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Fragen nach der Seele

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Hochwürden, wenn wir gestorben sind, was geschieht mit- unserer Seele? Ist sie sogleich im Jenseits oder muß sie auf das Jüngste Gericht warten?

„Ich weiß es nicht.“

Wäre meine Frage darum unbeant-wortbar, weil es ja doch für die Seele weder Zeit noch Raum mehr gibt? Also verginge keine Zeit von dem Augenblick unseres Todes an bis zum Jüngsten Gericht, und ebenso verhielte es sich mit dem Himmel, der nur raumlos geahnt werden kann?

„Ich weiß es nicht.“

Das ewige Leben, das uns verheißen ward, muß aber doch irgendwie auch in Zeit und Raum vorgestellt werden?

„Nach unserem Verstand und unseren Sinnen vielleicht.“

Und die Auferstehung, die der Seele einen unverweslichen Körper gibt, wie könnte sie im ewigen Leben begriffen werden?

„Ich weiß es nicht.“

Hat nicht Christus am Kreuz zu dem Schacher gesagt: „Heute Nacht noch wirst du mit mir im Paradies sein?“

„Das hat er gesagt.“

Daraus aber würde folgen, daß auch wir — sowie unsere Seele frei ist, sofern wir das ewige Leben erhalten —.

„Ich muß es Ihnen zugeben, und doch weiß ich es nicht.“

Wer aber hat das ewige Leben?

„Der Liebende.“

Und der nicht lieben kann?

„Erinnern Sie sich: Der russische Dichter Dostojewski] hat das Gültigste geschrieben: Die Hölle ist die Unfähigkeit, zu lieben.“

Das heißt, daß die nicht liebenden Seelen auch in einem Leben verbleiben, das nicht das ewige ist, und daß sie daran leiden?

„Das weiß ich nicht.“

Ich frage nochmals nach den Liebenden. Bedeute es nicht für viele, die trauern, eine Gewißheit, daß ihre Toten ihnen nahe sind?“

„Wir glauben es oft“

Wir halten doch für sie Seelenmessen?

„Ja.“

Wir beten für sie? „Ja.“

Fühlen sie, daß wir für sie beten?

„Ich weiß es nicht.“

Haben nicht auch Sie geliebte Tote, nach ihrem Begräbnis wunderbarer Weise deutlich vor sich gesehen?

„Wohl.“

Später, aber dann seltener und endlich nicht mehr?

„Das ist auch bei mir so gewesen.“

Müßte man nicht daraus schließen, daß die Seelen unserer Verstorbenen uns ferner geworden sind?

„Das hieße, Zeit und Raum wieder annehmen.“

Oft kommt mir der Gedanke, daß darum so viele Sterne um uns leuchten, weil auf ihnen die Seelen ihr ewiges Leben haben.

„Das ist einer der schönen Gedanken, mit denen uns die Phantasie trösten möchte.“

Natürlich kann unsere Phantasie nichts beweisen. Und doch lassen wir nicht ab, zu fragen.

„Wir sollen glauben, ohne zu fragen.“

Sind wir nicht von unseren Toten verlassen? Sehnen wir uns nicht, wieder mit ihnen zu sein? Was aber wäre unerreichbarer als sie?

„Unerreichbar? Nicht anders als Gott unerreichbar ist.“

Gott aber ist erreichbar.

„Für den Mystiker.“

Die Geburt Gottes in der Seele und die Geburt der Seele in Gott — diese Hoffnung Eckeharts hilft uns nicht, das Niewieder aufzuheben.

„Das ist wahr.“

Vielleicht wollen die entrückten Seelen gar nicht mehr mit Irdischem wieder verbunden sein. — Sie haben Dostojewski] erwähnt. Ich möchte einen anderen Dichter zitieren: Den englischen Lyriker Shelley, der ein Atheist war und doch schrieb, daß sich die Seelen der Toten an den Lebenden rächen. Wäre das nicht furchtbar?

„Das können die Seelen nicht, die das ewige Leben haben.“

Und die nicht das ewige Leben haben?

„Fragen Sie mich nicht. Wie sollten wir einen solchen Gedanken gelten lassen?“

Nicht wahr? Welch ein Dunkel umhüllt unsere Toten. Und es sollte doch nur Himmelslicht sie offenbaren.

„Seit der Auferstehung des Heilands kann es nur noch den zeitlichen Tod geben.“

Wenn ich nur immer daran glauben könnte!

„Der Glaube gebiert den Zweifel, der Zweifel den Glauben.“

.Das hat auch ein Dichter meiner Sohwester gestanden. Es war — wer nur war es —?

„Reinhold Schneider.“

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