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Frankreich vor einem wichtigen Wahltermin

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Nach einem nicht ganz einfachen Wahlverfahren werden am 6. und 13. März in Frankreich die Gemeindeversammlungen erneuert. Abgesehen von den Dörfern, in denen Parteien eine weit geringere Rolle spielen als Personen, stehen sich fast überall zwei Einheitslisten gegenüber: die Sozialisten und Kommunisten auf der einen Seite, die Opposition auf der anderen.

Die Zeiten der unpolitischen Gemeindewahlen mit geringen Stimmbeteiligungen zwischen 50 und 60 Prozent sind endgültig vorbei. Bereits bei der letzten Abstimmung vor sechs Jahren war eine deutliche Politisierung zu be-

obachten. Sie ist noch stärker geworden.

Regierungskoalition und Opposition setzen alle Hebel in Bewegung, um ihre Anhänger zu mobilisieren und ihnen verständlich zu machen, daß es sich um eine hochpolitische Entscheidung handelt, die das politische Leben grundlegend zu verändern vermag. Die Linke will beweisen, daß sie trotz aller Schwierigkeiten weiterhin das Vertrauen eines ausreichenden Teils der Bevölkerung besitzt, die Opposition erwartet eine klare Absage an das sozialistische Experiment.

Die Wahl von 1977 hatte einen Durchbruch der Linkskoalition gebracht. Sie eroberte mehr Rathäuser, als die erhofft hatte. Inzwischen wurde der Elan des Wandels nach der Wahl Mitterrands 1981 durch eine zumindest ernüchternde und für viele vielleicht auch enttäuschende Auste-ritätspolitik abgelöst. Die Bilanz der Regierung ist — gelinde gesagt — nicht ohne weiteres überzeugend. Für die einen gingen die Reformen nicht weit genug, für die anderen drohen sie Wirtschaft und Gesellschaft zu erschüttern.

Die sozialistisch-kommunistische Koalition steht vor zunehmenden Spannungen. Sie machen sich später bemerkbar, als mancher Beobachter zunächst angenommen hatte, sie lassen sich jedoch kaum aus der Welt schaffen.

Zum ersten Mal mußte der dem linken Flügel der Sozialisten mit Recht oder Unrecht zugeordnete Arbeitsminister offen gegen die Umtriebe und Rechtswidrigkeiten der kommunistischen Gewerkschaft CGT Stellung nehmen. Seit über einem Jahr unterminiert sie durch störende Teilstreiks unter Mobilisierung der nordafrikanischen Fremdarbeiter die Automobilindustrie, die deswegen ernstlich um ihre Zukunft bangt.

Die Erklärung hierfür sehen die Sozialisten immer häufiger in der

Absicht der Kommunisten, der Regierung ihre Macht zu beweisen und sie vor die Alternative zu stellen, entweder ihre politischen Forderungen anzunehmen oder sich ihrer Opposition auszusetzen.

Inzwischen ist es den Kommunisten gelungen, in den Verhandlungen über die Einheitslisten mehr Positionen zu erhalten, als ihnen nach den letzten Wahlergebnissen zustehen. Die Sozialisten machten ohne Zweifel die größeren Zugeständnisse. Außerdem versuchten — allerdings ohne Erfolg — der Premierminister und der Innenminister, zur Entlastung der Kommunisten für die eindeutig kommunistische Streikwelle in der Automobilindustrie die islamischen Integristen verantwortlich zu machen.

Bereits in den Kantonalwahlen im vergangenen Jahr mußte die Linke Verluste hinnehmen. Seitdem hat sich die Stimmung weiter verschlechtert. Die Belebung der Konjunktur liegt in weiter Ferne, die antiinflationistische Preispolitik geht zu Lasten der Unternehmen, die nicht mehr investieren können, und trotz aller offiziellen

Dementis rechnet die überwiegende Mehrheit der Franzosen mit einem neuen Austeritätsplan, weil sich das Land die hohen Fehlbeträge des Staatshaushalts, der Sozialkassen und der Handelsbilanz nicht mehr lange leisten kann. Die Opposition rechnet daher mit einem klaren Sieg in der bevorstehenden Wahl.

Sie könnte aber doch verpflichtet sein, sich mit einem bescheidenem Ergebnis zu begnügen. Sie kann der Bevölkerung selbst mit großer Einbildungskraft keinen schmerzlosen Ausweg aus der Krise aufzeigen. Die Franzosen sind realistisch genug, um zu erkennen, daß sie in der einen oder anderen Form die Rechnung für die Weltkrise bezahlen müssen und auch dafür, daß sie seit dem ersten Erdölschock über ihre Verhältnisse lebten.

Niemand vermag zu sagen, was am Wahltag stärker in die Waagschale fällt, die Enttäuschung über das sozialistische Regime oder die mangelnde Alternative auf selten der Opposition. Außerdem neutralisiert die Politisierung des Wahlkampfes nicht immer die persönlichen Faktoren.

Unabhängig von ihrer politischen Orientierung verfügen die bisherigen Bürgermeister, wenn sie ihre Städte einigermaßen gut verwalten, über eine wertvolle Prämie.

Da sich die Sozialisten und Kommunisten die Kontrolle der Mehrheit der Städte von über 30.000 Einwohner gesichert hatten, dient ihnen diese Prämie , mehr als der Opposition. Zuverlässige Prognosen sind demnach nicht einfach. Sicher ist lediglich, daß global das Regierungslager weniger Stimmen erhalten dürfte als die Opposition, wenn auch die Einbeziehung der Dörfer in die Statistik nicht einfach ist. Ferner dürfte aller Wahrscheinlichkeit nach die Opposition einen Teil der 1977 verlorenen Rathäuser zurückerobern, vielleicht nur fünfzehn bis zwanzig, vielleicht aber auch fünfzig bis sechzig.

Innerhalb der sozialistischen Partei rechnet man mit zwei Hypothesen. Halten sich die Verluste in engen Grenzen, könnte Premierminister Mauroy den bisherigen politischen und wirtschaftlichen Kurs fortsetzen und bis kurz vor dem nächsten sozialistischen Parteitag im Oktober an der Macht bleiben. Läßt sich dagegen ein Fehlschlag nicht leugnen, müßte die Austeritätspolitik verschärft und Mauroy sofort abgelöst werden. Im ersten Falle nennt man als möglichen Nachfolger den Parlamentspräsidenten Mermaz, im zweiten den Wirtschafts- und Finanzminister De-lors. Dessen Regierung könnte kaum noch mit der kommunistischen Unterstützung rechnen. Frankreich würde sich daher an einem schicksalhaften Wendepunkt befinden.

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