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Frankreich: Systemreform mit Federstrichen
Das Popularitätsbarometer des französischen Präsidenten Francois Mitterrand und seines Premierministers Pierre Mauroy, das vor den Sommerferien einen eindrucksvollen Höhepunkt erreicht hatte, sinkt neuerdings langsam, aber doch deut-Uch.
Selbst in befreundeten Presseorganen werden die Kommentare kritischer. Und in der öffentlichen Meinung breitet sich ein leichtes Unbehagen aus, das offensichtlich die Kommunisten gerade auf ihrem großen Jahresfest - zur Sa-
nierung der Finanzen ihrer Zeitung „L’Humanite" veranstaltet -veraiüaßte, etwas Distanz gegenüber dem sozialistischen Regime zu wahren. Sie bekundeten ihren Willen zur Wachsamkeit und ließen wissen, daß sie trotz ihrer vier Ministerposten keine Regierungspartei sind.
Die vorläufig noch leichte politische Verstimmung erklärt sich durch einige Widersprüche in der Regierungspolitik, deren Zielsicherheit nicht mehr imbedingt überzeugend ist. Selbst die Anhänger der neuen Mehrheit beginnen an ihren Erfolgsaussichten zu zweifeln.
Die an eine Überstürzung grenzende Eile in allen Bereichen mag politisch verständlich sein — Präsident Mitterrand erklärte dieser Tage, Reformen würden entweder schnell durchgeführt oder nie verwirklicht -, sie vernachläßigt jedoch die Hartnäckigkeit der soliden Strukturen des französi-
sehen Gesellschafts- und Verwaltungssystems, das sich nicht mit Federstrichen verwandeln läßt. Sie führt außerdem zur Ober-flächUchkeit. Denn es fehlt die Zeit und die Ruhe, um gründlich durchdachte Gesetzesanträge vorzulegen sowie über die Folgen der einzelnen Schritte nachzudenken.
Es entsteht so der Eindruck der permanenten Improvisation. Nicht selten macht sich auch mangelndes Wissen bemerkbar, dessen Folgen ziemlich schnell wieder korrigiert werden müssen. Der Reformeifer veranlaßte außerdem die Minister zu einer Inflation von Vorschlägen, ohne daß sie sich über ihre Finanzierung Gedanken machten.
Die für die Sozialversicherung zuständige Staatsministerin erklärte öffentüch, der Fehlbetrag der Kassen - voraussichtliph 30 Milliarden Francs bis Ende 1982 -sei nicht ihr wichtigstes Problem. Dieser Tage rang sie sich dann doch dazu durch, eine Arbeitsgruppe mit der Ausarbeitung von möglichen Sparvorschlägen zu beauftragen. Ihre Kollegin, für die Verteidigung der Frau zuständig, beabsichtigt jedoch gleichzeitig, den Krankenkassen eine zu
sätzliche Ausgabe von über 200 Millionen Francs für die Rückvergütung der Kosten der Schwangerschaftsunterbrechung aufzuzwingen.
Mit etwas mehr Realismus und weniger Prinzipienreiterei wäre es auch denkbar gewesen, die finanzielle Last der in jeder Beziehung fragwürdigen Verstaatlichungen zu verringern, anstatt die Ausweitung des staatlichen Wirtschaftssektors sofort zu einer weiteren Defizitquelle werden zu lassen.
Die Privatwirtschaft ist ständigen Wechselbädern ausgesetzt. Man weiß an höchster Stelle, daß man sie beruhigen muß, weil sie sonst nicht investiert und keine neuen Arbeitsplätze schafft, fühlt sich aber unter Berufung auf die soziale Gerechtigkeit verpflichtet, sie durch neue Steuern zu belasten.
Das Wahlversprechen Mitterrands, die globale Steuerlast nicht zu erhöhen, wurde mit Vorbehalt nur für die unteren Einkommensschichten eingehalten. Die höhe-
ren Einkommen werden bereits zum zweiten Mal mit einem Sonderzuschlag belastet, die mittleren zum ersten Mal. Hinzu kommt eine Vermögenssteuer, die sonderbarerweise Familienbetriebe gegenüber den Aktiengesellschaften diskriminiert.
All dies veranlaßt durchaus regierungsfreundliche Beobachter zur Frage, ob dem in letzter Instanz allein entscheidenden Präsidenten die Verwirklichung seines sozialistischen Ideals wichtiger ist als die Bekämpfung der zunehmend beängstigenden Arbeitslosigkeit, die ebenso wie die Inflation regelmäßig nach oben strebt.
Früher als erwartet machen sich zudem im Regierungsapparat Rivalitäten bemerkbar. Zwei Minister und der Generalsekretär des Präsidialamtes haben zu verstehen gegeben, daß sie möglichst bald die Erbschaft des ihres Erachtens seinen Aufgaben nicht gerecht werdenden Außenministers Claude Cheysson antreten möchten.
In der Umgebung des Staatspräsidenten herrscht anscheinend eine Verwirrung der Einflüsse. Nach internen Angaben gehen ihm für jede wichtige au-
Mr. Carron den Standpunkt der Regierung darzulegen: daß wir, solange die Hungerstreiks fortgeführt werden, über die fünf Forderungen nicht Punkt für Punkt verhandeln werden; daß die Aufsicht über die Gefangenen auf jeden Fall in den Händen der Gefängnisverwaltung bleiben muß; daß in der Vergangenheit bereits zahlreiche Reformen verwirklicht wurden; schließlich, daß es an den Gefangenen selbst liegt, die Hungerstreiks und andere Proteste einzustellen, wonach wir weitere Verbesserungen in den Gefängnissen in Angriff nehmen werden.
FURCHE: Das Ende der schrecklichen Hungerstreikkampagne scheint ja nun wirklich in greifbare Nähe gerückt zu sein. Wie erklären Sie sich nunmehr, beinahe schon im nachhinein, daß den Hungerstreik-Aktivisten in Belfast von den Amerikanern und von vielen europäischen Ländern so viele Sympathien entgegengebracht wurden, während man für die Haltung der britischen Regierung so wenig Verständnis hatte?
ALISON: Die Antwort darauf ist gar nicht so schwer: Durch die qualvolle Opferung von Menschenleben erkaufte sich die IRA eine wertvolle Sendezeit in den internationalen Medien, die ansonsten nur mit teuerem Geld zu bezahlen wäre. Wer dazu bereit ist, einen hohen Einsatz zu geben, der wird dafür auch eine hohe Prämie bekommen. Und das menschliche Leben ist der allerhöchste Einsatz, den es überhaupt geben kann.
Die IRA-Hungertoten sind die japanischen Kamikaze-Flieger unserer Zeit: Ihre Taten mögen für sie selbst und für ihre Gesinnungsgenossen ganz heroisch gewesen sein; die große Tragödie war in beiden Fällen, daß diese Männer nicht bloß ihr eigenes Leben hingaben, sondern daß eine viel größere Zahl unschuldiger Menschen in der Folge ihrer Taten sterben mußten.
Die Japaner haben 1945 von den Amerikanern gelernt, daß einzig und allein die Wege des Friedens die richtigen Wege sind; genau das Gleiche trachten wir Engländer heute, den nordirischen Extremisten verständlich zu machen.
ßenpolitische Frage vier bis fünf Papiere mit wenig übereinstimmenden Analysen und Vorschlägen zu. Der gemäßigte Flügel des Kabinetts um Wirtschaftsminister Delors ist ständig den Angriffen und Intrigen der sozialistischideologischen Kräfte ausgesetzt. Man braucht sich nicht zu wundern, wenn all dies nach und nach in die Öffentlichkeit dringt.
Zu den Schwächen des jetzigen Regierungsystems gehören
schließlich endlose Diskussionen in den einzelnen Ministerien. Daran beteiligt sind hauptsächliche die Minister und ihre nicht gerade kleinen, persönlichen Mitarbeiterstäbe. Es geht hierbei ständig um die Definition einer Politik, die sich mehr oder weniger krampfhaft von derjenigen der vorausgegangenen Regierung unterscheiden soll, was jedoch bei den gegebenen Realitäten meistens nur schwer möglich ist.
All dies wäre nicht schlimm, wenn es sich nur um die Kinderkrankheiten der Anlaufperiode handelte. Es rechtfertigt sich jedoch der Verdacht, daß man darin schon die Auswirkungen eines Regierungssystems sehen muß. Vor allem droht, daß der schöne Plan Mitterrands, den Sozialismus in einem einzigen Lande unter Aufrechterhaltung der Grundregeln der Marktwirtschaft und zusätzlich in liberal orientierter europäisch-internationaler Verflechtung zu verwirklichen, der Quadratur des Kreises gleicht und daher zu den unerreichbaren politischen Zielen gehört.
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