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Fragezeichen um „Isabelita“

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In Argentinien geschieht häufig das Unerwartete. Als Perön seine Rückkehr und dann seine Präsidentschaftskandidatur ankündigte, zweifelte man an der Ernsthaftigkeit dieser Absichten, Noch vor 14 Tagen hielt man es in Buenos Aires für unmöglich, daß seine dritte Frau, Maria Estela Martinez, genannt, „Isabelita“, die Präsidentschaft des Landes ernsthaft antreten könne. Es wirkt gewiß grotesk, wenn man die sympathische, aber politisch völlig unerfahrene Frau mit Golda Meir oder Indira Ghandi in einem Atem nennt, um zu beweisen, daß auch in Argentinien eine Frau das höchste Staatsamt übernehmen könne. Der engste Vertraute der Familie Perön — erst Privatsekretär und jetzt Sozialmmister — Lopez Rega schlug gleich die ersten Takte der neuen Propaganda-Symphonie an, als er im Rundfunk die nationale Solidarität für „Isabelita“ verlangte und sie dabei „die beste Schülerin des Generals“ nannte, die den Weg „Evitas“ fortsetzen werde. Tatsächlich hat Perön sie mit einigen politischen Aufträgen betraut, als er von Spanien aus die Zwietracht im peroni-stischen Lager zu schlichten versuchte. Bei allem Respekt, den man der Gattin des vielgeliebten Caudillo entgegenbrachte, war man sich darüber einig, daß ihr vom Schicksal eine nur repräsentative Aufgabe zugewiesen war.

Nun sind die lateinamerikanischen Volksmassen schnell emotionell ansprechbar. Wie sich die Neigung zu einem verdienstvollen König auf seine ganze Familie ausdehnt, ist es möglich, daß Isabelita zum „Ersatz-Idol“ der peronistischen Masse wird. Aber es ist nicht wahrscheinlich. Im übrigen kommt es bei einem führerlosen Staatsschiff, wie Argentinien es in diesem Augenblick darstellt, nicht auf die Gallions-Figur, sondern auf den Steuermann an. Er ist nicht in Sicht,

Im Vorjahr traten der Präsident Dr. Hector J. Cämpora und der Vizepräsident Dr. Solano Lima, die bei dem ersten peronistischen Wahlsieg an die Macht gelangt waren, zurück, um Perön den Weg zu ebnen. Es wäre nahegelegen, daß sie jetzt wieder an seine Stelle getreten wären. Aber der Wind hatte sich gedreht. .Links“ ist nicht mehr gefragt. Dr. Cämpora kam unaufgefordert zwei Tage vor dem Tode Peröns von seinem Botschafterposten in Mexiko zurück und wurde abgesetzt. Ob es der letzte Regierungsakt Peröns oder der erste Isa-belitas war, steht nicht fest. Doktor Solano Lima, ein Volkskonservativer — also kein Peronist — trat von seinem Posten als „persönlicher Berater“ Peröns und Interventor der Bonaerenser Universität zurück, als Isabelita die Präsidentschaft übernahm.

Viele hatten für den Fall des Todes Peröns einen neuen Staatsstreich prophezeit. Aber nicht nur die drei Kommandanten (Armee, Marine und Luftwaffe), sondern sogar der Ex-Präsident, Generalleutnant Alejandro Lanusse, der als erbittertster Feind Peröns galt, haben sich in einer langen Beileidskundgebung mit großem Pathos für den „verfassungsmäßigen Weg“ erklärt. Von den Kommunisten bis zu den Konservativen stellen 'sich alle Parteien an die Seite der Präsidentin. Von besonderer Bedeutung ist die Haltung von Dr. Ricardo Baibin. Er ist der Leader der zweitgrößten Partei des Landes, der „Radikalen“ (Liberalen) und war jahrzehntelang der Gegenspieler Peröns. Er hat sich mit ihm im letzten Jahr verständigt und war einer der ersten Besucher Isa-belitas. Bei der Überwindung der Parteigegensätze sprach man häufig von der Möglichkeit, mit den Radikalen entweder eine Koalitionsregierung zu bilden, oder einen Staatsrat mit beratender oder entscheidender Funktion zu schaffen. Aber Baibin will nicht auf .die Individualität seiner Partei verzichten, wobei er sicher daran denkt, daß es, gerade wenn die Verfassung gehalten wird, 1977 zu neuen Wahlen kommen muß.

Während sich in den meisten Demokratien die Konflikte daraus ergeben, daß die Oppositionsparteien die Regierungspartei überspielen, entsteht die argentmische Krise aus der Spannung innerhalb der Pero-nisten. Lopez Rega ist das rote Tuch für die Linksgruppen. Es ist bezeichnend, daß die von Mario Firmenich geführte Gruppe der Jung-Peronisten schon in der ersten Reaktion auf den Tod Peröns erklärte: „Nur die Organisation kann den Führer ersetzen und vermeiden, daß Abenteurer und Skrupellose ihren Plan fortsetzen, die Macht an sich zu reißen.“ Man kann sich kaum vorstellen, daß die „Peronistische Jugend“, die sogenannten „Basen“, oder gar die Ex-Guerrilleros der „Montoneros“ eine Regierung akzeptieren, die den „rechten“ Kurs steuert.

Es ist bezeichnend, daß am 1. Juli zum drittenmal in zwei Monaten in Buenos Aires kerne Zeitungen erschienen, weil die Drucker unter dem Gewerkschaftsführer Raimundo Ongaro, der vor einigen Jahren die „Gegen-CGT der Argentinier“ gegründet hat, einen illegalen Streik durchführten. Auch in der wichtigen Industriestadt Cördoba wehen noch revolutionäre Lüfte. Weiter stellt die Wirtschaftskrise für die neue Präsidentin eine kaum zu knackende Nuß dar. Nicht einmal der Autorität des unangefochtenen Peröns ist es gelungen, seinen „Sozialpakt“, der ehr weitgehendes Einfrieren von Löhnen und Preisen zum Gegenstand hatte, auf Dauer durchzusetzen. Schließlich schafft die Guerril-la, vor allem der „ERP“ (Ejercito Revolucionärio del Pueblo — Revolutionäres Volksheer) mit seinen Attentaten und Entführungen am laufenden Band ein Klima alarmierender Unsicherheit.

Der Tod Peröns hat ein Vakuum der Macht geschaffen, das nicht nur Argentinien, sondern ganz Lateinamerika in höchstem Maße beunruhigt.

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