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Französisches Atom für Europas Sicherheit ?

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Die halbjährliche, kurze Sitzungsperiode der parlamentarischen Versammlung der Westeuropäischen Union (WEU), worin Bundesrepublik Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien und die Benelux-staaten vertreten sind, diente gerade der französischen Regierung zum Anlaß, diese sich im politischen Halbschatten bewegende Einrichtung nicht nur etwas zu beleben, sondern auch um den Versuch zu unternehmen, eine sinnvolle Diskussion über eine europäische Kooperation im Ver-teidigungsbereich in Gang zu bringen.

Bereits im September 1981 sprach sich Premierminister Pierre Mauroy zugunsten eines autonomen europäischen Entscheidungszentrums für die Verteidigung aus. Er verwies außerdem auf den WEU-Vertrag, der im Gegensatz zur atlantischen Allianz eine automatische Beistandsklausel erhält, wonach jeder Mitgliedsstaat einem angegriffenen Partner mit allen verfügbaren Mitteln unverzüglich zu Hilfe eilen muß.

Frankreich kann demnach sein Atompotential nicht nur zum Schutz seines nationalen Territoriums einsetzen, sondern hat es auch zur Verteidigung des deutschen Nachbarn bereitzuhalten. Diese Verpflichtung wird nunmehr von der französischen Regierung ohne Einschränkung anerkannt. Schon vor einigen Jahren wurde der Begriff des erweiterten Sanktuariums geschaffen. Neuerdings stellt man sehr realistisch und offiziell fest, daß eine ernste Bedrohung der Sicherheit eines Nachbarn von Frankreich als schwere Gefährdung seiner eigenen Sicherheit betrachtet werden muß.

In Bonn stieß die WEU stets auf ein gewisses Mißtrauen, weil sie gegründet wurde, um die damals nicht gerade begeistert hingenommene deutsche Wiederaufrüstung und NATO-Beteiligung in gewissen Grenzen zu halten.

In ihrem Rahmen gibt es daher eine Rüstungskontrollagentur, die ihre Tätigkeit zwar in allen Mitgliedsstaaten ausübt, praktisch aber eine Rückversicherung sein sollte gegen etwaige Verir-rungen des deutschen Partners, dessen konventionelle Rüstung durch einige inzwischen fast restlos überholte Zusatzprotokolle eingeschränkt wurde.

Frankreich ist bereit, auf dieses Beiwerk ganz zu verzichten und ferner das Rüstungskontrollsystem, das immerhin vertraglich verankert ist, auf Eis zu legen, damit die WEU nicht mehr mit den Hypotheken der Vergangenheit belastet ist und von Bonn als brauchbares Werkzeug für eine europäische Verteidigungspolitik anerkannt wird. Sehr deutlich äußerte sich in diesem Sinne gerade der französische Außenminister Claude Cheysson in einem auch in Bonn stark beachteten Zeitungsinterview.

Dieses französische Verhalten ist zunächst durch ernste Sicherheitsbefürchtungen bedingt. Außerdem entspricht es einer langen diplomatischen französischen Tradition, an der absoluten amerikanischen Zuverlässigkeit zu zweifeln; zumal Washington über die Sicherheit in Europa direkt mit Moskau verhandelt.

Wenn sich die Europäer ein Mitspracherecht verschaffen wollten, müßten sie eine eigene Konzeption ausarbeiten und fähig sein, ihr gemeinsam als Einheit Gehör zu verschaffen. Eine erhebliche Rolle spielt ferner in jüngster Zeit das Unbehagen über die neutralistischen und pazifistischen Tendenzen jenseits des Rheins. Sie könnten die französische Sicherheit ernstlich gefährden.

Bekanntlich hat sich Präsident Mitterrand im Gegensatz zu seinem bewußt diskreten Vorgänger offensichtlich und deutlich zugunsten der Stationierung neuer amerikanischer Raketen auf dem europäischen Kontinent ausgesprochen. Frankreich setzt zudem die Vorarbeiten für eine eigene Neutronenbombe fort.

Schon lange sieht man in der Eingliederung der Deutschen Bundesrepublik in ein starkes europäisches oder westliches System die beste Gewähr gegen ein politisches Abgleiten in den Neutralismus oder in eine selbständinicht mehr zu übersehenden Verschlechterung des deutsch-amerikanischen Verhältnisses muß Frankreich im europäischen Rahmen etwas unternehmen, das heißt, sein Atompotential zugunsten der deutschen Verteidigung in die Waagschale legen.

Hiermit verbinden sich strategische Erwägungen, die verhindern sollen, daß der europäische Raum theoretisch in ein atomares Schlachtfeld verwandelt wird, so wie man es aus einigen unüberlegten amerikanischen Erklärungen schließen könnte.

Frankreich läßt sich aber auch von seinen eigenen weltpolitischen Interessen leiten. Das sozialistische Experiment verbindet sich mit einer unbestrittenen wirtschaftlichen Labilität. Innerhalb der Europäischen Gemeinschaft gerät dadurch Paris in eine gewisse Abhängigkeit gegenüber Bonn, das nach allgemeiner Uberzeugung auf der letzten Sitzung des Europäischen Rats in London Ende November eine Schlüsselposition besaß. Den Ausgleich vermag allein der atomare Trumpf zu schaffen.

Wenn Frankreich sein Nuklearpotential egoistisch für sich allein behält, ist dessen weltpolitische Bedeutung gering. Stellt es jedoch in glaubwürdiger Form in den Dienst der europäischen Verteidigung, dann gleicht es seine wirtschaftliche Schwäche aus und wird über den Rahmen der Europäischen Gemeinschaft hinaus zu einem weltpolitischen Faktor.

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