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Francos „magyarisches“ Regime

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Vor kurzem meldeten die Zeitungen, daß wieder eine Verhaftungswelle durch Katalonien ging und nicht nur Kommunisten und Sozialisten, sondern auch ausgesprochen rechtsstehende Katalanen von der Polizei Francos in Haft genommen wurden. Diese Vorgänge zeigen wieder auf, daß in Spanien ein Problem zwischen Mehrheit und Minderheit von Volksgruppen besteht — und daß dieses Problem das parteipolitische zum Teil überlagert. Franco ist heute schwerkrank und alt Es ist eine Frage der Zeit, wann nach seinem Tod Spaniens Konflikte und Probleme wieder in den Mittelpunkt des Weltinteresses rücken müssen.

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Vor kurzem meldeten die Zeitungen, daß wieder eine Verhaftungswelle durch Katalonien ging und nicht nur Kommunisten und Sozialisten, sondern auch ausgesprochen rechtsstehende Katalanen von der Polizei Francos in Haft genommen wurden. Diese Vorgänge zeigen wieder auf, daß in Spanien ein Problem zwischen Mehrheit und Minderheit von Volksgruppen besteht — und daß dieses Problem das parteipolitische zum Teil überlagert. Franco ist heute schwerkrank und alt Es ist eine Frage der Zeit, wann nach seinem Tod Spaniens Konflikte und Probleme wieder in den Mittelpunkt des Weltinteresses rücken müssen.

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Es mag für manchen verwunderlich sein, das Regime Francos als ein „magyarisches“ zu bezeichnen. Denn Spanien ist doch himmelweit von Ungarn entfernt. Aber dennoch hat das heutige Regime Spaniens eine sehr große Ähnlichkeit mit jenem

Regime, das bis zum Jahr 1918 im Königreich der heiligen Stephanskrone herrschte.

Die Unkenntnis über Spanien in Mitteleuropa ist leider sehr groß. Die meisten Mitteleuropäer glauben, daß Spanien nur von einem einzigen Volk bewohnt wird und vermuten, wenn sie etwas von Basken oder Katalanen hören, daß es sich um irgendwelche Teile des spanischen Volkes handle, ähnlich Tirolern oder Bayern.

In Wirklichkeit liegen die Verhältnisse ganz anders: wohl gibt es eine spanische Nation, die ganz Spanien bewohnt, aber diese Nation gliedert sich in drei oder sogar vier Völker.

Diese vier Völker sind:

• die Kastilier.

• die Katalanen,

• die Basken,

• die Galicier.

Innerhalb dieser vier Völker sind die Kastilier die zahlreichsten. Sie umfassen 49 Prozent der Bevölkerung. Aber sie sind nicht nur das zahlreichste Volk der spanischen Nation, sondern politisch auch das mächtigste. Diese 49 Prozent beherrschen die übrigen 51 Prozent, ähnlich wie einst die 49 Prozent Magyaren über die 51 Prozent der übrigen Völker des Stephansreiches regierten. Und insofern kann mit Recht das Regime Francos als ein „magyarisches Regime“ bezeichnet werden. Die Sprache der Kastilier, das Castellano — von vielen Mitteleuropäern als „Spanisch“ bezeichnet, ist die ausschließliche Amtssprache, die Sprache, in der die Armee kommandiert wird, die in den Ämtern gesprochen werden muß und auch in den Schulen gelehrt wird. Bis vor kurzem — bis zum Jahr 1965 — war nur Kasti-lisch in den Kirchen zugelassen. Erst seit diesem Jahr darf auch Katalanisch und Baskisch in den Kirchen als Liturgie- und Verwaltungssprache verwendet werden.

Eine Nation — vier Völker

Von den drei nichtkastilischen Völkern sind die Katalanen das größte, das rund 6 bis 8 Millionen umfaßt. Ihre Sprache, die eine Art Provenza-lisch ist und dem Südfranzösischen ähnelt, ist nicht nur eine alte und schöne, sondern auch eine an Literatur sehr reiche Sprache. Sie wird hauptsächlich im Osten der Pyre-

näenhalbinsel, in Katalonien, in einigen aragonesischen Grenzbezirken sowie im größten Teil der Provinz Valencia, auf den Balearen, ferner sogar in einigen Südteilen Frankreichs und in einer Stadt Sardiniens gesprochen. Barcelona ist die größte

katalanische Stadt, Mallorca die größte katalanische Insel.... ,.

Die Basken selbst sind nur ein relativ kleines Volk. Sie umfassen insgesamt rund 600.000 Menschen, Von denen wiederum nur 450.000 im heutigen Spanien leben. Sie sprechen eine merkwürdige nichtindogermanische Sprache, die zu erlernen nahezu unmöglich ist und die nur der zu beherrschen vermag, der in sie hineingeboren wurde. Die Basken leben hauptsächlich im nördlichsten Spanien und reichen ebenfalls nach Frankreich hinüber. Der Gründer des Jesuitenordens, Ignatius von Loyola war ein gebürtiger Baske und nicht minder hat die Baskenmütze ihren Namen in alle Welt getragen.

Die Galicier wiederum bewohnen den nordwestlichsten Teil von Spanien. Ihre Sprache ähnelt schon sehr dem Portugiesischen und ist mit diesem aufs engste verwandt. Erst spät, im 19. Jahrhundert, wurde das Ga-licische zur Literatursprache und ist ein Zeichen dafür, daß auch dieser Teil der spanischen Nation langsam zu einem eigenen Volk wird.

Das Erbe der Bourbonen

Katalanen, Basken und Galicier besitzen keine eigenen Schulen. In den Schulen wird ausschließlich Kasti-lisch gelehrt. Nach dem Sieg Francos war es den Katalanen durch viele Jahre sogar verboten, Bücher oder gar Zeitungen in katalanischer Sprache herauszugeben, das gleiche galt natürlich für die Basken und Galicier. Nicht einmal Gedichte in diesen Sprachen durften veröffentlicht werden. Natürlich sind die öffentlichen Bezeichnungen nur kastilisch, ähnlich wie im ganzen Königreich der Stephanskrone sämtliche Aufschriften nur in magyarischer Sprache gehalten waren.

Dieses „magyarische Regime“ ist natürlich keine Erfindung des heutigen spanischen Staates. Es geht auf die Bourbonen zurück, von denen das Regime Franco diese „magyarische“ Einrichtung übernommen hat.

Bis zum Aussterben der Habsburger im Jahr 1700 war Spanien als eine Art Union von Königreichen und Völkern organisiert. Der erste König dieser Union war der Habsburger Karl L, in der Geschichte als Römischer Kaiser Karl V. bekannt. So wie er achteten auch alle seine

Nachfolger streng auf die Einhaltung aller Rechte der einzelnen Königreiche. Diese besaßen nicht nur eine Autonomie, sondern eine weitgehende Selbständigkeit. Und damit auch einen Geltungsbereich für die einzelnen in den Königreichen herrschenden Sprachen.

Mit Beginn der bourbonischen Herrschaft wurde alles anders. Wie in Frankreich und Süditalien, zentralisierten auch hier die Bourbonen sofort das Land. Die Union der Königreiche wurde umgewandelt in eine Union der Provinzen. Alle Sonderrechte wurden abgeschafft und alle Provinzen mußten nach dem gleichen Recht leben. Jede Zentralverwaltung benötigt eine zentrale Verwaltungssprache und so führten die Bourbonen die Sprache der größten Volkes

Spaniens, der Kastilier, als allgemeine Sprache für ganz Spanien ein. Seit dieser Zeit gilt in Europa Kasti-Hg& als. Spanisch..

Als der Vater Maria Theresias, Karl VI., versuchte, die Herrschaft für die Habsburger in Spanien wiederzuerlangen, fand er Anhänger fast ausschließlich in den katalanischen und baskischen Teilen des Landes. Sie wußten, warum sie sich Karl VI. — als spanischer König Karl III. — anschlössen. Unter der habsburgischen Herrschaft hätten sie weiterhin nach ihrem Sonderrecht leben und vor allen Dingen ihre Muttersprache verwenden können.

Aber Karl III. konnte sich nicht behaupten — sein letzter Stützpunkt war die Insel Mallorca mit der Burg Randa — und mit dem Sieg der Bourbonenherrschaft siegte auch endgültig das Prinzip des Zentralismus in Spanien und damit die Vorherrschaft der kastilischen Sprache.

Aber der Spanier ist ein Mensch, der nur schwer ein Unrecht ertragen kann. Und so gab es denn immer wieder seit Errichtung der „magyarischen Herrschaft“ in Spanien Unru-

hen, bei denen mehr oder minder der Ruf nach Gerechtigkeit für Katalanen und Basken laut wurde. In den Karlistenkriegen, die im 19. Jahrhundert so oft die spanische Welt erschütterten, standen Katalanen und Basken fast immer auf Seiten der Gegner des Madrider zentralisti-schen Regimes. Aber erst die spanische Republik, die 1930 ausgerufen wurde, raffte sich dazu auf, eine grundsätzliche Regelung der katalanischen Frage zu schaffen: nach vielen inneren Widerständen wurde 1932 die „Generalidad de Cataluna“ geschaffen, mit vollständiger Autonomie aller von Katalanen bewohnten Teile des Landes. Von der Volksschule bis zur Universität wurde nur Katalanisch unterrichtet, in den Ämtern nur katalanisch gesprochen.

Kaum brach aber im spanischen Bürgerkrieg, die spanische Republik zusammen und kam Franco zur Herrschaft, wurde überall wieder das alte bourbonische zentralistische System eingeführt und alle nichtkastilischen Sprachen verboten und unterdrückt. Und warum? Katalanen und Basken waren vielfach in der Anti-Franco-Front gestanden. Das Verbot ihrer Sprachen war eine Art „Bestrafung“.

Franco und Bourbon

Die Regierung des Generalissimus Franco hat für Spanien außerordentlich viel geleistet. Insbesondere auf dem sozialen Gebiet. Die Einführung von Sozialversicherung in Spanien, die im übrigen Europa schon seit langem gültig war, ist erst diesem Regime zu verdanken. Auch auf dem Gebiet der Urbarmachung, der Industrialisierung hat das Regime viel geleistet. Nicht zuletzt hat es das Land dem internationalen Fremdenverkehr erschlossen und damit für viele Teile Spaniens und für viele Menschen eine neue Quelle des Reichtums erschlossen. Auch konnte

Franco Spanien aus dem Zweiten Weltkrieg heraushalten.

Um so bedauerlicher ist es, daß dieses Regime an der alten „magyarischen Regierungsform“ der Bourbonen festhält. Zentralistische Regime haben fast noch keinem Land Glück gebracht. Weder Ungarn, noch Spanien, noch Italien (das seit einiger Zeit im Begriff ist, seinen Zentralismus aufzulösen). Es ist sogar zu bezweifeln, ob das zentralistische System ein Glück für Frankreich war. Ohne das Vorhandensein eines bereits funktionierenden zentralisti-schen Systems wäre weder die jakobinische Herrschaft der Revolution, noch die Herrschaft eines Napoleon möglich gewesen. Jedes zentralistische System enthält die Gefahr, daß bei einem politischen Umschwung dank diesem System sofort das ganze Land in die Hände der bisherigen Gegner gelangt. Der Föderalismus mit seinem vielfältigen Kontrollsystem hat sich immer wieder als eine wirksame Waffe gegen alle jakobinischen Umstürze erwiesen. Das Vorhandensein eines „magyarischen Systems“ in Spanien muß ge-

radezu alle Gegner des Regimes reizen, dieses in die Hand zu bekommen und dadurch wieder eine endgültige Herrschaft i über das Land zu erreichen. Die Abschaffung des alten bourbonischen Zentralismus und die Wiederherstellung der alten habsburgischen Ordnung wäre somit ein wirksames Schutzmittel gegen den Ausbruch aller möglichen Revolutionen in Spanien, das ohnedies immer einem Vulkan gleicht.

Die Gleichberechtigung aller Völker und Sprachen innerhalb Spaniens würde viele Gefahrenherde beseitigen. Es wäre auch ein Akt der Gerechtigkeit, der längst fällig ist, denn jedes Volk hat das Recht auf seine Sprache, wie es der Artikel XIX der alten österreichischen Verfassung aussprach.

Das Regime Francos tut sich viel auf seinen christlichen Charakter zugute. Aber durch seine Haltung gegenüber Katalanen, Basken und Ga-liciem wird einer der Grundsätze des Christentums, die Gerechtigkeit, eklatant verletzt.

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