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Frankie-Boy“ ins Weiße Haus?

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Am 24. März 1971 gab „Frankie-Boy“ im kalifornischen Palm Springs bekannt, daß er sich „aus dem öffentlichen Leben zurückziehen“ werde. Was diesen angeblich endgültigen Entschluß begründete, wurde — von ihm jedenfalls — nicht mitgeteilt. Andere rieten: Unlust an kommerziellen Dingen (ausgerechnet dieser Geschäftemacher?), spätentwickelter Familiensinn (da derzeit frauen- und kinderlos, worauf gerichtet?), Krankheiten (vom Verlust der Stimme, die er offenkundig immer noch hat, bis zum Krebs, den er erwiesenermaßen nicht hat) und derlei mehr. Ende Juni 1971 schnauzte Sinatra, über den wahren Anlaß des Verzichts befragt, einen Reporter des Magazins „Life“ an: „Zum Teufel, ich gebe es einfach auf. Das ist alles.“ Zu künftigen Absichten meinte er: „Ich werde Kakteen photographieren, Plato lesen und Petunien anpflanzen.“

Ansonsten wolle er, wie aus seiner Umgebung verlautete, „etioas schreiben“ (möglicherweise eine Autobiographie) und „ein bißchen lehren“ (was, wen und wo, ist unbekannt). Aber nicht nur in Onkel Sams Land wird jetzt vermutet, daß der 55jäh-rige Mehrzweckdarsteller gerade auf politischem Gebiet Pläne hege, wenigstens Senator eines US-Bundesstaates, wenn nicht gar amerikanischer Präsidentschaftskandidat zu werden.

Worum auch nicht? Jenseits des Ozeans gab es, gibt es immer wieder bekannte Vertreter des „Showbusiness“ in hohen Ämtern, darbietende Künstler, die Senatoren, Gouverneure, Botschafter, Sonderbeauftragte waren oder sind — stehe etwa die Filmschauspieler Danny Kaye, George Murphy, Ronald Reagan, Shirley Temple. Sogar einen Staatspräsidenten hat die Gilde der Leinwandmimen schon gestellt: Jose Ferrer („Moulin Rouge“, „Lawrence von Arabien“) — allerdings in Costa Rica.

Übrigens findet sich derlei auch anderswo und zwar in allen Funktionen vom Gemeinderat (die ehemalige italienische Filmdarstellerin Marisa Allasio, die holländische Fernsehansagerin Ageeth Scherp-huis) über den Parlamentsabgeordneten (Gino Cervia alias Peppone — freilich nicht für die KPI, sondern für Italiens Liberale) bis zum Minister (Chris Chataway, zunächst britischer Langstreckenläufer, dann populärster Sportreporter beim Fernsehen in England, hierauf Mitglied der Regierung). Ganz zu schweigen von jenen zum- Teil heute noch kinemato-graphisch tätigen Damen, die sich als Gattinnen regierender Fürsten, von Ministerpräsidenten, Partei- und Staatschefs (so zum Beispiel Grace Kelly, als Gracia Patricia Fürstin von Monaco, Helle Virkner, an der Seite von Jens Otto Krag Gattin des Regierungschefs von Dänemark, Tschiang Tsching, Frau von Mao Tse-tung) kaum der Politik enthalten, zuweilen kräftig „mitmischen“.

Vor allem im angelsächsischen Raum sind Stars und Politik keine Gegensätze. Jede US-Wahl zeigt das. Da gibt es die Demokraten Gregory Peck, Burt Lancaster, Kirk Douglas, Henry Fonda, Tony Curtis, Marlon Brando, Dean Martin, Paul Newman, Harry Belafonte, Sammy Davis junior, samt ihren Kolleginnen Shelley Winters, Janet Leigh, Carol Channing, Natalie Wood, Joanne Woodward usw. Im republikanischen Lager stehen stramme Rechte wie John Wayne, aber auch Gemäßigte wie Randolph Scott, Irene Dünne, June Allyson, Donna Reed, Cid Charisse und andere.

Warum sollte der Show-Millionär Sinatra, ein Intimus der Familie Kennedy, der mit seinem ganzen „Clan“ die demokratische Partei materiell und moralisch unterstützt, nicht (wie sein Freund, der Schauspieler Ronald Reagan in Kalifornien) Gouverneur oder gar (was der Republikaner Reagan anstrebt) Präsident der Vereinigten Staaten werden? Von Chicago bis Miami, von San Francisco bis New York kennt jedes Kind „Frankie-Boy“. Trotz gewisser Vorkommnisse in seinem Leben, die ihn in die Nähe der Cosa Nostra, der amerikanischen Mafia, rückten und seiner „credibility“, seiner politischen Glaubwürdigkeit, nicht eben förderlich waren, hat der spätromantische Rabauke dauerhafte Popularitätseinbußen nie erlitten, ist er — nach, einem Ruckschlag Ende der vierziger Jahre, der jedoch schon 1953 mit der „Oscar“-Verleihung für seine Interpretation in dem Film „Verdammt in alle Ewigkeit“ überwunden war — im Gegenteil immer bekannter und beliebter geworden. Zahlreiche Auftritte in Film, Fernsehen, Nightclubs, vor allem aber Millionen von Schallplatten verschafften ihm eine einmalige Publicity.

Aber gerade das ist in der amerikanischen Politik von größtem Vorteil. Jeder, der reüssieren will, bedarf des öffentlichen An-, ja Aufsehens und dessen, was dazu führt: der Reklame, der Werbung. Jeder, der Karriere machen möchte, muß über komödiantische Gaben verfügen, muß ein Schauspieler sein. Das gilt auch und zumal für den Herrn im Weißen Haus (Nixon beherrscht dieses Metier). So schreibt Thomas Wiseman, ein Kenner der amerikanischen Szenerie, demzufolge: „Die Techniken und Prinzipien des Schaugeschäfts durchdringen neuerdings alles in einem solchen Umfang, daß es grundsätzlich nichts Unvereinbares zwischen einem Präsidenten und einem Unterhaltungskünstler gibt.“

Eine Gesellschaft, in der fast jede, gewiß aber die höchste Position im Staat nur durch die öffentliche Zustimmung errungen und behauptet werden kann, bietet durchaus die Möglichkeit, daß schließlich auch ein Film-, Fernseh- oder Gesangsstar an der Spitze des Gemeinwesens steht. Frank Sinatra könnte also sehr wohl US-Präsident werden, wenn er wollte. Ob er es will — ist offenbar die einzige Frage.

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