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Frankreich auf Linkskurs

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In Wahlzeiten ist der Bürger west-lich-pluralistischer Demokratien bekanntlich König. Und dieser König -im konkreten Fall ist der französische Wähler gemeint - hat sich am Sonntag, dem 14. Juni, beim ersten Wahlgang der französischen Parlamentswahlen eindeutig entschieden: nämlich für die von dem kürzlich gewählten neuen Staatspräsidenten Francois Mitterrand und seiner Sozialistischen Partei angestrebte grundlegende Reform des französischen Staates.

Kein politischer Beobachter kann den überragenden Sieg der Sozialistischen Partei Frankreichs und der Linksliberalen bei diesem ersten Wahlgang bezweifeln: 37,5 Prozent der abgegebenen Stimmen, fast 13 Prozent mehr als bei den Parlamentswahlen von 1978, rund 55 Prozent der Stimmen für die französischen Linksparteien insgesamt - das zeigt doch überdeutlich einen Meinungsumschwung innerhalb der französischen Wählerschaft, vor allem aber die Trendumkehr hin zu der von den Sozialisten angebotenen Alternative.

Immerhin rechnet man damit, daß Mitterands Sozialistische Partei zusammen mit den Linksliberalen nach dem zweiten Wahlgang am 21. Juni zwischen 263 und 323 Sitze im neugewählten Parlament besetzen wird. Das wäre in jedem Fall die absolute Mehrheit in der insgesamt 491 Sitze zählenden Nationalversammlung.

Und das dürfte sich als das bei weitem wichtigste Ergebnis bei diesen Wahlen abzeichnen: Die Sozialisten werden in der neugewählten Nationalversammlung aller Wahrscheinlichkeit nach auf die Unterstützung durch Georges Marchais’ moskautreue Kommunisten verzichten können, die gegenüber den Wahlen von 1978 rund vier Prozent der Stimmen verloren haben und nun bei knapp über 16 Prozent liegen.

Eine weitere schwere Niederlage für Marchais’ KPF, zumal sie damit nur mit 31 bis 51 Sitzen nach der Stichwahl am kommenden Sonntag rechnen kann, während sie seit 1978 mit immerhin 87 Mandataren im Palais Bourbon vertreten war.

Was sich damit schon bei der Präsi-dentsch’aftswahl vor wenigen Wochen gezeigt hat, wird mit diesem Ergebnis unterstrichen: Ein Teil ihrer bisherigen Stammwähler hat der KPF endgültig den Rücken gekehrt und sieht ihre politischen Vorstellungen viel besser durch die Sozialisten vertreten. Sie sind offensichtlich der Meinung, daß M itterrand seinen angekündigten politischen Kurs konsequent verfolgen will und wollten ihn daher mit den entsprechenden Vollmachten ausstatten: das hieß eben auch, ihm und seiner Sozialistischen Partei zu einer parlamentarischen Mehrheit zu verhelfen, damit er sein Regierungsprogramm ohne Widerstände durchziehen kann.

Aber auch viele bisherige bürgerliche Wahlgänger sind ins sozialistische Lager übergeschwenkt, sonst wäre dieser triumphale Erdrutschsieg gar nicht erst möglich geworden. Die Gründe für ihr Wahlverhalten mögen verschiedenster Natur sein. Bei vielen ist aber sicherlich auch Mitterrands angekündigtes Sozialprogramm gut angekommen, etwa sein Versprechen, eine fünfte Woche bezahlten Urlaubs und die 35-Stunden-Woche einzuführen.

Mitterrand hat weitreichende Pläne entwickelt, die darauf hinzielen, bürgerliche Strukturen der Fünften Republik von Grund auf zu verändern. Erinnert sei hier nur an die geplante Nationalisierung des gesamten Kreditapparates - eine Maßnahme, die die Wirtschaft des Landes empfindlich erschüttern kann.

Trotzdem ist das Vertrauen einer Vielzahl von Franzosen in ihren neuen Mann an der Spitze des Staates, in die von ihm angefiihrte Partei und in sein Programm offensichtlich so groß, daß sie sich von solchen eher trüben Aussichten nicht abschrecken ließen.

Andererseits aber fällt auf, daß noch, nie so viele wahlberechtigte Franzosen den Gang zur Urne gemieden haben. Nur knapp 70 Prozent Wahlbeteiligung, mehr als zehn Prozent weniger als bei den Parlamentswahlen 1978 -das muß zu denken geben, vor allem auch dem ehemaligen Präsidenten Gis-card d’Estaing, dessen Anhänger es vor allem gewesen sein dürften, die an diesem vergangenen Sonntag von ihrem Wahlrecht keinen Gebrauch gemacht haben.

Schwäche der Gaullisten und der Giscardisten, der UDF. war es bestimmt, daß sie nicht fähig gewesen waren, ein echtes Programm zu entwik-keln. Frankreichs politische Mitte wirkte in diesem Parlamentswahlkampf bei weitem nicht so schwungvoll wie die Sozialisten, was auf Grund der Niederlage Giscard d’Estaings bei den Präsidentschaftswahlen und der inneren Zerstrittenheit und Rivalität innerhalb der bürgerlichen Parteien ja auch nicht besonders verwundern muß.

Außerdem: Mit Ausnahme Jacques Chiracs hat das bürgerliche Lager kaum mehr eine Persönlichkeit, die Charisma ausstrahlt.

Sowohl Gaullisten als Giscardisten verloren einiges in diesem ersten Wahlgang, die von ihnen gemeinsam gebildete „Union für eine neue Mehrheit" liegt mit rund 40 Prozent doch deutlich hinter dem Stimmenanteil der Linksparteien. >

Die französische Nation steht nun endgültig vor einer neuen Situation: ein sozialistischer Präsident, eine sozialistische Regierung und eine sozialistische Mehrheit im Parlament.

Die Frage lautet nun: Wird diese eindrucksvolle Mehrheit in ihren politischen Bestrebungen Maß halten können - was vor allem ihre liberalen und bürgerlichen Wähler erwarten? Oder wird sie ihre geballte Macht rücksichtslos einsetzen, um dem Land eine sozialistische Radikalkur zu verabreichen?

Will sie letzteres durchsetzen, stehen Frankreich wohl schon in allernächster Zeit schwere innenpolitische Konflikte bevor

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