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Fragwürdige Demokratie in Ecuador

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Der ständige Wechsel zwischen Demokratie und Diktatur, der die verfassungsmäßige Situation in fast allen lateinamerikanischen Ländern charakterisiert, zeigt sich mit besonderer Deutlichkeit in dem kleinen Fünf-Mil- lionen-Staat Ecuador, der in den eineinhalb Jahrhunderten seiner Unabhängigkeit unter 17 Verfassungen von etwa 63 Präsidenten in 46 zivilen und 32 de facto-Regierungen beherrscht wurde. Bei der Tendenzänderung, die sich in Lateinamerika in Richtung auf Demokratisierung anbahnt, liegt Ecuador wieder einmal an der Spitze. Das Militärtriumvirat unter der Präsidentschaft des Vizeadmirals Alfredo Poveda hat drei Kommissionen eingesetzt, um eine neue Verfassung vorzuschlagen oder die Verfassung von 1945 zu reformieren und dazu ein neues Wahl- und Parteiengesetz auszuarbeiten. In sechs Monaten soll eine Volksabstimmung über das zukünftige Grundgesetz, im November die Wahl des Präsidenten stattfinden, dem die Militärregierung im Jänner 1978 die Macht übergeben will. Aber die Chance, daß sich dieser Normalisierungsprozeß programmäßig abwickeln könnte, ist gering. Als das Triumvirat im Jänner 1976 den Diktator Rodriguez Lara ersetzte, erklärte es, die Rückkehr zur zivilen Gewalt sei davon abhängig, daß „Frieden und Ordnung” herrsche. Später wurde diese Voraussetzung von der Forderung begleitet, daß alle Parteien in den Kommissionen mitzuarbeiten und daß revolutionäre Akte zu unterbleiben hätten. Davon kann aber gar keine Rede sein. Sieben der insgesamt dreizehn Parteien wiesen gemeinsam den Plan zurück, unter ihnen der „Velasquismo”, die Konservativen, die Sozialisten und die „Demokratische Linke”. Sie veröffentlichten eine gemeinsame Kundgebung, in der sie die sinnlose Absicht der Diktatur hervorhoben, an der Unveränderlichkeit des Plans festzuhalten, der zutiefst der „Lebensform der Ecuadorianer” widerspreche. Die Streitkräfte sollten vielmehr die Macht einem „provisorischen Präsidenten” übergeben, der seinerseits eine verfassunggebende Versammlung einzuberufen habe.

Die führende Rolle im Hintergrund spielt hiebei der 1962 von Rodrigez Lara gestürzte Präsident Josė Maria Velasco Ibarra. Er gehört zu den eigenartigsten Figuren auf der politischen Bühne Lateinamerikas. Der lange dürre Mann mit dem Totenkopfschädel ist ein Intellektueller von Format. Er wird vom Volk geliebt, das er durch seine geniale Rednergabe besticht. Außerdem unterscheidet er sich von vielen lateinamerikanischen Politikern dadurch, daß er nicht nur unbestechlich ist, sondern Geld und Sex für alle Übel der Welt verantwortlich macht. Er lebt derzeit wieder einmal als Emigrant in Buenos Aires. Da er schon 83 Jahre alt ist, will er nicht wieder kandidieren, will aber seiner Partei helfen. Er hat den „Dialog” mit dem Triumviart „eine große Lüge” genannt, „aus der absolut nichts herauskommen kann”. Anfang Dezember 1976 erließ der „Partido Velasquista” seinerseits ein Kommunique, demzufolge sich auch aus der innerpolitischen Repression ergäbe, daß der Demokratisierungsplan eine Farce sei. Der Rektor der Zentraluniversität, Juanito Camilo Mana, war soeben verhaftet worden, mit ihm 36 Studenten, die nach Rio Bamba fahren wollten, wo eine Aufstandsbewegung der Bauernbevölkerung im Gange ist, die sich von der Zentralregierung verlassen fühlt.

Im erzbischöflichen Palais von Rio Bamba hatte im August eine Konferenz von 15 Bischöfen und 37 Priestern stattgefunden, die von der Regierung als subversiv aufgelöst worden war. Im November waren 67 Geistliche und Zivilisten in einem Exerzitien-Haus der Diözese Quito verhaftet worden, die eine „Uniön Democrätica Nacio- nal”, eine linkskatholische Organisation, gründen wollten. Die christdemokratische Partei verlangte vergeblich die sofortige Entlassung der Festgenommenen. Der Führer der „Nationalistischen Revolutionären Partei”, der wegen Trunksucht abgesetzte Ex-Präsident Carlos Jülio Arosemena, wandte sich an die Kommission für Menschenrechte bei der UNO, weil der „zweite Mann” seiner Partei, Josė Vicente Ortuno, in eine Urwaldgarnison an der peruanischen Grenze verbannt worden war.

Einer der ärgsten Unruheherde ist die Petroleumzone mit der Stadt Esmeralda. Dort traten die Geschäftsleute in einen Proteststreik, weil sie sich von der Regierung benachteiligt fühlten. Bei dieser Gelegenheit wurde versucht, die Ölleitung in Brand zu stecken.

Der Übergang Ecuadors aus dem Zwischendeck der Weltwirtschaft in die Luxusklasse der petroleumproduzierenden Staaten mit einer Produktion von 211.000 Barrels pro Tag geht nicht reibungslos vor sich. Angesichts der politischen und sozialen Unruhe können auch Optimisten nicht an die Einhaltung des Demokratisierungsprogramms glauben.

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