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Fragwürdige Richtung Nord

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Seit etwa einem Jahr gärt innerhalb der CSU ein Prozeß, dessen langfristige Folgen noch nicht abzusehen sind, dessen starke Wirkung jedoch schon heute feststellbar zu sein scheint. Die Diskussion um ein neues Gifundsatzprogramm, die sich erst in einem Zwischenbericht der dazu eingesetzten Kommission und jetzt in der Stellungnahme der Bezirks-, Kreis- und Ortsverbände artikulierte, hat das bisherige Klischee von dieser Partei teilweis« außer

Kraft gesetzt. Aus einem angeblich traditions- und spezeln'gebundenen Polit-Verband, in dem die lokalen Pfründen mit gesundem, dem Fortschritt nicht unbedingt abholdem Pragmatismus behauptet wurden, bei dem jedoch auf überregionaler und theoretischer Ebene eine passiv-in-differente .Neigung zur Akklamation der herausragenden Figur des Vorsitzenden und dessen Positionen vorherrschte, hat sich in den letzten zwei bis drei Jahren eine moderne, gut durchorganisierte Partei entwikkelt, die — bei unverminderter Betonung landsmannschaftlicher Eigenart — durchaus auf allen Ebenen bemüht ist, die eigenen Positionen kritisch zu durchdenken. Die Diskussion um ein neues Parteiprogramm hat nun diese Wandlung erstmals deutlich nach außen sichtbar gemacht.

Zum Zwischenbericht haben mittlerweile 71 Prozent der verschiedenen Parteiorganisationen Stellung bezogen; 58 Prozent beantworteten auch einen umfangreichen Fragebogen, der Bewertungen malysierte. Danach fordern immerhin zwei Fünftel der Befragten eine veränderte Schwerpunktsetzung in wichtigen Bereichen. So sollten die Grundsätze deutlicher in Richtung einer besseren Selbstdarstellung der CSU im Bereich des „C“ und des ,.S“ behandelt, im Abschnitt Wirtschaft und Gesellschaft der „soziale Ausgleich“ mehr herausgearbeitet und insgesamt den Fragen des Arbeitnehmers mehr Raum gegeben werden. Daß die Anregung mit der „neuen sozialen Frage“ von der CDU aufgegriffen wurde, zeigen auch andere Vorschläge, die der beruflichen Bildung, dem Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft, der Familien-, Sozial-und Gesundheitspolitik, den Behinderten und den älteren Menschen vordere Ränge im Programm zuweisen wollen. Fast die Hälfte der Befragten sprach sich gleichzeitig dafür aus, die Deutschland-, Außen- und Sicherheitspolitik, die Politik der Frau, aber auch Bildung, Wissenschaft und Kultur etwas im Aussageumfang zu beschneiden. Kritik richtete sich ferner gegen die Form des Zwischenberichts, den 44 Prozent für „zu gekünstelt“ hielten.

Die Auswertung der detaillierten Stellungnahmen ergab nach Ansicht des Vorsitzenden der Grundsatzkommission, Waigel, daß sich, die Partei^ basis am intensivsten mit den Kapiteln Wirtschaft und Gesellschaft, den theoretischen Kapiteln „Grundsätze“ und „Aufbau“ sowie dem Abschnitt „Jugend als politische Aufgabe“ beschäftigt hatte. Hier seien auch auf dem Programmparteitag im Frühling kommenden Jahres die meisten Änderungsanträge zu erwarten. Bereits jetzt vorliegende Änderungswünsche befassen sich mit der Hereinnahme der 10 Punkte von Strauß zur Bestimmung der Mitte, mit der Abgrenzung zum Klerikalismus und mit dem Leistungsprinzip. Einige kritisieren, daß Mitgescaltung und Mitverantwortung zu negativ formuliert seien.

Interessant ist die Tatsache, daß bei der Diskussion der Programmpunkte auf den unteren Parteiebenen neben der Jungen Union auch die Christlich-Soziale Arbeitnehmerschaft — ein CSU-Pendant der CDU-Sozialausschüsse — eine recht aktive Rolle spielte. Ferner hat es sich insbesondere der Münchner Unterbezirk zum Spezial-Anliegen gemacht, die sozialen Aspekte überall in den Vordergrund zu rücken.

Am Schluß dieser ersten Diskussionsrunde innerhalb der CSU um ein neues Parteiprogramm scheint jedenfalls eines festzustehen: Trotz einiger markanter Unterschiede in der Mitbestimmung, der Vermögensbildung und dem Verständnis der Bundesstaatlichkeit, sowie mancher Abweichungen bezüglich des Stellenwerts einzelner Probleme, sind insgesamt die inhaltlichen Differenzen gegenüber der CDU eher klein geblieben und zum Teil sogar noch kleiner geworden. Und es ist nicht zu verkennen, daß man innerhalb der CSU die Leute mit der Lampe suchen muß, die ohne „wenn und aber“ einer Ausweitung der Partei auf Bundesebene zustimmen. Eine Umfrage, die einer künftigen bayrischen CDU 20 Prozent der Stimmen zurechnet, hat viele stutzig gemacht. Freilich — die diskussionsfreudiger gewordene CSU ist auch bereit, mit ihrem Vorsitzenden zu diskutieren. Und wenn dessen Argumente stechen, könnte sich die bayerische Union trotz allem zum Aufbruch gen Norden rüsten. Die Geschichte lehrt allerdings, daß den Bayern Unternehmungen in diese Himmelsrichtung noch nie sehr gut bekommen sind.

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