. Kann man Demokratie ohne Parteien praktizieren? Wenn ja - wie?
Oder: Neun von zehn jungen Österreichern träumen von einem glücklichen Familienleben, berichtete jüngst die angesehene Jugendzeitschrift „Wende“. In einer weiteren Diskussionsmeldung fiel auch der Satz: „Sicher verteidigen, auch mit der Waffe in der Hand, würde ich eigentlich nur meine Familie.“
Klingt gut. Aber in der Hitler-Zeit gingen Tausende aufrecht in den Widerstand und ins Konzentrationslager, wissend um das Risiko, ihre Familien damit in Unglück oder Tod zu stürzen: weil es noch etwas Größeres für sie gab. Sinnloser Tod?
, Daß „das Größere“ für viele Jugendliche nicht der Staat, das Vaterland, die Heimat ist, wird einem heute rundum versichert. „Die Grenzen“ wollen viele junge Menschen nicht verteidigen - „für mich hört Demokratie nicht an der Grenze auf*, sagen sie.
Stimmt. Aber wo kann man „Demo
kratie als solche“ verteidigen, wenn nicht an der Grenze? Und indem man in ihren Einrichtungen mitwirkt? Wo und wie verteidigt man, wenn Panzer rollen, „Zärtlichkeit“, was auch die Jungen gerne täten?
„Lieber rot als tot“ ist ein Slogan, der, so liest man, selbst bei konservativen Jugendlichen viel Anklang findet. Man ist zwar mit überwältigender Mehrheit gegen den Kommunismus - aber diesen notfalls auch aktiv zu bekämpfen, finden anscheinend imm^r weniger sinnvoll.
Das menschliche Leben hat gewiß einen hohen Wert. Aber nur dieses? Können Materialismus, Konsum- und Prestigewahn unserer Gesellschaft wirklich Grund genug sein, ein anderes Gesellschaftsmodell nicht mehr zu fürchten, wo es keine Denk-, Rede-, Mei- nungs-, Versammlungs-, Produktionsund Konsumfreiheit gibt?
Bei uns kann man über Änderung, Umkehr, Neuerung diskutieren, dafür demonstrieren und agieren - dort winkt dafür nur das Gefängnis. Ist es da wirklich christlich, wie die „Linzer Kirchenzeitung“ letzten November zur Freude vieler Junger schrieb, Ungehorsam auch bei uns als „Tugend des Friedens“ zu erkennen und als „Form der Verteidigung des Volkes“ einzuüben? Was, wenn alle Demokraten so gedacht hätten, als Hitler marschierte?
„Ich lese die politischen Seiten nicht, weil ich mich dafür nicht interessiere,“ sagte ein Student bei einer FURCHE- Diskussion. Und ein anderer: „Ich bin politisch sehr interessiert, aber die Art, wie in Österreich über Politik berichtet wird, stößt mich ab.“
Eine .verdiente Breitseite gegen den politischen Journalismus dieses Landes. Wir sollten ihn sehr ernst nehmen.
Trotzdem: Machen es sich die Jungen nicht auch da zu leicht? Von den Politikern forderte der Wiener Vizebürgermeister Erhard Busek beim österreichischen Kulturgespräch in Salzburg Mitte Jänner mehr Mut (zur Wahrheit statt zum Blabla), von den Jungen aber mehr Toleranz. Beides zu Recht.
Warum geben so viele von ihnen so ungern zu, daß nicht alles in der Politik schlecht ist, nicht alle Politiker korrupt sind? Warum wollen sie auch jenen
nicht glauben, deren Vertrauenswürdigkeit durch keine objektiven Fakten erschüttert ist?
Ebenfalls beim Kulturgespräch in Salzburg konnte man hören, die heutige junge Generation suche nicht mehr nach Alternativmodellen, sondern begnüge sich mit der totalen Absage an Staat, Gesellschaft, Ältere.
Ist das wahr? Oder weisen die Gewaltakte von Zürich, Berlin, Frankfurt, Freiburg und Göttingen trotz aller Unterschiedlichkeit letztlich doch schon wieder in eine gemeinsame Richtung?
Man wird einwenden: Auch die heutige Jugend engagiert sich für soziale Ziele! Stimmt. Man ist bereit zu Aktionen im überschaubaren Raum (Nachbarschaftshilfe, Caritas), für bestimmte Ein-Thema-Ziele (gegen Atomkraft, gegen Waffenexporte) und für die ferne, die Dritte Welt.
Dazwischen aber liegen die Institutionen, die das Engagement der jungen Generation genau so dringend nötig hätten (Parteien, Verbände, Parlament, Kammern usw.) und die verschlungene Vielschichtigkeit der Probleme, die man nicht löst, wenn man ein einziges davon herausbricht und anprangert.
Hängt das alles vielleicht auch damit zusammen, daß wir alle zu lange kritiklos falsche Schlagworte nachgeplappert haben, die in Sackgassen, Isolation und Egoismus münden können? Zum Beispiel auch: „Gemeindekirche“ Oder gar: „Selbstverwirklichung“
Selbstverwirklichung ohne soziale Verantwortung ist der größte Selbstbetrug.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!